Sanitärversorgung

Ecosan ist zukunftsträchtig

Aus Kot und Urin lässt sich Energie gewinnen – und umweltfreundliche, billige Lösungen sind nötig, wenn 2,5 Milliarden Menschen weltweit Zugang zu hygienisch akzeptablen Toiletten bekommen sollen. In Indien gibt es vielversprechende Initiativen.


[ Von Frank Kürschner-Pelkmann ]

Die sanitäre Versorgung in Indien ist erschreckend schlecht. Mehr als 500 Millionen Menschen haben bis heute keinen Zugang zu Toiletten. Der Minister für ländliche Entwicklung, Raghuvansh Prasad Singh, spricht dennoch von Fortschritt. „1961 benutzte nur ein Prozent der Menschen in Indien eine Toilette, vor fünf Jahren waren es 22 Prozent und heute sind es 50“, zitierte ihn die Zeitung „New Post India“ im November. „Wir haben eine umfassende Sanitär-Kampagne gestartet und hoffen, dass im Jahr 2012 niemand mehr seine Notdurft im Freien verrichten muss.“ Dem Minister zufolge hat die Zentralregierung Indiens 2007 umgerechnet 255 Millionen Dollar zur Verbesserung der sanitären Versorgung bereitgestellt – 43 Prozent mehr als im Jahr zuvor.

Die Gesamtsituation ist weiterhin problematisch, aber verschiedene Initiativen beweisen, dass Verbesserung möglich ist – zum Beispiel im Dorf Thumbaipatti im Bundesstaat Tamil Nadu. Der Ingenieur A. Mariappan ermunterte Dorffrauen zur Selbsthilfe. Dank ihrer Anstrengungen erhielten alle 563 Haushalte im Dorf einfache Latrinen.

Das Ergebnis ist, dass Trinkwasser nicht mehr durch Abwässer verunreinigt wird. Die Menschen leben gesünder – besonders die Kinder. Die Gesamtsituation ist besser geworden. Deshalb ist das Ansehen der Frauen gestiegen. Die Dorfbevölkerung ist stolz darauf, dass immer wieder interessierte Besucher anreisen und andere Dörfer in der Region ihrem Vorbild schon nacheifern. Im vergangenen Jahr zeichnete der indische Präsident den Ort Thumbaipatti dafür aus, dass es in allen Haushalten und Schulen angemessene, gesundheitlich unbedenkliche Toiletten gab.

Bindeshwar Pathak beschäftigt sich seit dreißig Jahren mit verschiedenen Aspekten des indischen Sanitärproblems. Er ist Gründer der Organisation Sulabh, die den Bau von mittlerweile mehr als 7000 öffentlichen und 1,2 Millionen privaten Toiletten ermöglicht hat. Das UNDP lobte diese Initiative als Beispielhaft in seinem Bericht über die menschliche Entwicklung 2006.

Dem aus einer brahmanischen Familie stammenden Pathak geht es nicht nur um preiswerte und umweltschonende Toiletten, um Hygiene und Gesundheit. Es geht ihm auch um die Würde der Dalits, der „Unberührbaren“.

Angehörige dieser ausgegrenzten Minderheit sammeln Exkremente oft mit bloßen Händen ein und tragen sie in Eimern auf dem Kopf davon. Das wurde seit Jahrtausenden so gemacht. Eine geschätzte halbe Million Menschen tut das noch heute Tag für Tag, meist Frauen. „Diese Menschen haben der Gesellschaft einen großen Dienst erwiesen, ohne sie wären viele krank geworden und gestorben“, sagt Pathak. „Und was hat die Gesellschaft getan? Sie hat sie zu ‚Unberührbaren’ erklärt.“

Um die gesellschaftliche Bedeutung des Themas hervorzuheben, hat Pathak ein internationales Toiletten-Museum in Delhi eingerichtet. Dort sind mehr als 300 Modelle aus 60 Ländern zu sehen.


Kostengünstig und ökologisch sinnvoll

An typisch westlichen WCs solle sich Indien lieber kein Beispiel nehmen, meint Bindeshwar Pathak indessen: „Sie sind im Bau zu teuer und verbrauchen riesige Mengen Wasser. Das ist für arme Menschen nicht machbar.“ Er hält es für sinnvoller, umweltfreundliche Klos zu errichten, die keinen Anschluss an die Kanalisation brauchen, dafür aber Dünger und Biogas erzeugen. Der Fachbegriff für solche Ansätze ist „ecosan“, das Kürzel steht für ecological sanitation.

Pathak räumt ein, der Gedanke sei gewöhnungsbedürftig. Zwar sind moderne Anlagen geruchsneutral, dennoch gefällt nicht jedem die Idee, mit Gas aus der Toilette zu kochen. Doch viele Menschen in Indien und anderen asiatischen Ländern konnten so in einem Zug ihre Sanitär- wie auch einen Teil ihrer Energieprobleme lösen.

Sunita Narain, die Direktorin des unabhängigen „Centre for Science and Environment“ (CSE) in Delhi reiste Ende der 90er Jahre nach Stockholm. Sie lernte die schwedische Hauptstadt etwas anders kennen als gewöhnliche Touristen: „Statt prächtig zu dinieren, sahen wir uns Toiletten in abgelegenen Teilen der Stadt an.“

Dort gab es schon damals Klos, die wenig Wasser verbrauchten und zugleich wertvollen Dünger für die Landwirtschaft lieferten. Narain bekam Systeme zu sehen, die Urin und Fäkalien trennten, und begann zu verstehen: „Das Spülsystem und die entsprechende Abwasserbehandlung ist keine Lösung, sondern Teil des Umweltproblems. Man denke nur an die großen Mengen sauberen Wassers, die dazu verwendet werden, kleine Mengen menschlicher Exkremente abzutransportieren.“

Jährlich fallen ihrer Rechnung nach etwa 250 Liter Exkremente pro Familie an. Und die werden mit 150 000 Liter Trinkwasser weggespült. Mit „flush and forget“ („spüle und vergiss“) sind die sanitären Probleme nicht zu lösen, betont Narain. Das CSE gehört zu den indischen Institutionen, die sich intensiv um Alternativen zu den westlichen Wassertoiletten bemühen.


