Demokratie

Die Demokratiekrise in Peru dauert an

Seit Präsidentin Dina Boluarte das Amt von Pedro Castillo übernommen hat, hat sich die Spaltung des Landes vertieft. Politik- und Korruptionsskandale sind an der Tagesordnung.
Proteste gegen Präsidentin Boluarte und die Polizei im Januar. picture-alliance/ZUMAPRESS.com/Hector Adolfo Quintanar Perez Proteste gegen Präsidentin Boluarte und die Polizei im Januar.

Seit den späten 1990er-Jahren wurde Peru für seine makroökonomische Stabilität und sein Wachstum gelobt, das auf Steuerdisziplin, Schuldenvermeidung und hohen staatlichen Reserven basierte. Nutznießer waren Mittelschicht, Wirtschaftselite und ausländische Investoren, denen daran gelegen war, dass alles so bleibt. „Autopilot“ wurde das Ganze daher spöttisch genannt.

Im Kontrast dazu steht die aktuelle politische Lage in Peru. Gegen alle lebenden Ex-Präsidenten laufen Ermittlungen, sie wurden festgenommen oder verbüßen Haftstrafen. Einer beging Selbstmord, um sich dem zu entziehen.

2021 wurde der linke Dorflehrer und Gewerkschaftsführer Pedro Castillo Präsident. Unter ihm erlebte das Land einen Tiefpunkt. Castillo erwies sich als unqualifiziert, inkonsistent und offenbar korrupt. Dauernd wechselte er Minister aus und schloss neue Bündnisse. Für sein politisches Überleben übernahm er sogar, was seine Gegner ihm diktierten. Angesichts heftiger Opposition war seine Präsidentschaft eine permanente Regierungskrise. Nach einem versuchten Staatsstreich wurde er nach anderthalb Jahren des Amtes enthoben. Im Dezember 2022 trat Vizepräsidentin Dina Boluarte seine Nachfolge an.

Demonstrierende fordern Neuwahlen

Die Situation beruhigte sich allerdings nicht. Anhänger Castillos und andere gingen auf die Straße. Sie forderten Neuwahlen, ein Ende der Amtszeit von Boluarte und des Parlaments sowie eine neue Verfassung.

Die Regierung ignorierte alle Forderungen. Die Demonstrierenden wurden kriminalisiert, mehr als 70 Menschen starben bei den Protesten. Umfragen zeigen, wie unpopulär die Regierung ist: Alle drei Regierungszweige halten nur mit Mühe zweistellige Zustimmungswerte. Die Stimmung im Land ist instabil und konfrontativ.

Enttäuschte Wähler*innen

Seit den 2000er-Jahren waren die peruanischen Wähler*innen gespalten zwischen wirtschaftlichem Liberalismus und einer Politik der sozialen Sicherung. Die Kandidat*innen gingen Kompromisse zwischen beiden ein, dennoch erfüllte keine der Regierungen die Erwartungen in sozialer Hinsicht. Indem sie dem „Autopiloten“ zustimmten, verliehen sie indirekt den Profiteuren Macht.

In der Folge verloren sie das Vertrauen der Wähler*innen. Vor allem in der Provinz und auf dem Land suchten die Menschen nach Alternativen an den politischen Rändern. Viele fühlten sich zunehmend ausgegrenzt, da auch Klassismus, Regionalismus und Rassismus eine Rolle spielten.

Man könnte sagen, dass es in Peru seit geraumer Zeit keine politischen Parteien mehr gibt – sondern nur noch Zufallsallianzen, die sich kurz vor Wahlen gründen und ähnliche Agenden verfolgen. Keine davon hatte ein konsistentes Programm. Wahlsiege werden vielmehr als Chance gesehen, Regierung und Behörden zu kontrollieren und die Interessen von Lobbygruppen durchzusetzen.

Skandale und Polarisierung

Investigative Journalist*innen berichten täglich über politische Skandale und Korruption. Beispiele sind Polizeigewalt – in einem Fall mit 17 Toten –, ein Kongressabgeordneter, der seine Assistentin vergewaltigte oder auch Minister und Richter mit gefälschten Uni-Abschlüssen. Solche Enthüllungen bleiben jedoch folgenlos. Das Establishment schützt die Täter, bis keiner mehr hinsieht.

Viele in der peruanischen Politik setzen auf Strategien, die mit „postfaktisch“ und „Kulturkampf“ umschrieben werden können. Ein Ergebnis davon ist der Aufstieg der extremen Rechten und Linken. Zuletzt hat der Machtwechsel zu Boluarte den Aufstieg von rechten Hardlinern begünstigt, die Regierungsposten besetzten und ihre Position stärkten. Diese Dynamik spaltet das Land weiter – und verschärft die Dysfunktionalität von Institutionen.

Im Kontext der „Pink Tide“ (siehe Kasten) in Lateinamerika ist die jüngste Entwicklung in Peru sicherlich speziell. Es darf bezweifelt werden, dass ein politischer und gesellschaftlicher Konsens erreicht werden kann, um eine gemeinsame Richtung für das Land zu finden.

Daniel Callo-Concha ist ein peruanischer Autor und Wissenschaftler am Institut für Umweltwissenschaften der Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU). Er forscht am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn.
d.callo-concha@uni-bonn.de

Antonia Bihlmayer hat Geschichte, Spanisch und deutsche Literatur studiert. Sie arbeitet im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn.
antonia.bihlmayer@web.de

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