Wahlen

Nützliche Pflichtveranstaltung

Im vergangenen Jahr wurden in Mali Bürgermeister und Gemeinderäte neu gewählt. Das Urteil der internationalen Beobachter war überwiegend positiv. Dennoch gab es deutliche Mängel und Manipulationsversuche. Zu den Pluspunkten gehört, dass Frauen nun eine größere Rolle in der lokalen Politik spielen. Der langfristige Erfolg der Demokratie auf kommunaler Ebene hängt indessen mehr vom Fortschritt des Dezentralisierungsprogramms als von wahltechnischen Fragen ab.


[ Von Phillip Kusch]

Breite Geberunterstützung half bei Vorbereitung und Durchführung der Kommunalwahlen in Mali Ende April 2009. Beobachter sprachen von „freien und fairen Wahlen mit leichten Mängeln“. Die Beteiligung lag durchschnittlich bei 45 Prozent. Nicht einmal 20 Prozent der Amtsinhaber verblieben auf ihren Posten. Die Wahl erfüllte damit wichtige gesellschaftliche und politische Grundfunktionen.

Dennoch lohnt es sich, genauer hin zu sehen, denn es gab mehrere Schwachpunkte. Dazu gehören Defizite des malischen Wahlrechts, die erst entstehende Kultur demokratischen Staatsbürgertums und der noch nicht konsolidierte Dezentralisierungsprozess.

In der Hauptstadt Bamako lag die Wahlbeteiligung unter 24 Prozent. Hier war am Wahltag zu beobachten, wie die politischen Parteien Menschenmassen in alten rostigen Mercedesbussen zu den Wahllokalen brachten. Dort erhielt jeder eine Wahlkarte. Wem das nötige Ausweisdokument fehlte, bescheinigten zwei Zeugen aus der Gruppe die Identität – und somit die Berechtigung zur Stimmabgabe. Als gegen Abend noch viele Wahlkarten übrig waren, sah man Parteiaktivisten immer hektischer mit 1000 und später auch 2000 Franc-Scheinen wedeln. Sie wollten weitere Wähler mobilisieren und die Siegeschancen ihrer Leute erhöhen. Die Bereitschaft, für Wählerstimmen Geld zu zahlen oder anzunehmen, deutet darauf hin, dass das Verständnis der Rolle des Staatsbürgers in einer Demokratie noch nicht genügend verankert ist.

Wahlenthaltung oder auch der Verkauf der eigenen Stimme sind indessen insofern rational, als viele Wähler, vor allem in den Städten, desillusioniert sind: Nach zwei Amtszeiten auf kommunaler Ebene, in denen sich die Bürgermeister zu oft nur als Verkäufer eigentlich kommunal zu nutzender Grundstücke und Vetternwirtschaftler hervorgetan haben, ist manche Anfangseuphorie für lokale Demokratie verflogen.

Auch wurden im April institutionelle Schwächen des malischen Staates und des Wahlsystems deutlich. Für die Organisation von Wahlen ist der Staat auf die Aktivisten und Freiwilligen der Parteien angewiesen und bezahlt diesen sogar eine Aufwandsentschädigung. Leider lässt das System der an Wählerverzeichnisse und Wohnort gebundenen Wahlkarten den Parteien großen Spielraum für Manipulationen.

Vor allem die Vorschrift, dass Wahlkarten von politischen Kommissionen ausgegeben werden, führt dazu, dass oft nur politisch genehme Wähler diese Dokumente bekommen. Nationale und internationale Beobachter kritisieren denn auch seit Jahren, dass Stimmabgabe per Vollmacht oder dank Bezeugung der Identität durch andere möglich ist. Die malischen Parteien haben Änderungen des Wahlgesetzes jedoch mit dem Verweis auf Mängel des Personenstandsrechts bislang verhindert.

Trotz dieser Probleme waren die jüngsten Kommunalwahlen durchaus erfolgreich. Technisch-administrativ waren sie sehr gut organisiert, Ablauf und Auszählung waren transparent. Es gab keine Einschüchterungsversuche. Vertreter der unabhängigen nationalen Wahlkommission waren in fast allen Wahllokalen anzutreffen. Die Einführung eines einzigen Stimmzettels, auf dem das Symbol der zu wählenden Partei mit wasserfester Tinte angekreuzt wird, verhinderte nicht, dass versucht wurde, Stimmen zu kaufen. Sie nahm den Parteien aber die Möglichkeit, anhand der nicht abgegebenen Zettel zu kontrollieren, ob tatsächlich, wie versprochen, abgestimmt worden war.

Viele, vor allem junge Wähler, sagten, dass sie das Stimmenkaufsystem durchschauten. Sie nahmen zwar die 1000 oder 2000 Franc von einer Partei, stimmten dann aber für eine andere. Auch hat sich mit den Kommunalwahlen die Quote weiblicher Kommunalvertreter von 2009 auf knapp 10 Prozent verdoppelt. Das ist ein gutes Zeichen in einem überwiegend muslimischen Land, in dem Frauen meist wenig zu sagen haben.

