Islam

„Gläubige Muslime – und tolerant“

Bangladesch ist immer noch eines der ärmsten Länder der Erde. Die islamisch ­geprägte Kultur gilt als tolerant. Doch das streng religiöse Saudi-Arabien soll rechtsgerichtete muslimische Gruppen in Bangladesch unterstützen. E+Z-Redakteur Hans Dembowski sprach darüber mit dem Politikwissenschaftler Mahzuful H. Chowdhury.


Interview mit Mahfuzul H. Chowdhury

Wie wird der Einfluss Saudi-Arabiens in Bangladesch eingeschätzt?
Die kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Bangladesch haben eine lange Geschichte. Bengalen war seit dem frühen ­13. Jahrhundert unter muslimischer Herrschaft, die erst 1757 mit der Übernahme durch die britische Kolonialmacht endete. Heute arbeiten viele Bangladeschis in Saudi-Arabien. Das Geld, das sie zurück in ihr Land überweisen, ist ein wichtiger Wirtschafts­faktor in Bangladesch. Zudem unterstützt die saudische Regierung Bangladesch bei der wirtschaftlichen Entwicklung und hilft zum Beispiel bei Infrastrukturprojekten. Eine dritte wichtige Verbindung zwischen beiden Ländern ist der Hadsch, die Pilgerfahrt nach Mekka, einer der Pfeiler des Islam. Hunderttausende Muslime aus Bangladesch treten die Pilgerreise jedes Jahr an. Viele Bangladeschis glauben zudem, dass Saudi-Arabien religiöse Parteien, Nichtregierungsorganisationen und Bildungseinrichtungen – die Madrasas – in Bangladesch finanziert. In den Madrasas werden Tausende Schüler unterrichtet, die keine normalen Schulen besuchen können. Eine beachtliche Zahl der Bangladeschis arbeitet in den Schulen als Lehrer oder Mitarbeiter, weshalb die Madrasas in der Gesellschaft eine wichtige Rolle spielen.

Welche Bevölkerungsgruppen sind besonders anfällig für Fundamentalismus?
Die anfälligsten Gruppen sind die Lehrer und Studenten der Madrasas sowie einige Studenten und Lehrer bestimmter Universitäten und höherer Schulen, die angeblich auch saudisches Geld erhalten. Arme und Arbeitslose sind ebenfalls gefährdet.

Wie genau sieht der saudische Einfluss auf die religiösen Schulen, die Madrasas, aus?
Das ist unmöglich zu sagen. Es wird angenommen, dass die Saudis große Geldmengen spenden. Aber diese Spenden werden von der Regierung nicht kon­trolliert. Es gibt keine Transparenz, keine öffentlichen Aufzeichnungen. In den letzten Jahren sind viele Leute zu der Überzeugung gelangt, dass in den Madrasas rechtsgerichtete Gruppen, religiöser Fundamentalismus und religiös motivierte gewalttätige Aktivitäten gestärkt werden.

Sind die Madrasas vor allem ein Ersatz für schlechte öffentliche Schulen?
Nein. Sie sind eher ein Heim für Kinder aus religiösen oder wirtschaftlich marginalisierten Familien. Ein Teil der Madrasa-Schüler gehört zur reichen Oberschicht, die überwältigende Mehrheit stammt jedoch aus armen Familien, die sich keine anderen Schulen leisten können. Es gibt derzeit zwei Formen von Madrasas: Eine wird vom Staat finanziert und kontrolliert, die andere ist unabhängig und entzieht sich jeder Kontrolle. Von den unabhängigen Madrasas wird angenommen, dass sie saudische Gelder erhalten. Sie haben auch den höchsten Anteil an armen Schülern, weil der Unterricht umsonst ist und die Schulen alle Kosten für Unterbringung und Essen übernehmen.

Die Grenzen der Nation Bangladesch wurden seinerzeit so gezogen, dass sie ein Gebiet mit einheitlicher Religion und Sprache umfassten. Ist es für religiöse Fundamentalisten deshalb leichter, hier Fuß zu fassen?
Das Territorium des heutigen Bangladesch war ja zunächst ein Teil Pakistans, als sich nach dem Zusammenbruch der englischen Kolonien 1947 Indien und Pakistan trennten. Das vornehmlich muslimische Ostbengalen wurde zu Ostpakistan, das hinduistische Westbengalen ist bis heute ein Teil Indiens. 1971 löste sich Bangladesch in einem blutigen Unabhängigkeitskrieg von Pakistan, und ein neuer bengalischer Nationalismus, der sich über die Sprache Bengali definierte, ersetzte den eher religiösen Nationalismus Pakistans. Die Mehrheit der Bangladeschis sind Muslime, aber in Religionsfragen sind sie liberal. Etwa fünf bis acht Prozent der Wähler entscheiden sich dennoch für religiös-fundamentalistische Parteien wie die Jamati Islami.

