Staatsfinanzen

„Das sind keine Steuereinnahmen“

Die fragmentierte multilaterale Institutionenlandschaft trägt zu einer globalen Finanzsituation bei, die aus Sicht von Entwicklungsländern komplett unfair ist. Der Klimaforscher Saleemul Huq erörtert die Lage im E+Z/D+C-Interview.
Flutschäden im Ahrtal im Sommer 2021. picture alliance/ZB/euroluftbild.de/euroluftbild.de/Klaus Göhring Flutschäden im Ahrtal im Sommer 2021.

Meiner Einschätzung nach laufen die Ergebnisse des Klimagipfels COP26 in Glasgow darauf hinaus, dass Marktkräfte die Klimakrise in den Griff bekommen sollen. Die Beschlüsse laden Privatunternehmen dazu ein, die Initiative zu ergreifen, setzen sie aber nicht sonderlich unter Druck. Das ist, was die Regierungen von Ländern mit hohen Einkommen wollten, und wenn alles gut läuft, bleibt die globale Erwärmung möglicherweise unter 1,5°. Sehe ich das richtig?
Ja, aber Sie übersehen dabei etwas wichtiges. Der Gipfel lief wie immer. Es gab kleine Fortschritte in die richtige Richtung, also stehen wir jetzt ein bisschen besser da als vorher. Aber die COP26 hat nicht zur Kenntnis genommen – und das gilt besonders für die Delegation aus Hocheinkommens-Ländern –, wie verheerend die Auswirkungen des Klimawandels bereits sind. Seit Anfang der Industriellen Revolution sind die Temperaturen im Schnitt um 1,1° gestiegen. Voriges Jahr hat das Klima laut an die Türen Europas und Nordamerikas geklopft. Extremwetterlagen richteten verheerende Schäden an. Im Juli starben in Deutschland rund 180 Menschen wegen Hochwasser. Ende Dezember vernichteten Waldbrände im Großraum Denver-Boulder, im hoch-entwickelten Zentrum von Colorado, rund 1000 Wohnhäuser. Länder mit hohen Einkommen erleiden jetzt Klimakatastrophen, wie sie ärmere Länder schon lange kennen. Trotzdem wurde in Glasgow so getan, als sei Klimawandel etwas Zukünftiges, nichts Gegenwärtiges.   

Deuten Sie an, das 1,5°-Ziel des Pariser Abkommens sei obsolet geworden ist? 
Nein, überhaupt nicht. Es bleibt wichtig, wenn wir die Kontrolle nicht ganz verlieren wollen. Worum es mir geht, ist, dass die Klimakrise hier ist und wir jetzt handeln müssen. Die Art von eben genannten Desastern werden wir in den nächsten 20 bis 30 Jahren ständig erleben, egal was wir jetzt tun. Die Durchschnittstemperaturen steigen Jahr für Jahr. Das 1,5°-Ziel ist wichtig, aber die Zeit drängt. Das war in Glasgow nicht zu spüren.  

Es wird viel von besserem Neuaufbau und nachhaltigem Aufschwung gesprochen, aber die vielen Konjunkturprogramme in der Coronapandemie sind nur in geringem Umfang auf ökologische Transformation ausgerichtet worden. Internationale Koordination – Fehlanzeige. Bis März 2021 hatten die 30 größten Volkswirtschaften zusammen 14 900 Milliarden Dollar aufgewendet – aber nur 1800 Milliarden davon für Umweltschutz. Länder mit niedrigen Einkommen haben derweil gar keinen Finanzspielraum für solche Politik.
Aus Sicht der Entwicklungsländer ist das Finanzszenario komplett unfair. Wohlhabende Länder bleiben ständig hinter ihren Versprechen zurück. Das krasseste Beispiel sind aktuell die 100 Milliarden Dollar Klimafinanzierung, die, wie 2009 in Kopenhagen informell versprochen und dann 2015 in Paris festgeschrieben, spätestens 2020 fließen sollten. In unserem vorherigen Interview sagte ich Ihnen ja schon, dass 2020 bereits 20 Milliarden bis 30 Milliarden davon ausblieben (siehe meinen Beitrag auf www.dandc.eu). Bis heute wird darüber nicht einmal systematisch Buch geführt. In Glasgow sagten reiche Nationen schlicht „sorry“ – und gelobten erst 2023 die vollen 100 Milliarden Dollar. So unterhöhlen sie permanent ihre eigene Glaubwürdigkeit. Das Versprechen, 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung für Entwicklungshilfe (official development assistance – ODA) aufzuwenden, haben die meisten seit Mitte der 1970er noch nie erfüllt. Deutschland tut das dank Ausgaben für Geflüchtete erst seit wenigen Jahren – aber wir haben keine Garantie, dass Sie nicht wieder unter dieses Niveau zurückfallen. Der Club der etablierten Wirtschaftsmächte, die G7, zieren sich, wenn Schuldenerlass nötig wird, während arme Länder unter den Folgen der Klimagase leiden, welche G7-Länder seit Jahrzehnten ausstoßen. In Glasgow hat mich deshalb besonders geärgert, dass Diplomaten aus den USA und der EU im letzten Moment den Wortlaut des Abschlussdokuments dahingehend änderten, dass es über Schäden und Verluste nur einen „Dialog“ gibt, dafür aber keine „Fazilität“ geschaffen wurde. Die Verhandlungen schleppen sich also weiter dahin, als gebe es keine Schäden und Verluste. Dabei kommt derlei weltweit täglich vor.    

