Rezensionsaufsatz

Neue Blicke auf die Islamische Republik Iran

Die iranische Revolution von 1979 gilt als definitorischer Moment, weil die Islamische Republik eine westlich orientierte autoritäre Monarchie ablöste und auf beispiellose Art Religion mit Politik verknüpfte. Bücher von Hamid Dabashi, Elaheh Rostami-Povey und Arshin Adib-Moghaddam erörtern die Geschichte des Landes und seinen Einfluss jenseits der eigenen Grenzen.

Von Ali Fathollah-Nejad

Das internationale Interesse am Iran ist unter anderem deshalb groß, weil dieses und andere Länder in einer vom Islam geprägten Region weltweit über die wichtigsten Öl- und Gasvorkommen verfügen. Aus US-Perspektive war die Revolution im Iran nichts Geringeres als ein geopolitischer Schock.

Die jüngsten revolutionären Prozesse in der arabischen Welt haben nun in westlichen Staaten die Debatte über den „politischen Islam“ neu entfacht. Um seine Bedeutung zu beurteilen, bedarf es freilich zunächst einer angemessenen Definition des Phänomens – und die bleibt meist dürftig.

Grundsätzlich gibt es bislang zwei Annäherungen an das Thema. Die kultur-essentialistische oder „orientalistische“ Schule besagt, dass der Islam politische, ökonomische und soziale Realitäten determiniert. Diese Sicht vertritt beispielsweise Samuel Huntington in seinem bekannten Buch „The Clash of Civilizations“. Orientalisten zufolge prägt nicht nur eine gewisse Gleichförmigkeit, sondern geradezu eine Resistenz gegen Veränderungen die gesamte „islamische Welt“. Die Betonung der Religion als Haupterklärungsmerkmal gesellschaftlicher Verhältnisse ist allerdings nicht nur bei ihnen vorzufinden. Islamisten fundamentalistischer Prägung argumentieren ähnlich.

Die Gegenschule betont strukturelle, historisch gewachsene Merkmale. Ihre Analysen berücksichtigen vielfältige Faktoren inklusive sozioökonomischer Bedingungen, politischer Abläufe, historischer Veränderungen, Klassenkonflikten und Revolutionen.

Der aktuelle „arabische Frühling“ hat die Grundannahmen der Orientalisten erschüttert und wird sie womöglich endgültig widerlegen. Offensichtlich gibt es in muslimischen Gesellschaften auf breiter Basis den Wunsch nach Wandel, und der revolutionäre Impetus wurzelt nicht im Glauben. In Tunesien, Ägypten und anderswo manifestiert sich vielmehr die Sehnsucht nach universellen Freiheitsrechten und sozialer Gerechtigkeit.

Die im Folgenden besprochenen Werke über den Iran gehören nicht zur orientalistischen Schule. Dennoch präsentiert jeder Autor einen spezifischen Zugang zum Thema.

Feinfühlige Zeitreise

Hamid Dabashi analysiert in „Iran: A People Interrupted“ (2007) knapp zwei Jahrhunderte Geschichte aus literarisch-intellektueller und politischer Perspektive. Der Autor nimmt seine Leser mit auf eine feinfühlige Reise durch markante Ereignisse. Aus Daba­shis Sicht befinden sich die Iraner seit mehr als einem Jahrhundert in einem Kampf um Demokratie. Dieser habe sich immer gegen „innere und äußere Tyrannei“ behaupten müssen. Als wichtigste Stationen nennt Dabashi die antikoloniale Tabak-Revolte Ende des 19. Jahrhunderts, die Konstitutionelle Revolution zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die Ölnationalisierungsbewegung unter Premierminister Mohammad Mossa­degh in den 1950er Jahren und die „Islamische Revolution“ Ende der 1970er.

Dabashi widerspricht der These, dass der Iran sich in einem Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Moderne befinde, und nennt das ein „fabricated paradox“. Vielmehr prägt aus seiner Sicht die Erfahrung der „anti-kolonialen Modernität“ seit dem 19. Jahrhundert die Geschichte des Landes.

In der multikulturellen und pluralistischen Konstitutionellen Revolution Anfang des vergangenen Jahrhunderts sieht Dabashi den Ursprung dreier ideologischer Formationen, die bis heute relevant sind: liberal-demokratischer Nationalismus, sozial-demokratischer Sozialismus und theokratischer Islamismus. Diese drei Formationen stehen Dabashi zufolge jedoch nicht unbedingt im Gegensatz zueinander, vielmehr haben sie gemeinsame Wurzeln im antikolonialen Kampf und wirkten katalytisch aufeinander.

Dabashi schreibt, es gebe die Vorstellung vom modernen Nationalstaat unter Einschluss von Frauen und religiösen Minderheiten – einschließlich einer Vorstellung von Staatsbürgern und wichtigen Rollen für eine freie Presse und Intellektuelle. Die Repres­sion der Shah-Regime, welche mit den Ko­lo­nialmächten verbündet waren, verhinderte aber, dass diese Option sich durchsetzen konnte.

