Agenda 2030

Neuer Wissensbedarf

Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung fordert eine Neuausrichtung globaler Entwicklungspolitik. Sie beinhaltet scheinbar einfache Universalitätsprinzipien: Die Agenda gilt für alle Staaten, niemand soll zurückgelassen werden, und alle sollen zusammenarbeiten. Doch diese Leitprinzipien haben weitreichende Konsequenzen für die begleitenden Wissenssysteme.
ie Auswertung des Gebrauchs von Mobiltelefonen, wie hier in einem Slum in Nairobi, kann dazu beitragen, Trends vorherzusagen. Wire/picture-alliance/dpa ie Auswertung des Gebrauchs von Mobiltelefonen, wie hier in einem Slum in Nairobi, kann dazu beitragen, Trends vorherzusagen.

Herausforderungen bestehen vor allem in drei Bereichen. Erstens stellt der universale Anspruch der Agenda hohe Ansprüche an die bisherigen Informationssysteme. Die Komplexität erhöht den Datenbedarf und erfordert methodische Innovationen. Dazu gehört auch die Stärkung von Kapazitäten in der Sammlung und Verarbeitung von Daten durch die Nutzung neuer Technologien.

Zweitens erfordert die Umsetzung der Agenda die Bildung neuer Entwicklungspartnerschaften. Neben traditionellen Gebern und deren Partnern aus der Wissenschaft sollen zunehmend zivilgesellschaftliche und privatwirtschaftliche Akteure einbezogen werden. Für neue Formen der Kooperation braucht es auf allen Seiten zeitgemäßes Wissen über geeignete Strategien und Ansätze.

Drittens muss die Nutzbarkeit und Nützlichkeit von Wissen erhöht werden. Viele Informationen entsprechen nicht dem Bedarf und liegen ungenutzt in den Datenbanken einzelner Organisationen. Um die Nützlichkeit zu erhöhen, müssen Wissenslücken identifiziert und zeitnah entwicklungsrelevante Informationen generiert werden.


Neue Daten und Methoden

In den ersten Jahren nach der Verabschiedung der Agenda 2030 im September 2015 hinkt die Neujustierung der Wissenssysteme dem Stand der Umsetzung hinterher. Das ist problematisch, da Entscheidungen folglich auf eingeschränkter Evidenz beruhen. Die Komplexität liegt im Zielsystem begründet.

Die 17 Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals – SDGs) der Agenda 2030 betreffen soziale, ökonomische und ökologische Dimensionen menschlicher Entwicklung. Dem universellen Anspruch der Agenda zufolge gelingt nachhaltige Entwicklung nur durch den Einklang dieser drei Dimensionen. Das Grundprinzip lautet: Kein Ziel darf zu Lasten anderer Ziele gehen. Dadurch entsteht neuer Wissensbedarf im Hinblick auf die Wechselwirkungen unterschiedlicher Entwicklungsstrategien. Das ist keine leichte Aufgabe für die Evaluierungsexperten.

Damit einhergehend, wirft das Prinzip der Rechenschaftslegung die Frage auf: Wer hat auf welche Weise welchen Anteil zu welchem Ergebnis beigetragen? Hierbei kommt es besonders darauf an, die zugrundeliegenden Ursache-Wirkungs-Beziehungen eindeutig zu bestimmen.

Um die Relevanz von Monitoring und Evaluation (M&E) für evidenzbasierte Politikgestaltung zu erhöhen, müssen Wissenslücken geschlossen und Informationen auf lokaler, regionaler und globaler Ebene bereitgestellt werden. Dazu muss die Stärkung der statistischen Kapazitäten im Rahmen der Initiative Paris 21 unterstützt werden. Daten nationaler Statis­tikämter können durch große Datensätze der Weltbank ergänzt werden, zum Beispiel durch die Demography and Health Surveys (DHS) oder die Living Standards Measurement Surveys (LSMS). Zudem gibt es verschiedene methodische Innovationen, darunter den Progress out of Poverty Index (PPI) der Grameen Foundation oder SWIFT (Survey of Well-being via Instant and Frequent Tracking) der Weltbank, die es erlauben, auch in datenarmen Kontexten kostengünstig zuverlässige Informationen zu sammeln.

Internationale Initiativen wie die International Aid Transparency Initiative (IATI) dienen der gemeinsamen Rechenschaftslegung, Kooperation und Planbarkeit und sollten verstärkt genutzt werden. Wichtig ist der freie Zugang zu Informationen. Hierbei spielen neue Akteure, wie etwa die Bill & Melinda Gates Foundation, eine Vorreiterrolle. Sie investieren zum Teil bereits erheblich in neue Wissenssysteme.

Mobile Technologien, soziale Medien und Satellitendaten finden zunehmend Eingang in M&E-Systeme. Besonders innovativ ist das sogenannte Machine Learning, bei dem große Datensätze ausgewertet werden, um Trends vorherzusagen. Beispielsweise hilft die Analyse der Nutzung von Mobiltelefonen, die Ausbreitung von Epidemien (etwa Ebola) vorherzusagen.

Allerdings sind neue und große Datensätze kein Allheilmittel, da sie oft nur große Trends und Wahrscheinlichkeiten abbilden und selten die Gründe aufdecken. In der ­Integration von Big Data (siehe E+Z/D+C ­e-Paper 2017/01) und Machine Learning in komplexe Evaluierungen, die zusätzliche empirische Daten erfassen, liegt jedoch ein enormes Potential, das bisher nur ansatzweise ausgeschöpft wird.