Kläranlagen-Misere

Alternativen sind auch nötig, weil Indien ein enormes Abwasserproblem hat. Etliche Kommunen leiten Dreckwasser ungeklärt in Flüsse, die zu gesundheitsgefährlichen Kloaken verkommen sind. Narain spricht sogar davon, dass „unsere Flüsse und unsere Kinder sterben“.

Überhaupt haben laut Pathak nur 232 der mehr als 5000 urbanen Zentren Indiens Kanalisationssysteme – und bei Stromausfall laufen sie nicht. Auch in der Hauptstadt Delhi sieht es nicht gut aus: Die meisten Abwasserrohre sind versandet, nur 15 Prozent der großen Sammelkanäle funktionieren.

Die 15 Kläranlagen Delhis reichen nicht aus. Mehr als vier Fünftel der Abwässer fließen ungeklärt in den Yamuna-Fluss und von dort in den Ganges. Das gilt auch für Industrieabwasser, und so sind denn auch die heiligen Flüsse Indiens erheblich mit Schadstoffen belastet.

Im vergangenen Jahr wollten heilige Männer in Allahabad beim traditionellen „Kumbh Mela“-Fest nicht mehr in den Ganges steigen, weil der zu verschmutzt sei. Die Behörden ließen in letzter Minute sauberes Wasser aus Stauseen in den Fluss leiten. Die heiligen Männer akzeptierten das und stiegen wie Millionen andere Gläubige in die Fluten – diesmal noch.

Die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) hat mit lokalen Partnerorganisationen in Indien in den letzten Jahren Pionierarbeit auf dem „ecosan“-Gebiet geleistet. Wichtig ist, regionalen und sozialen Eigenheiten zu entsprechen. Der GTZ-Partner Navsarjan Trust kämpft dafür, dass die Dalits Fäkalien nicht mehr per Hand entfernen müssen.

Seit 2006 finanziert dieser Fonds die Installation von Toiletten, bei denen Kot und Urin getrennt und als Kompost und Dünger verwendet werden. Eine Grundschule in Raika im Bundesstaat Gujarat gewann 2007 beim Wissenschaftswettbewerb für Schulen der Region den ersten Preis: Ihr Toilettensystem nutzt Brauchwasser zur Gartenbewässerung.

Ähnliche Konzepte sind auch in städtischen Slums möglich. Das zeigt ein „Eco-friendly Public Toilet Centre“ in Bangalore.Im Armenviertel Rajendra Nagar hat sich seit 2001 die sanitäre Lage verbessert, zugleich werden Kompost, Dünger und Biogas gewonnen – und der Kompost genutzt, um Bananen anzubauen. Das funktioniert, weil die lokale Bevölkerung das Vorhaben unterstützt.

Die vielen erfolgreichen alternativen Toiletten-Projekte könnten die sanitäre Misslage in Indien innerhalb einiger Jahre beheben – wenn die Konzepte flächendeckend umgesetzt würden. Dafür müssten sich viele politisch Verantwortliche von der „Flush and forget“-Philosophie des vermeintlich „modernen“ zentralen sanitären Systems lösen.


Kulturelle Vorbehalte

Kulturelle Vorbehalte gegen die Nutzung von Fäkalien und Urin in der Landwirtschaft müssen überwunden werden. Kritiker werfen der Regierung vor, sie vernachlässige die sozialen und kulturellen Dimensionen des Problems. So gingen viele Menschen auf dem Land auch dann ins Freie, wenn sie eine Toilette hätten.

Dafür gibt es freilich Gründe. Eine Fachfrau aus dem Gesundheitswesen des Bundesstaats Chattisgarh erläutert: „Der Bau der Toiletten war der einfachere Teil der Aufgabe.“ Es habe häufig mentale Blockaden gegen die Latrinenbenutzung gegeben. „In vielen Häusern wurden die dafür vorgesehenen Flächen als Lagerräume verwendet.“

Es sei nötig gewesen, die Frauen vom Zweck der Latrinen zu überzeugen – beispielsweise mit dem Argument, dass sie Zeit sparen, wenn sie nicht mehr aufs Feld laufen müssen. Doch erst der positive Effekt auf die Gesundheit bewirkte schließlich, dass die Toiletten genutzt wurden.

Aber die Toiletten-Revolution hat begonnen, die Alternativen zum Wasserklosett sind überzeugend. Auch die Bürokraten werden einsehen, dass der Versuch, landesweit in kurzer Zeit WCs, Abwasserrohre und Kläranlagen zu bauen, zum Scheitern verurteilt ist. Wenn man erreichen will, dass bis 2012 alle Inderinnen und Inder Zugang zu Toiletten haben, sind die alternativen Konzepte der einzig realistische Weg dorthin.

Weltweit leben heute 2,6 Milliarden Menschen ohne Zugang zu Toiletten, fast die Hälfte davon sind Kinder. Die Vereinten Nationen haben 2008 zum „Internationalen Jahr der sanitären Grundversorgung“ gemacht – und was für Indien gilt, gilt ähnlich auch für viele andere Entwicklungs­länder.

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