Migration nach Deutschland
„Ich traf Deutsche, die mich nicht nur als Flüchtling sahen“
Mohamad Melli
Dieser Artikel ist Teil einer Serie, in der Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt ihre Migrationsgeschichte nach Deutschland erzählen, darunter ein Bauingenieur aus Kenia, eine Frau aus der Ukraine und eine Pflegekraft aus Myanmar.
Ich komme aus Damaskus, jener Stadt, die seit Jahrhunderten den Duft von Jasmin in ihren warmen Steinen trägt und auf deren Balkonen tausend Geschichten verweilen. Damaskus war für mich nie nur eine Stadt – es war ein Vorbild für das Zusammenleben von Religionen und Ethnien. In ihren Vierteln stehen Kirchen und Moscheen Seite an Seite; Muslime und Christen, Kurden und Araber lebten unter demselben Himmel. Ich glaubte, dass sich das Leben in Damaskus verändern, aber niemals zerbrechen würde. Doch im Jahr 2010 begann der große Bruch.
Das Regime, das uns mit Eisen und Feuer regierte, säte Misstrauen zwischen Nachbarn, wollte Spaltungen zwischen Religionen und Ethnien vertiefen, um seine Macht zu sichern. Es wollte aus Vielfalt eine Last machen. Aber wir stellten uns dagegen. Wir hielten an der Idee fest, dass Syrien allen seinen Kindern gehört – unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem Glauben.
Hoffnung und Protest wurden mit Gewehren erschossen
Als die syrische Revolution begann, hatte ich das Gefühl, dass die Geschichte endlich ein Fenster öffnete, dass die Luft reiner wurde und Freiheit versprach. Ich sah das Leuchten der Hoffnung in den Augen der Menschen. Die Demonstrationen waren die Geschichte einer Generation, die nach Jahrzehnten der Unterdrückung den Kopf erhob. Ich war einer von ihnen – meine Stimme gegen das Unrecht, meine Hände am Banner des Wandels. Doch bald mischte sich der Klang unserer Stimmen mit dem Dröhnen der Gewehre. Die Plätze verwandelten sich in Felder des Todes, Freunde verschwanden in Gefängnissen, ganze Stadtviertel brannten nieder, und der Himmel färbte sich grau wie Asche.
Aufgrund meiner Artikel und der Teilnahme an den Protesten war ich insgesamt etwa ein Jahr in Haft. Diese Zeit war nicht nur eine physische Erfahrung, sondern eine Wunde in der Seele – unsichtbar, aber ständig blutend. Ich erkannte, dass mein Verbleib meinen langsamen Tod bedeuten würde, und ich traf die schwerste Entscheidung: den Abschied.
Ich dachte oft daran, aufzugeben
Im Jahr 2015 verließ ich Damaskus – mit einer kleinen Tasche, aber einer großen Last an Erinnerungen. Ich ließ das Haus meiner Kindheit zurück, die Gassen meines Viertels, meine Mutter. Von meinen Freunden waren einige schon im Exil, andere unter der Erde. Ich kam über die Türkei nach Griechenland mit dem Boot; es war eine sehr schwierige Reise. Unser Boot sank, aber die griechische Küstenwache rettete uns. Danach ging es zu Fuß weiter über Mazedonien (heute Nordmazedonien), Serbien, Ungarn und Österreich, bis ich schließlich Deutschland erreichte – beladen mit dem Lärm des Krieges und der Stille der Friedhöfe, mit einer Mischung aus Angst und Sehnsucht im Herzen.
Der Anfang war hart. Die Sprache erschien wie eine unüberwindbare Mauer, die Gesetze und die Bürokratie wie ein Labyrinth ohne Ausgang. Ich war fremd in den Worten, fremd in den Gesichtern, fremd sogar im Rhythmus der Straßen. Die Einsamkeit war schwerer als mein Gepäck, die Traurigkeit verfolgte mich bis in meine Träume. Depressionen griffen nach mir, und der Gedanke, aufzugeben, kam oft. Ich dachte daran, in den Libanon zu ziehen. Doch tief in mir wusste ich: Einen zweiten Abschied hätte ich nicht geschafft.