Für Dabashi ist die schiitische Konfession in ihrer politischen Ausrichtung von Natur aus oppositionell. Daraus ergibt sich ein Paradoxon, sobald sie – wie in der Islamischen Republik – staatliche Macht übernimmt und durch diese korrumpiert wird. Dabashi tritt für eine kontextsensitive Analyse ein, um die Rolle der schiitischen Geistlichkeit in den politischen Entwicklungen Irans zu erfassen.

Er unterscheidet zwischen progressiven Klerikern, die gegen ungerechte Herrschaft opponieren, und konservativen Klerikern, die mit der Macht verbandelt sind. So lässt sich auch erklären, dass die schiitischen Geistlichen im Iran keinen monolithischen Block bilden und wichtige Vertreter mit demokratischen Bestrebungen sympathisieren. Das zunehmend militarisierte System, das im Namen des Glaubens errichtet wurde, behagt ihnen nicht.

Vielfältige Stimmen

Elaheh Rostami-Povey zitiert in „Iran’s Influence: A Religious-Political State and Society in its Region“ (2010) eine Vielzahl von Zeitzeugen. Sie stützt sich auf Iraner, Iraker, Libanesen, Palästinenser und Ägypter. Ihre Informanten sind Journalisten, Flüchtlinge, Exilanten und Wissenschaftler in den Jahren 2007 bis 2009. Darunter sind islamistische Modernisten, säkulare Linke, Nationalisten und Feministen. Sie beschreibt, dass alle der Wunsch nach Demokratie und Freiheit eint.

Ihr Buch bietet eine enzyklopädische Betrachtung interner Dynamiken des religiös-politischen Staates im Iran. Sie zeigt auf, dass dessen innere Widersprüche zum Aufkeimen der neuen Demokratiebewegung geführt haben, die nicht den Glauben an sich, sehr wohl aber das Regime in Frage stellt.

Zugleich erläutert sie, warum die Außenpolitik desselben Regimes in einer Region Anklang findet, in der sich die Mehrheit der Menschen mit Irans Haltung gegenüber den USA, Israel und dem „Krieg gegen den Terror“ identifiziert. Kritische Äußerungen Teherans fänden nicht zuletzt deshalb Anklang, weil viele arabische Autokratien mit Washington kooperieren und freie Diskussionen in diesen Ländern bislang nicht möglich waren.

Rostami-Povey betont, dass es viele Formen des „politischen Islam“ gibt, die jeweils in unterschiedlichen geschichtlichen und soziopolitischen Zusammenhängen zu verstehen sind. Sie schreibt, dass die Islamisten im Iran, die Muslimbruderschaft mit ihren verschiedenen Ablegern, die Hisbullah im Libanon und die Hamas in Palästina sich voneinander unterscheiden und dass sie alle mit internen Widersprüchen ringen. Die verschiedenen Islamismen verbinde allerdings, dass sie breite Unterstützung aller Schichten der Bevölkerung mobilisierten, weil sie sich gegen Imperialismus und Zionismus wenden.

Der Begriff „islamischer Fundamentalismus“ – so warnt Rostami-Povey – verschleiere die Diversität der Islamismen. Derartiges „Homogenisieren und Essentialisieren“ mache blind für Dynamiken der Veränderungen und nähre dadurch Orientalismus und Islamophobie. Sie warnt, die anhaltende Feindseligkeit des Westens gegenüber dem Iran und islamistischen Bewegungen stärke letztlich nur die konservativen Kräfte.

Arshin Adib-Moghaddam kommt in „Iran in World Politics: The Question of the Islamic Republic“ (2007) zu ähnlichen Ergebnissen. Er entwickelt eine ausgeklügelte Theorie über die Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlicher Kultur und staatlichen Institu­tionen. Er schreibt, wegen „counter-­hegemonic utopias“ wie Marxismus, Kommunismus, Maoismus und Islamismus habe sich die politische Kultur im Iran in den 1960er Jahren radikal verändert. Entsprechend habe die Revolution „utopisch-­romantische” Ideale verfolgt und diese hätten auch ihren Niederschlag in den institutionalisierten Normen der Islamischen Republik gefunden und wirkten sich bis heute auf die außenpolitische Kultur aus.

Alle drei Werke dieser anerkannten Autoren bilden für das Verständnis des Iran und des „politischen Islam“ wichtige Grundlagen, da sie theoretisch und empirisch den Kontext in seiner ganzen Komplexität schildern, ohne deren Verständnis man allzu schnell zu vorurteilsbeladenen Fehleinschätzungen kommt. Diese Bücher erinnern daran, dass politische Strömungen sich nicht in einem Vakuum entwickeln, sondern nur in Abhängigkeit von inneren wie äußeren sozialen, ökonomischen und politischen Verhältnissen zu verstehen sind. Vorstellungen von einem monolithischen Islamismus sind nicht nur falsch, sie sind sogar gefährlich.

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