An welche Summen denken Sie?
Jetzt wäre schon mal ein Dollar gut. Ihre Bundesregierung hat nichts zugesagt. Sie investiert in einschlägige Forschung zum Thema, aber das hilft heute schon betroffenen Menschen nicht. Kein Nationalstaat hat Geld gegeben. Die Ministerpräsidentin von Schottland, Nicola Sturgeon, hat 2 Millionen Pfund versprochen. Das war vorbildlich. Die belgische Region Wallonien hat 1 Million Euro zugesagt. Private Stiftungen sind auch eingestiegen, sodass jetzt rund 10 Millionen Dollar beisammen sind. Das ist ein Anfang, bleibt aber im Vergleich zum Bedarf verschwindend gering. Ganz grundsätzlich gilt, dass alles, was wir mit Schlagworten wie Klimafinanzierung, ODA et cetera diskutieren, immer weit unter den Summen bleibt, die wirklich nötig sind. Hunderttausende Milliarden sind nötig, um das 1,5°-Ziel zu erreichen, wobei Privatinvestitionen natürlich eingeschlossen ist. Dass Großkonzerne mittlerweile aufwachen, ist erfreulich – aber die Politik bleibt unkoordiniert.

Wer käme für Koordination denn infrage?
Ich finde, Kristalina Georgieva, die Direktorin des Internationalen Währungsfonds, leistet sehr gute Arbeit. Sie versteht, worum es geht – auch die Dringlichkeit von Impfkampagnen in Entwicklungsländern (siehe Chimezie Anajama auf www.dandc.eu). Das ist noch ein Thema, bei dem uns reiche Nationen im Stich lassen. Georgievas Initiative, neue Sonderziehungsrechte auszugeben, war großartig (siehe hierzu Kathrin Berensmann auf www.dandc.eu). Folglich haben Regierungen weltweit jetzt Zugriff auf IWF-Geld im Wert von 650 Milliarden Dollar, wobei der Anteil der Länder mit niedrigen Einkommen aber lediglich 21 Milliarden beträgt. Selbst diese vergleichsweise winzige Summe hilft. Reichere Nationen sollten ihre Sonderziehungsrechte zur Unterstützung schwächerer Partner nutzen. Dieses Geld hat ihnen der IWF gegeben. Das sind keine Steuereinnahmen. Ihre nationalen Haushalte bleiben unberührt. Sie können großzügig damit umgehen.  

Sie sagten, es habe in Glasgow Fortschritt gegeben – wo zum Beispiel?
Von der unzureichenden Klimafinanzierung reicher Länder flossen bisher 80 Prozent in den Klimaschutz, obwohl Anpassung genauso wichtig ist. Klimaschutzvorhaben wie etwa erneuerbare Stromerzeugung sind oft profitabel. Mit Anpassung lässt sich kein Geld verdienen, aber besonders klimagefährdete Länder, die zur globalen Erhitzung kaum beigetragen haben, brauchen sie dringend.  Ein positives Glasgow-Ergebnis ist, dass das Geld für Anpassung verdoppelt wird. Das ist immer noch weniger als die Hälfte der Klimafinanzierung, die wir gefordert hatten, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung.  

Wird das Geld denn sinnvoll verwendet?
Bislang kommt es leider den ärmsten und verwundbarsten Gemeinschaften kaum zugute. Diese Menschen müssen mehr Einfluss bekommen. Internationale Agencies können dazu beitragen. Sie sollten darauf hören, was die lokale Zivilgesellschaft will, denn die Betroffenen wissen am besten, was nötig ist. Auf der Basis könnten internationale Partner dann von Behörden in Entwicklungsländern Rechenschaft verlangen und verfolgen, was mit dem Geld passiert.

Was lehrt uns Covid-19?
Ich denke, die wichtigste Lehre ist, dass wir uns auf Überraschungen einstellen müssen. Es hieß die USA und das britische Königreich seien besonders gut auf mögliche Pandemien vorbereitet. Sie verzeichneten aber besonders hohe Mortalitätsraten. Generell unterschätzen Spitzenpolitiker reicher Nationen bestehende Risiken.

Wie kommt Ihr Heimatland Bangladesch mit dem Klimawandel zurecht?
Einerseits werden extreme Wetterlagen immer schlimmer und zerstören die Lebensgrundlagen vieler Menschen. Andererseits sind wir mittlerweile sehr gut darin, bei Katastrophen niemanden zurückzulassen. Wir haben ständig Hochwasser, die schlimmer sind, als das, was Sie kürzlich erlebt haben, und normalerweise stirbt niemand. Unsere Frühwarnsysteme funktionieren. Alle bekommen SMS-Warnungen auf ihre Handys. Die Leute wissen, was sie tun müssen. Das lernen Jugendliche in der Sekundarstufe, und sie geben ihr Wissen an Angehörige und Nachbarn weiter. Viele übernehmen im Notfall zudem individuelle Verantwortung – etwa für die alleinlebende alte Frau im Dorf,  wahrscheinlich  eine der letzten ohne Mobiltelefon. Was Katastrophenschutz angeht, kann Deutschland von uns lernen. Hätten Sie SMS-Warnungen wie wir, hätte es im Sommer weniger Tote gegeben.    


Saleemul Huq ist Direktor des International Centre for Climate Change and Development (ICCCAD) an der Independent University Bangladesh (IUB) in Dhaka.
saleemul.huq@icccad.org
http://www.icccad.net/

Hans Dembowski ist Chefredakteur von E+Z/D+C.
euz.editor@dandc.eu

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