Auch beschränkten sich die Betrugsversuche hauptsächlich auf die städtischen Ballungszentren. Im ländlichen Raum war zu erkennen, dass viele Wähler transparente Administration honorieren. In den Gebietskörperschaften, die den jährlichen Haushaltsbericht über Einnahmen, Ausgaben und Hebeeffizienz der kommunalen Steuern öffentlich diskutiert hatten, beteiligten sich bis zu zehn Prozent mehr Wähler, als im nationalen Schnitt. Viele wiedergewählte Bürgermeister sagten, sie hätten die Erneuerung ihres Mandats transparenter Politik zu verdanken.

Schritte der Dezentralisierung

Der gewohnte Teufelskreis aus quasi-automatischer Korruptionsunterstellung und daraus resultierendem mangelhaften Bürgersinn wurde also durchbrochen. Das dürfte sich auch positiv auf die Zahlungsmoral bei kommunalen Abgaben auswirken. Die öffentliche kommunale Haushaltsberichterstattung gehört zu den demokratischen Instrumenten, welche die GTZ in Mali fördert.

Das Konzept wurde seit 2006 von Mitarbeitern deutscher staatlicher Durchführungsorganisationen zusammen mit den Vertretern einiger Pilotkommunen entwickelt. Jetzt hat es sich flächendeckend durchgesetzt: Das Ministerium für Gebietskörperschaften hat die öffentliche Haushaltsberichterstattung ab 2010 allen Kommunen im Rahmen des nationalen Dezentralisierungsprogramms zur Pflicht gemacht.

An die positiven Erfahrungen der lokalen Demokratieförderung sollte künftig angeknüpft werden. Meint Mali es mit der kommunalen Selbstverwaltung ernst, so darf die Regierung nicht zulassen, dass der Dezentralisierungsprozess an Schwung verliert. Bisher wurden den Kommunen zwar wichtige Aufgaben – etwa in Bezug auf Schulen und das Gesundheitswesen – übertragen, es mangelt aber an entsprechenden autonomen Einnahmemöglichkeiten oder Finanzzuweisungen. Damit die Kommunen nicht in einer permanenten Finanzklemme stecken bleiben, ist eine vom Zentralstaat initiierte Fiskaldezentralisierung nötig.

Auch Kooperation und Dialog der nationalen Regierung mit den Vertretern regionaler und lokaler Gebietskörperschaften sind insgesamt noch weit von einer produktiven Routine entfernt. Insbesondere bei zentralstaatlichen Vertretern ist bisher wenig politischer Wille zu erkennen, die kommunale Selbstverwaltung und ihre Stärkung zur Priorität zu machen.

Ein Erlass des Premierministers aus dem Jahr 2008 mit einem Pflichtenheft für alle Sektorministerien zur zügigen Umsetzung des Aufgaben- und Finanztransfers gibt aber Anlass zu Hoffnung. Die Umsetzung lief in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres viel versprechend an. Ein zweites wichtiges Element der Konsolidierung ist, dass ein nationales Ausbildungszentrum für die Gebietskörperschaften 2008 den Betrieb aufgenommen hat. In den ersten Kursen wurden 700 neu eingestellte Kommunalbeamte auf ihre Aufgaben vorbereitet. Diese flächendeckende Grundausbildung für neu gewählte Bürgermeister, denen zum Teil jegliche Verwaltungserfahrung fehlt, spricht dafür, dass die Idee von „guter Regierungsführung“ an Boden gewinnt.

Um in der malischen Bevölkerung ein klares Demokratieverständnis zu verankern, muss noch viel geschehen. Der soziale Kontext ist kompliziert, denn er berührt den Einfluss starker religiöser und traditioneller Autoritäten. Andererseits tun sich Geberinstitutionen mit ihrer westlichen Prägung oft schwer, die örtliche Kultur zu verstehen.

Letztlich wird es darauf ankommen, dass sich die Beziehung von Wählern und Gewählten, wie sie am Wahltag deutlich wurde, verstetigt. Gemeinderatssitzungen mit öffentlicher Beteiligung sind in Mali selten, auch wenn sie im Dezentralisierungsprogramm vorgesehen sind. Zum einen wollen die Gemeinderäte oft keine Öffentlichkeit, zum anderen ist die weitgehend uninformierte Bevölkerung damit überfordert, Transparenz aktiv einzufordern.

Vor allem ist aber klar, dass Bürgerpflichten, wie die Notwendigkeit zu wählen und Steuern zu zahlen, schwer zu vermitteln sind, so lange es an sozialen Basisdienstleistungen und funktionierender Kommunalverwaltung hapert. Die Vorteile der Dezentralisierung sind für viele Menschen in Mali noch nicht erlebte Wirklichkeit. Insofern waren die Kommunalwahlen 2009 auch eine Mahnung, die mühsam erzielten Ergebnisse der Demokratisierung und Dezentralisierung nicht auf halber Strecke stehen zu lassen.

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