In Deutschland fand ich ein Stück Damaskus
Ich besuchte eine Sprachschule, danach begann die Arbeitssuche, was nicht einfach war, da ich wegen der Sprachbarriere nicht als Journalist arbeiten konnte. Schließlich bewarb ich mich für eine Stelle in der Grundschulbetreuung, wurde angenommen und absolvierte parallell die notwendigen Fortbildungen. In diesem Bereich arbeite ich bis heute.
Mit der Zeit lernte ich, hier zu atmen. Die Sprache wurde eine Brücke, Arbeit gab mir das Gefühl von Wert, und die deutsche Staatsangehörigkeit, die ich 2024 schließlich erhielt, verlieh mir Zugehörigkeit zu einer neuen Heimat. Was mich während meiner Reise gerettet hat, war aber nicht nur die Unterstützung des deutschen Staates, sondern auch die Menschlichkeit der Menschen, denen ich begegnete. Ich traf Deutsche, die mich nicht als Flüchtling sahen, sondern als Menschen mit einer Geschichte, die
es wert ist, gehört zu werden. Sie schenkten mir Zeit, Gehör und Herzlichkeit und halfen mir, den Glauben daran zurückzugewinnen, dass das Gute in dieser Welt noch existiert.
Und hier, in Deutschland, fand ich etwas, das mich an das alte Damaskus erinnerte: Vielfalt der Religionen und Ethnien, Zusammenleben auf der Basis von Respekt. Ich sah Kirchen und Moscheen Seite an Seite, Menschen unterschiedlicher Kulturen, die das tägliche Leben miteinander teilen – ohne Angst, ohne Mauern. Was ich in Damaskus verloren hatte, entdeckte ich hier wieder.
Jeder Mensch hat zwei Heimatländer
Ich habe erreicht, was viele „Integration“ nennen – Sprache, Arbeit, ein sicheres Leben. Im Zusammenhang mit bedeutsamen archäologischen Funden in Syrien wurde dieser vielzitierte Satz geprägt: „Jeder Mensch hat zwei Heimatländer: sein eigenes und Syrien.“ Für mich ist mein zweites Heimatland nun Deutschland, während mich mein erstes nie verlassen hat.
Doch dies ist für mich nicht das Ziel, sondern nur ein Etappenschritt. Ich möchte eine Brücke zwischen Damaskus und Deutschland bauen. Ich möchte die deutsche Erfahrung des Wiederaufbaus nach zwei Weltkriegen – in Architektur, Kultur und gesellschaftlichem Zusammenhalt – in die verletzte Erde Syriens tragen. Eine meiner wichtigsten Ideen ist, im deutschen Konsulat in Damaskus einen Saal als Kino und Kulturcafé einzurichten. Dort sollen deutsche Filme über Kultur, Leben und Erfahrungen gezeigt werden, ebenso wie syrische Filme für das deutsche Publikum, um den kulturellen Austausch zu fördern. Außerdem plane ich ein Programm für Schülerreisen nach Deutschland, um die Sprache zu lernen und die Gesellschaft kennenzulernen. Doch diese Visionen brauchen offizielle Unterstützung. Es braucht die vollständige Wiedereröffnung der deutschen Botschaft in Damaskus, damit Projekte für kulturellen und sozialen Austausch Wirklichkeit werden können.
Was eine Rückkehr nach Syrien betrifft, denke ich eher an eine teilweise Rückkehr – zum Beispiel vier Monate in Damaskus und vier Monate in Deutschland. Aber eine dauerhafte Rückkehr kann ich mir nicht vorstellen, denn Deutschland bedeutet mir sehr viel. Ich habe hier Freunde und wichtige Menschen, die ein fester Teil meines Lebens geworden sind.
Freiheit ist kein Privileg, sondern ein Recht, das mit der Geburt kommt. Menschlichkeit ist kein Slogan, sondern eine tägliche Verpflichtung. Solange ich atme, werde ich daran arbeiten, Schmerz in Kraft, Verlust in Antrieb und Fremdheit in eine Brücke zwischen Ländern und Herzen zu verwandeln.
Mohamad Melli ist ein Journalist aus Syrien. Heute lebt er in Rüsselsheim und arbeitet als Betreuer an einer Grundschule.
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