Naher Osten

Fundament für  einen neuen Staat

Die Palästinensische Autonomiebehörde erlaubt mehr Bürgerbeteiligung durch neue kommunale Planungsmodelle. Die Erwartungen der Bevölkerung sind hoch, und so ändert sich auch ihr Auftreten: weniger Bitten und mehr Mitgestalten. Knappe Mittel und ungünstige politische Rahmenbedingungen bremsen aber den Fortschritt.

Der Nationale Entwicklungsplan der Autonomiebehörde sieht für den Zeitraum 2011 bis 2013 eine politische, administrative und fiskalische Dezentralisierung vor. Die Stärkung der subnationalen Gebietskörperschaften und die Einbeziehung der Bevölkerung in kommunale Entscheidungen sollen dabei im Mittelpunkt stehen. Noch hat jedoch weder die  Autonomiebehörde noch die Bevölkerung ein einheitliches Verständnis von einer einheitliche Dezentralisierungsstrategie.  

Die politisch unsicheren Rahmenbedingungen (siehe Kasten) sind für Wirtschaft und Kommunalentwicklung selbstverständlich riesige Hindernisse. Das durchschnittliche Einkommen der Einwohner lag 2009 um mehr als ein Drittel unter dem Niveau von 1999. Jeder Fünfte ist laut offizieller Schätzung arbeitslos.

Das Rückgrat der öffentlichen Verwaltung in der Westbank sind die Städte und Gemeinden, von denen viele seit Jahrhunderten bestehen. Sie versorgen die Bevölkerung mit grundlegenden Dienstleistungen, können diese aber häufig kaum noch erbringen. Die lokale Wirtschaft stagniert und das Vertrauen in die öffentlichen Institutionen fehlt. Viele Bürger sind weder willens noch fähig, Gebühren und Steuern zu zahlen. So schrumpfen die Haushaltsmittel der Kommunen.

Es gibt weder einen systematischen Mitteltransfer von der nationalen auf die lokale Ebene noch einen Rechtsrahmen für lokale Steuereinnahmen. Den Kommunen mangelt es an allem. Die Aufgaben- und Mittelverteilung zwischen Gouvernoraten und Ministerien bleibt derweil unklar, und die Kommunalaufsicht wird oft als restriktiv erlebt.
Bisher involvieren die Kommunalverwaltungen Bürger nur punktuell und unsystematisch in Planungs- und Entscheidungsprozesse. Auch deshalb identifizieren sich Palästinenser häufig stärker mit ihrer traditionellen Clan-Zugehörigkeit als mit ihrer Kommune.


Überforderte Gebietskörperschaften

In den Gebieten leben 74 Prozent der 4,1 Millionen Einwohner in 134 Städten und Gemeinden. Rund ein Prozent davon sind Beduinen. Ein Viertel der Bevölkerung lebt in winzigen Weilern ohne formalen Rechtsstatus.  Die meisten Kommunen können ihre 27 gesetzlich definierten Kernaufgaben nicht einmal ansatzweise erfüllen. Viele sind recht klein und haben weniger als 25 000 Einwohner. Immerhin übernehmen 80 Prozent der Kommunen Abfallentsorgung, Elektrizitäts- und Wasserversorgung sowie den Straßenunterhalt. Nur 50 Prozent kommen für Straßenbeleuchtung, Schulbau, Stadt- und Verkehrsplanung sowie Bürgersteige auf. Besonders vernachlässigt sind Abwasserentsorgung, öffentlicher Nahverkehr, soziale Dienste, Brandschutz sowie öffentliche Grünanlagen. Im Schnitt stehen nur zehn Prozent der kommunalen Haushalte für Investitionen zur Verfügung.

Bei einer landesweiten Umfrage im Jahre 2010 gab zwar die Hälfte der Befragten an, mit den kommunalen Dienstleistungen zufrieden zu sein. Allerdings waren auch mehr als zwei Drittel nicht über kommunale Gebühren, Steuern, Haushaltsdaten und laufende Investitionen informiert.

