Minderheiten in Myanmar

Staatenlose ohne jede Lobby

Die Rohingya sind die am meisten verfolgte Minderheit der Welt. Ihr Heimatland Myanmar erkennt sie nicht als Staatsbürger an; sie werden von der Mehrheitsgesellschaft diskriminiert und vertrieben. Viele Rohingya leben daher in Flüchtlingslagern oder im Exil. Johannes Kaltenbach, Länderkoordinator des Hilfswerks Malteser International in Myanmar, gab gegenüber Katja Dombrowski eine Einschätzung der aktuellen Situation ab.
Gesundheitsaufklärung für wartende Patienten in der Gesundheitsstation von Malteser International in Tha Man Tar im Norden von Rakhine. Malteser International Gesundheitsaufklärung für wartende Patienten in der Gesundheitsstation von Malteser International in Tha Man Tar im Norden von Rakhine.

Im Bundesstaat Rakhine in West-Myanmar sind 2012 Kämpfe zwischen Angehörigen der muslimischen Minderheit der Rohingya und der buddhistischen Mehrheit ausgebrochen. Seither gab es Hunderte Tote, zigtausend Menschen wurden vertrieben. Wie ist die Situation jetzt?
Die Lage ist nach wie vor angespannt. Es leben weiterhin etwa 146 000 Vertriebene in Flüchtlingslagern in Rakhine. Eine Rückkehr dieser Menschen ist nicht in Sicht. In den Lagern fehlt es an fast allem. In den Rohingya-Dörfern weiter im Norden an der Grenze zu Bangladesch sieht es nicht viel besser aus. Strom oder fließendes Wasser sind unerreichbarer Luxus, eine soziale Infrastruktur gibt es so gut wie gar nicht. Viele Menschen müssen stundenlange Fußmärsche auf sich nehmen, um zu lokalen Märkten oder Gesundheitsposten zu gelangen. Das Bildungsniveau ist extrem niedrig – die meisten Menschen haben höchstens einen Grundschulabschluss. Die Rohingya leben in absoluter Armut in einfachsten Bambushütten auf engstem Raum. Die Felder bestellen sie mit einfachen Hacken, nur die Reichsten können sich Zugochsen leisten. Aufgrund ihrer großen Armut haben die Menschen auch keinerlei Reserven oder Rücklagen für den Fall außergewöhnlicher Ereignisse. Wird ein Familienmitglied krank und braucht medizinische Behandlung, so wirken sich die außerplanmäßigen Kosten sofort auf die Ernährungssituation der Familie aus.

Die Malteser sind als eine der wenigen internationalen Hilfsorganisationen in Rakhine aktiv. Was machen Sie dort?
Bereits seit mehr als zehn Jahren setzen wir uns in Rakhine für einen verbesserten Zugang der Bevölkerung zu Gesundheitsdiensten ein. Dies bedeutet, dass wir sowohl nationale Gesundheitsdienste unterstützen als auch eigene Gesundheitszentren betreiben. Besondere Schwerpunkte unserer Arbeit sind Mutter-Kind-Gesundheit sowie die Prävention, Diagnose und Behandlung von Tuberkulose und Malaria. Wir verfügen über ein Ambulanzfahrzeug und einige Boote, um Notfallpatienten schnell in ein Krankenhaus bringen zu können, und übernehmen auch die Kosten für die stationäre Behandlung. Weiterhin sorgen wir durch Renovierung und Ausbau von Wasserstellen dafür, dass die Menschen einen sicheren Zugang zu ausreichend Trinkwasser haben, und bauen Latrinen bei ihren Häusern. Insbesondere für Frauen ist dies wichtig, da sie meistens an Haus und Hof gebunden sind.

Nur wenige Ausländer haben die Flüchtlingslager, in denen die von Ihnen angesprochenen 146 000 Vertriebenen leben müssen, von innen gesehen – Sie gehören dazu. Unter welchen Verhältnissen leben die Rohingya dort?
Die Flüchtlinge leben in ärmsten Verhältnissen, die meisten von ihnen in Langhäusern aus Bambus. Eine Familie hat hier weniger als fünf Quadratmeter Platz. Zudem sind viele der 2012 gebauten Unterkünfte mittlerweile baufällig und müssen erneuert werden. Trotz einiger Fortschritte im Gesundheitsbereich bleibt ein gesicherter Zugang zu medizinischer Behandlung ein großes Problem. Die Flüchtlinge können die Lager nicht verlassen und können sich mangels eigenem Einkommen so gut wie nichts selbst kaufen. Dies macht sie völlig abhängig von internationaler humanitärer Hilfe. Den Menschen fehlt der freie Zugang zu Nahrung, Bildung und Einkommen.