Wie gehen die beiden großen Parteien Bangladeschs, die Awami-Liga und die Nationale Partei, mit dem Thema Religion um?
Sie behandeln religiöse Fragen mit enormer Sensibilität und Rücksicht. Keine der beiden ist in religiöser Hinsicht sehr konservativ, aber sowohl unter Mitgliedern als auch Wählern finden sich gläubige Menschen. Beide Parteien achten deshalb darauf, religiöse Gefühle nicht zu verletzen. Die Awami-Liga (AL) ist eine säkulare Partei. Sie stellte Bangladeschs erste Regierung und führte 1972 die Verfassung ein, die eine Trennung von Staat und Religion vorsah. Nach 1975 fügten Militärregierungen einige religiöse Zusätze hinzu. Als die AL nun erneut an die Macht kam, annullierte sie diese Zusätze nicht. Mittlerweile hat die AL jedoch ein Parlamentskomitee gegründet, das die Wiedereinführung der Grundprinzipien der Verfassung von 1972 erwägen soll: Säkularismus, Demokratie, Sozialismus und bengalischen Nationalismus. Grund für diese Initiative ist ein Urteil des Obersten Gerichtshofes, der kürzlich die Verfassungsänderungen des Militärregimes für verfassungswidrig erklärte. Die Nationale Partei dagegen wurde von einem Militärführer gegründet, der anschließend Politiker wurde, General Ziaur Rahman. Dieser vermischte Religion und Politik, und die Nationale Partei ging Bündnisse mit der rechtsreligiösen Jamati Islami ein. Die AL vertritt eher einen auf der Sprache basierenden Nationalismus, während die Nationale Partei einen religiösen Nationalismus verfolgt. Keine der Parteien ist fundamentalistisch, aber beide versuchen, auch die Stimmen religiöser Wähler zu gewinnen. Beide haben auch Madrasas-Schüler unter ihren Unterstützern.

Wie erreichen sie die religiösen Wähler?
Die Nationale Partei ist den religiös orientierten Parteien und deren Ideologien näher als die AL. Sie versucht, die Unterstützung der religiösen Gruppen zu gewinnen, indem sie unter anderem Stimmung gegen Indien macht. Die AL dagegen spricht immer von Säkularismus – doch auch sie versucht, religiöse Wähler anzusprechen, und sie hat die religiösen Zusätze aus der Verfassung bislang nicht wieder entfernt.

Gibt es im Militär heute fundamentalistische Strömungen?
Es scheint eine kleine Schicht von Militäroffizieren zu geben, die sehr religiös sind und Verbindungen zu rechten religiösen Gruppen wie auch zu Saudi-Ara­bien unterhalten. Es ist aber schwierig, ihre Zahl oder Einfluss zu schätzen. Während 2007 das Notstandsgesetz in Kraft war, gab es einen Militärstreich, aber die vom Militär unterstützte Übergangsregierung verfolgte keine religiöse Agenda. Sie versuchte vielmehr, nach einer gefühlten Korruptionskrise die Demokratie wieder zu stärken.

In Bangladesch gibt es viele Nichtregierungs­organisationen (NRO), die Mikrofinanzierung speziell für Frauen anbieten. Wie gehen
Organisationen wie die Grameen Bank oder das Bangladesh Rehabilitation Assistance Committee (BRAC) mit religiösem Fundamentalismus um?

Die Grameen Bank und BRAC haben keine Verbindungen zu fundamentalistischen Gruppen. Sie werden im Gegenteil von diesen Gruppen kritisiert, und in ländlichen Gebieten werden ihre Büros und Mitarbeiter sogar gelegentlich angegriffen. Aber eine schwer einzuschätzende Zahl islamischer NROs in Bangladesch soll Gelder aus Saudi-Arabien und anderen islamischen Quellen erhalten. Ich erwähnte bereits, welch wichtige soziale Rolle beispielsweise die Madrasas spielen.

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