Das Selbstverständnis der Bürger wandelt sich jedoch auch in der Westbank vom Bittsteller zum Kunden. Deutlich wird das in den Bürgerservicebüros (One-Stop-Shops – OSS), die das Kommunalentwicklungsprogramm der GIZ im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vor Ort fördert und die heute in 23 Kommunen operieren. Durch Optimierung der Prozesse, Mitarbeiterfortbildung, standardisierte Software und transparente Gebühren wurden zum Beispiel die Wartezeiten für Gewerbescheine von zwei Wochen auf drei Tage reduziert. Die Gemeinde Qabbatia richtet nun neue Wasseranschlüsse in zwei anstatt in sieben Tagen ein.

Mittel effizient und bedarfsgerecht zu verwenden ist besonders bei knappen öffentlichen Kassen wichtig. Seit 2009 gilt die Richtlinie der Autonomiebehörde für strategische Entwicklungs- und Investitionsplanung auf der kommunalen Ebene. Ihr zufolge sollen sich öffentliche Projekte nach den Bedürfnissen der Bürger richten. Das Kommunalentwicklungsprogramm der GIZ unterstützte in Pilotgemeinden die Einführung der „Strategischen Entwicklungs- und Investitionsplanung“ (Strategic Development and Investment Plan – SDIP). Zentral sind dabei die repräsentative Bürgerbeteiligung, die partizipative Er­arbeitung und Implementierung der Strategie und die sorgfältige Haushaltsplanung. In der Pilotphase von 2008 bis Ende 2012 nahmen Mitarbeiter von 117 Kommunen an Unterstützungs- und Trainingsprozessen für die Erstellung ihrer Entwicklungspläne teil.

Die erste Generation von Entwicklungsplänen zeigt bereits nach vier Jahren einen deutlichen Strukturwandel in der Mittelverwendung. So sank der Anteil der reinen Infrastrukturvorhaben, der zuvor noch die Hälfte aller kommunalen Projektmittel ausmachte, dank SDIP auf 27 Prozent. Zugleich verdoppelten sich die Mittel für soziale Dienstleistungen.

Solche Zahlen spiegeln einen Kulturwandel wider. Die Beteiligten bestätigten eine stärkere Bürgerorientierung der Kommunalverwaltung, aber auch ein höheres Verständnis der Bürger für die Nöte der Kommunen. Der partizipative Planungsprozess steigerte die Erwartungen der Bürger und ihrer zivilgesellschaftlichen Organisationen ebenso wie deren Bereitschaft zum ehrenamtlichen Engagement für die Gemeinde.


Erfolgsfaktoren

Eine Beraterin hat das Kommunalentwicklungsprogramm 2011 evaluiert und mehrere Erfolgsfaktoren festgestellt:

  • Eine Sozialanalyse der Bevölkerung zu Beginn der Planungsphase schafft Klarheit über die Zusammensetzung der relevanten Interessengruppen und bereitet die Bürgerbeteiligung vor.
  • Dort, wo demokratisch gewählte Bürgermeister durch von der Regierung ernannte Amtsträger ersetzt worden waren, war die Motivation zur Bürgerbeteiligung deutlich niedriger – und das galt zum Ende der letzten kommunalen Legislaturperiode im vergangenen Jahr für etwa jede zweite Kommune.
  • Jeder Stadtteil sollte mindestens einen Vertreter im Planungsprozess haben.
  • Die Bürger müssen darauf Einfluss haben, wer sie vertritt, und die Mitwirkungsmöglichkeiten gemeinsam mit der Kommunalverwaltung definieren. Wo sich die Gemeindeinstanzen ihre Gesprächspartner selbst aussuchen, erfüllt Partizipation nicht ihren Zweck. Je praxiserprobter und umfassender Kommunalverwaltung und Gemeinderat Bürgerbeteiligung verwirklichen, desto größer ist das Engagement der Bürger. Wenn die Amtsträger aber bestimmte Interessengruppen bevorzugen, bremst das die Entwicklung.
  • Breit angelegte, partizipative Planerstellung benötigt viel Zeit, gute Vorbereitung sowie finanzielle Mittel für externe Fachkräfte und qualifiziertes Verwaltungspersonal.
  • Die Kommunen müssen aktive Öffentlichkeitsarbeit leisten, um eine breite Beteiligung von Nachbarschaftsgruppen, Jugendvertretern, Schulen, Universitäten und sozialen Zentren zu schaffen.