Myanmar ist ein Vielvölkerstaat mit 135 anerkannten Bevölkerungsgruppen. Die Rohingya sind jedoch nicht anerkannt und haben damit keinen Anspruch auf die myanmarische Staatsangehörigkeit. Warum ist das so?
Diese Frage ist sehr schwer zu beantworten. Der Ursprung des Konflikts ist vielschichtig und sehr komplex. Es gibt nur sehr wenig unabhängige Forschung zu diesem Thema. Eine offene Diskussion in Myanmar selbst gibt es nicht. Viele in Myanmar betrachten die Rohingya als illegale Einwanderer aus Bangladesch – eine Theorie, die nicht beweisbar ist. Gleichzeitig herrschen in dem stark buddhistisch geprägten Land ein großes Misstrauen gegenüber Muslimen und große Angst vor islamistischen Terrorgruppen. Es gibt allerdings keine substantiellen Hinweise auf eine Radikalisierung der Rohingya durch islamistische Gruppen.

In Myanmar sollen rund eine Million Rohingya leben. Wie stellt sich die Diskriminierung, der sie ausgesetzt sind, konkret dar?
Der Name „Rohingya“ ist in Myanmar nicht anerkannt, und die Regierung lehnt die Benutzung des Begriffs im offiziellen Sprachgebrauch ab. Rohingya haben in Myanmar als Staatenlose keinerlei Rechte. Sie dürfen nicht wählen, haben keine Bewegungsfreiheit und keinen Zugang zu höherer Bildung. Auch fehlen ihnen jegliche offiziellen Ausweisdokumente, die ihnen eine legale Ausreise ermöglichen würden. Durch diese Rechtslosigkeit sind die Rohingya der Willkür der Behörden ausgeliefert. Die fehlende Bewegungsfreiheit zusammen mit mangelnder Bildung führen zu einem Zyklus absoluter Armut, der ohne Änderung der Rahmenbedingungen kaum durchbrochen werden kann.

Seit Ausbruch der Unruhen sind viele tausend Rohingya aus Myanmar geflüchtet. Insgesamt soll mindestens eine Million als Flüchtlinge zumeist in asiatischen Ländern leben, wo sie ebenfalls keine Staatsangehörigkeit erhalten. Diese Situation macht die Rohingya nach Angaben der UN zur am meisten verfolgten Minderheit der Welt. Sie sind nirgends willkommen. Auf der Flucht werden sie zum Teil Opfer von Menschenhändlern oder in den Zielländern ausgebeutet. Wer ist in der Verantwortung, das zu ändern?
Die Lage der Rohingya ist kein rein myanmarisches Problem. Es ist ein Problem, das ganz Süd-Ost-Asien betrifft. Im benachbarten Bangladesch haben es die Rohingya zwar etwas leichter, sind jedoch dort genauso wenig als Bevölkerungsgruppe akzeptiert. In Thailand leben die Rohingya als Flüchtlinge oder illegale Tagelöhner. Die Gipfel und Treffen der ASEAN-Staaten (Association of Southeast Asian Nations, Verband Südostasiatischer Nationen) könnten einen multilateralen Rahmen bieten, um diese grenzübergreifende Problematik anzugehen. Leider ist die Rohingya-Frage auf bisherigen ASEAN-Treffen nicht wirklich angesprochen worden.

Konflikte gibt es nicht nur mit den Rohingya. Viele der Minderheiten in Myanmar wünschen sich mehr Eigenständigkeit, einige Gruppen führen seit Jahrzehnten einen bewaffneten Kampf gegen den Staat. Die Regierung strebt Friedensverhandlungen mit allen Aufständischen an. Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass es Myanmar gelingen wird, seine vielen Völker dauerhaft und fair zu integrieren?
Die Bemühungen der aktuellen Regierung um einen landesweiten Waffenstillstand sind ernsthaft. Die Aufgabe ist zweifellos gewaltig. Der Themenkatalog ist umfassend, die Interessenlagen vielfältig. Viele ethnische Minderheiten wünschen sich mehr Mitspracherechte. Gleichzeitig bemüht sich das Land um wirtschaftliche und soziale Reformen. Die Verwaltungsstruktur des Landes ist dem kaum gewachsen und kann all die auf sie einstürmenden Anforderungen nicht gleichzeitig umsetzen. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass sich der Reformprozess verlangsamt hat. Der weitere Erfolg des Friedensprozesses in Myanmar wird stark von der Art und Weise abhängen, wie die für Ende 2015 angesetzten Wahlen verlaufen. Vor allem ethnische Minderheiten werden den Prozess genau beobachten und vorher keine Zugeständnisse machen. Auf die Situation der Rohingya dürften die Wahlen allerdings wenig Einfluss haben. Die Staatenlosen in Myanmar haben keinerlei Lobby.

 

Johannes Kaltenbach ist Länderkoordinator der Malteser International in Myanmar.
info@malteser-international.org
http://www.malteser-international.org/home/wo-wir-helfen/asien/myanmar.html
 

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