Neue Partnerschaften

Neue Anforderungen ergeben sich auch durch die neuen Partnerschaften, die im Zuge der Agenda 2030 entstehen. Während M&E im Bereich der staatlichen und zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit über einen vergleichsweise hohen Institutionalisierungsgrad verfügt, wurden die Entwicklungsbeiträge der Privatwirtschaft lange Zeit weitestgehend isoliert und lediglich im unternehmerischen Sinne betrachtet. Jetzt ist eine Abkehr von M&E-Systemen gefordert, die sich nach den Bedarfen einzelner Akteure – oft der Geber – richten.

Auch die Rechtzeitigkeit von M&E-Erkenntnissen ist ein wichtiger Aspekt. Dazu sind vor allem prozessuale und technische Innovationen im Hinblick auf die Verbreitung und Nützlichkeit von Wissen nötig. Gerade in diesem Bereich sind neue Akteure wie private Unternehmen und Stiftungen Vorreiter, zum Beispiel Telekommunikationsunternehmen in Afrika: Einerseits dienen Informationen, die für neue Produkte erhoben werden, als Grundlage für unternehmerische Entscheidungen. Andererseits helfen sie traditionellen Gebern, spezifische Dienstleistungen für ärmere Bevölkerungsschichten einzuführen.

Der Erfolg solcher neuen Kooperationen hängt oftmals davon ab, inwieweit es den beteiligten Akteuren gelingt, die jeweils andere Perspektive anzuerkennen. Traditionelle Geber müssen akzeptieren, dass Daten nicht zwangsläufig ein freies, sondern ein begehrtes Gut darstellen. Privatunternehmen müssen hingegen erkennen, dass gemeinsame Entwicklungserfolge letztlich allen zugutekommen, sich privatwirtschaftlicher Nutzen aber mitunter erst mittel- bis langfristig einstellt.


Erhöhung der Nützlichkeit

Große Teile entwicklungsrelevanten Wissens sind entweder nicht frei zugänglich, unzureichend aufbereitet oder entsprechen nicht dem Bedarf. Durch ihren universalen Charakter erfordert die Agenda 2030 jedoch nützliche Informationen auf unterschiedlichen Ebenen. M&E kann nicht länger die exklusive Domäne der Geber sein, sondern muss in enger Abstimmung mit lokalen Partnern geschehen.

Meta-Analysen und Synthesestudien erhöhen die Relevanz von Erkenntnissen und leisten wichtige Beiträge zum Lernen auf regionaler und globaler Ebene. Plattformen wie die International Initiative for Impact Evaluation (3ie) erarbeiten globale Wissenskarten und identifizieren Wissenslücken.

Schließlich liegt großes Potenzial in der Förderung von evaluativem Denken auf Seiten der verschiedenen Akteure aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Mehr den je ist die M&E-Gemeinschaft gefordert, Wissen und Informationen zeitgemäß und bedarfsgerecht aufzubereiten. Dies verlangt nach innovativen Formen der Wissensvermittlung und kann nur durch eine aktive und von allen Seiten geförderte Integration von M&E in die Prozesse der Entwicklungspolitik erfolgen.


Fazit

Selten gab es in der internationalen Zusammenarbeit ein so gutes politisches Momentum für evidenzbasierte Entscheidungen. Der Reviewmechanismus der Agenda 2030 ist ein Ausdruck dieses Bedeutungszuwachses. Bisher hinkt die Ausgestaltung der M&E-Systeme der begonnenen Umsetzung der Agenda hinterher. Diese Dynamik gilt es umzukehren. Die Entscheidungen von heute müssen zunehmend durch die Bereitstellung zeitgemäßer und nützlicher Informationen unterstützt werden.

Für den Einklang von Information, Konzeption und Umsetzung bedarf es mehr strategisch relevanter Evaluierungen, die komplexe Gegenstände auch mithilfe empirischer Methoden beleuchten. Die dafür benötigten M&E-Systeme müssen auch neue Datensätze einbeziehen und die dafür notwendigen technischen und methodischen Voraussetzungen schaffen. Gleichzeitig müssen neue und vielfältige Akteure einbezogen werden, sowohl bei der Generierung von Daten als auch in Bezug auf die Nutzung von Wissen.

Initiativen, die die Verzahnung von Wissens- und Informationssystemen und entwicklungspolitischen Entscheidungen vorantreiben, sollten öffentlich gefördert werden. Gleichzeitig brauchen Wissensplattformen Unterstützung durch Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, indem relevante Informationen weitergegeben werden. Daten und Informationen sollten so aufbereitet werden, dass Wissen für unterschiedliche Gegenstände und übergreifende Fragestellungen vermehrt wird. Letztlich muss die Akzeptanz einer gemeinsamen Lernkultur aller Beteiligten gefördert und so die Nützlichkeit einer bedarfs- und zeitgerechten Bereitstellung von Informationen erhöht werden.


Martin Noltze ist Senior Evaluator am Kompetenzzentrum Methoden des Deutschen Instituts für Entwicklungszusammenarbeit (DEval).
martin.noltze@deval.org

Sven Harten ist Leiter des Kompetenzzentrums Methoden und stellvertretender Direktor des DEval.
sven.harten@deval.org

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