Frauen und Jugendliche

Eine Herausforderung ist die generell schwache Beteiligung von Frauen. Bei den Gemeindeversammlungen lag die Frauenquote bei 19 Prozent und in den Fach­arbeitsgruppen bei 24 Prozent. Arbeitsgruppen für soziale Dienste wiesen mit 40 Prozent die höchste Frauenbeteiligung auf. Aufträge gehen zwar häufig an Ingenieurinnen, aber Planung und Projektauswahl berücksichtigen Gender-Aspekte bisher kaum.

Es muss auch mehr geschehen, um Jugendliche anzusprechen. Sie bilden eine wichtige Interessengruppe, denn in den Gebieten sind über 50 Prozent der Bevölkerung jünger als 16 Jahre. Aber sie werden nur selten an Entscheidungen beteiligt – und das gilt selbst dort, wo bereits Jugendvereine und Jugendräte bestehen. Die Kultur setzt traditionell auf Seniorität und wandelt sich nur langsam. Die Planungshandbücher und Trainingskurse werden künftig auf Frauen- und Jugendbeteiligung spezifischer als bisher eingehen. Individuelle Arbeitsgruppen für Frauen und Jugendliche wurden bereits in der Praxis angeregt.

Eine weitere Herausforderung ist, dass die Budgets der geplanten Projekte fast immer das kommunale Investitionsbudget überschreiten. In nur drei Prozent aller Kommunen war die Finanzierung durch Eigenmittel sichergestellt. Bereits zu Beginn der Plan­erstellung ist es deshalb wichtig, mit ausreichend Zeit und Expertise externe Mittel anzuwerben.

In Zusammenarbeit mit dem Ministry of Local Government der Autonomiebehörde ist es die Aufgabe des Kommunalentwicklungsfonds (Municipal Development and Lending Fund, MDLF), die Gemeinden inhaltlich, finanziell und personell bei der Planerstellung und -umsetzung zu unterstützen. Der MDLF, die Fachministerien und internationale Entwicklungspartner wie GIZ und KfW sind bislang die Hauptfinanziers. Auf Dauer können Gebietskörperschaften aber nicht von internationalen Gebern und der Regierung abhängig bleiben. Das wäre nicht nachhaltig. Sie müssen also künftig stärker lokale Mittel anwerben und die Zusammenarbeit mit dem Privatsektor ausbauen.

Zu ambitionierte Entwicklungspläne können zu Enttäuschung und Frustration führen. Es ist wichtig, die Motivation von Bürgern, Gemeindemitarbeitern und Lokalpolitikern nicht aufs Spiel zu setzen. Wenn der Aufbau eines stabilen Palästinenserstaates gelingen soll, muss er sich auf starke Kommunen stützen können. Der fragile Staatsbildungsprozess  und die israelische Besatzung machen nachhaltige partizipa­tive Kommunalentwicklung derzeit schwer. 

 

Kristin Hentschel ist seit 2008 Beraterin im Kommunalen Entwicklungsprogramm der GIZ in den Palästinensischen Gebieten.  
kristin.hentschel@giz.de

Ulrich Nitschke leitet das Kommunale Entwicklungsprogramm der GIZ in den Palästinensischen Gebieten. Das Programm läuft im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Das Autorenteam äußert hier seine persönliche Meinung.
ulrich.nitschke@giz.de

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