Entwicklung und
Zusammenarbeit

Autoritäre Regime

„Humor hilft, die Angst zu überwinden, die eine Diktatur erzeugt“

Der im französischen Exil lebende Mana Neyestani ist einer der bekanntesten politischen Karikaturisten Irans. Im Interview spricht er über Gedankenfreiheit, rote Linien und warum politische Satire in autoritären Ländern besonders wichtig ist.
Karikatur des iranischen Künstlers Mana Neyestani. llustration: Mana Neyestani
Karikatur des iranischen Künstlers Mana Neyestani.

Mana Neyestani im Interview mit Eva-Maria Verfürth

Mana Neyestanis Leben ist nicht immer so verlaufen, wie er es sich gewünscht hätte: 2006 führte eine seiner Kinderkarikaturen in Iran zum Eklat, er kam in das berüchtigte Evin-Gefängnis. Nach drei Monaten Haft floh er aus Iran und gelangte über Malaysia nach Frankreich, wo er Asyl erhielt. Er zeichnet weiterhin Karikaturen über das Leben in Iran, aber auch über Exil und Migration. Über Social Media verbreitet er seine Kunst weltweit: Fast eine Million Menschen folgen ihm auf Instagram.

Mana, Sie sagten einmal, dass Sie eigentlich unpolitisch sind – aber Sie sind einer der berühmtesten Karikaturisten Irans. Wie sind Sie ein politischer Mensch und Künstler geworden?

Kultur und Kino interessieren mich tatsächlich mehr. Aber ein Land wie Iran macht dich unweigerlich politisch. Das totalitäre religiöse Regime kontrolliert alles, sogar jeden Aspekt des Privatlebens. Ich finde, die wichtigste Aufgabe selbst des unpolitischsten Künstlers ist es, frei zu denken. Aber in einer Diktatur, besonders in einer religiösen, wird freies Denken zu einem Verbrechen und zu einer Form politischen Widerstands.

Sie leben nun in Frankreich, und Ihre Kunst ist weiterhin politisch.

Mit der Zeit habe ich begriffen, dass es auch in entwickelten, freien und demokratischen Ländern politisches Bewusstsein braucht. Demokratie ist fragil und muss Tag für Tag verteidigt werden. 

Sie waren Karikaturist in einem Land mit einem repressiven Regime, nun sind Sie Geflüchteter in einem anderen Land. Betrifft Sie die Zensur des Regimes noch?

In Iran war das Regime hauptverantwortlich für Zensur und Repression. Zu Beginn meiner Karriere war es nicht möglich, politische Karikaturen so offen und direkt zu zeichnen wie in westlichen Medien. Meine Arbeit bestand überwiegend aus Symbolen und Metaphern. Bis heute zeichne ich Dinge, die Iran betreffen. Aber die Mechanismen von Druck und Zensur sind komplexer geworden. Die Cyberarmee des iranischen Regimes und verschiedene Onlinegruppen machen koordinierte Angriffe, betreiben Rufmord, belästigen und schüchtern ein, um diejenigen zu unterdrücken, deren Meinungen ihnen missfallen.

Sie befassen sich mit Themen wie Unterdrückung, Gewalt und Zensur. Welche Rolle hat Humor angesichts von Unterdrückung?

Humor erleichtert es etwas, die Realität zu verkraften. Er ist auch ein psychologisches Mittel, um die Angst zu überwinden, die Diktatur und Unterdrückung erzeugen. Mit Humor kann man leicht Scheinheiligkeit entlarven und die Illusion von Größe zerstören.

Gibt es rote Linien oder Themen, die Sie nicht karikaturistisch aufgreifen würden?

Ich möchte mich nicht von roten Linien leiten lassen. Aber da ich in einem Land mit vielen strengen roten Linien aufgewachsen bin, sitzen einige dieser Tabus tief in meinem Unterbewusstsein fest. Selbstzensur ist nicht einfach abzulegen. Religion, besonders die heiligen Aspekte des Islam, bleibt die größte rote Linie. Auch aufgrund dessen, was den Karikaturist*innen von Charlie Hebdo mitten in Paris, der sogenannten Wiege der Demokratie, widerfahren ist.

Sie haben erlebt, wie brisant die Veröffentlichung eines einfachen Cartoons werden kann: dass er ganz anders ausgelegt werden kann als gewollt. Ihre Karikatur über eine Kakerlake löste eine Kontroverse und Unruhen unter den Azeris aus, den Aserbaidschanisch sprechenden Iraner*innen. Hat das Ihre Arbeit verändert, sind Sie vorsichtiger geworden?

Das hat sich gewiss unterbewusst ausgewirkt. Aber wenn wir die Empfindlichkeiten verschiedener gesellschaftlicher Gruppen berücksichtigen und ihre Reaktionen vorhersagen wollen – was unmöglich ist – bleibt wenig übrig, was sich persiflieren lässt, und es lähmt Karikaturist*innen.

Das Internet in Iran ist zensiert. Wie erreichen Sie die Menschen dort, und welches Feedback bekommen Sie?

Die Menschen in Iran nutzen VPNs und andere Umgehungstools, um meinen Instagram-Kanal und andere Social-Media-Plattformen zu besuchen. Sie kommentieren, manche schicken Direktnachrichten. Einige befürworten, was ich tue, andere nicht. Natürlich lehnen die Regierungsanhänger*innen meine Karikaturen ab.

Haben Sie Kontakt zu anderen iranischen Satiriker*innen?

Ja, über Social Media. Leider ist es sehr schwer für sie in Iran – nicht nur aus Sicherheitsgründen und wegen fehlender Meinungsfreiheit, sondern auch wirtschaftlich. Viele der talentiertesten Karikaturist*innen sind in Branchen gewechselt, in denen man mehr verdient, etwa in die Werbebranche.

Es war nicht leicht für Sie, nach Europa zu gelangen. Nach Ihrer Flucht nach Malaysia bestand die Gefahr, dass Sie wieder nach Iran abgeschoben werden. Mit Unterstützung von „Reporter ohne Grenzen“ konnten Sie nach Frankreich gehen, wo Sie jetzt Mitglied von ICORN sind, dem internationalen Netzwerk „Cities of Refuge“. Wie können internationale Zusammenarbeit und NGOs verfolgte Satiriker*innen unterstützen?

Das ist keine einfache Frage. Für die Unterstützung gefährdeter Karikaturist*innen und Satiriker*innen – wie auch für andere Verfolgte – sollten vor allem die westlichen Regierungen Verantwortung übernehmen, da sie Visa ausstellen und Asyl gewähren können. Wie hilfreich NGOs sind, hängt davon ab, wie groß ihr Einfluss auf diese Regierungen ist. ICORN ist eine der effektiveren Organisationen, da sie eng mit den Stadtverwaltungen von Großstädten zusammenarbeitet.

Mana Neyestani ist ein iranischer Karikaturist. 
Instagram: @neyestanimana

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