Philippinen

Der Fluch des Sextourismus

Die Sexindustrie auf den Philippinen ist eine Schande für die Nation und zeugt von sich ausbreitender Korruption. Selbst Kinder sind vor sexueller Ausbeutung nicht sicher.

[ Von Pater Shay Cullen ]

Die Sexindustrie auf den Philippinen wächst und breitet sich auf dem ganzen Archipel aus. Hotels, Bars und Clubs dienen als Fassade. Jedes Jahr kommen schätzungsweise 1,2 Millionen alleinreisende männliche Touristen ins Land. Wie viele von ihnen Sexdienstleistungen in Anspruch nehmen, ist nicht bekannt; es ist kein formal organisiertes Gewerbe. Klar ist aber, dass Sextouristen die Jugend des Landes ausbeuten und entwürdigen. Frauen, aber auch junge Mädchen stehen denjenigen zur Verfügung, die bereit sind, für ihre sexuellen Gelüste zu zahlen.

Sexclubs machen mit Genehmigungen und Lizenzen örtlicher Bürgermeister Werbung. Ihre Mädchen haben angeblich keine sexuell übertragbaren Krankheiten. Ein Clubbesitzer erzählte mir stolz, dass staatliche Mitarbeiter Tests durchführen, um sicher zu gehen, dass die Frauen ihre Kunden nicht anstecken.

Diese Gesundheitskontrolleure scheint es aber nicht weiter zu beunruhigen, dass die jungen Frauen physischen und psychologischen Schaden erleiden. NROs haben zweifelsfreie Beweise dafür, dass durch private Vermittlung schon Kinder im Alter von 14, manchmal sogar erst elf Jahren käuflich sind.

Laut Unicef werden jedes Jahr eine Million Kinder im Sexgeschäft missbraucht. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) schätzt, dass es sogar eher 1,8 Millionen sind. Unicef geht davon aus, dass allein auf den Philippinen jährlich 60 000 Minderjährige betroffen sind – NROs halten 100 000 für eine realistischere Größe.

Perverse Denkweise

Natürlich ist es auf den Philippinen illegal, Kinder sexuell zu missbrauchen. Aber es ist fast unmöglich, diejenigen gerichtlich zu belangen, die sich nicht an das Gesetz halten. NROs wie Preda kämpfen für die Rechte missbrauchter Kinder. Auf das Rechtssystem können sie sich allerdings nicht verlassen – Korruption ist auch hier an der Tagesordnung. Allzu oft stellen sich Staatsanwälte auf die Seite der angeklagten kommerziellen Sexanbieter und ignorieren die Rechte der illegal vermittelten, vergewaltigten und missbrauchten Kinder. Bestechungsgelder von Menschenhändlern, Politikern oder Sexkunden stellen sicher, dass alles so bleibt, wie es ist. In einigen Fällen ignoriert die Staatsanwaltschaft einfach Fälle, die laut Gesetz innerhalb von 90 Tagen verhandelt werden müssten.

Erst kürzlich haben Staatsanwälte in Olongapo-Stadt auf Anklagen gegen zwei Menschenhändler aus den USA verzichtet. Die Männer hatten zwei Mädchen von ihrem zehnten Lebensjahr an vier Jahre lang als Sexsklavinnen gefangen gehalten. Eine der beiden ist jetzt schwanger. Sie ist 15. Die Strafverfolger erhoben nicht einmal Anklage wegen sexuellen Kindesmissbrauchs. Die Tatverdächtigen wurden nicht weiter belangt.

Auch im Privatsektor gibt es Korruption, in den Medien zum Beispiel. Eine örtliche Organisation von Medienbeobachtern hat den Begriff „Briefumschlagsjournalismus“ für ein trauriges Phänomen geprägt: Journalisten werden dafür bezahlt, über ein bestimmtes Thema nicht oder nur aus einer bestimmten Perspektive zu schreiben. Politiker und Angeklagte geben ihnen Briefumschläge mit Geld, um die Wahrheit zu vertuschen.

Zu diesem Zuckerbrot gehört allerdings auch eine Peitsche. Die Philippinen haben einen traurigen Ruf für „Medienmassaker“, die Ermordung von Journalis­ten (siehe Alan C. Robles in E+Z, 5/2009, S. 188 f.). Todeskommandos bedrohen nicht nur Medienmitarbeiter. Auch ehrliche Staatsbeamte oder NRO-Aktivis­ten sind gefährdet. Korruption ist so gängig geworden, dass die Standardreaktion für die meisten Leute ist: „Was ist für mich drin?“ Die viel wichtigere Frage – nämlich, was moralisch akzeptabel und richtig ist – bleibt meist auf der Strecke.

Die Sexindustrie steht im Zentrum dieses korrupten Denkens. Ihre Hauptbotschaft ist, dass alles käuflich ist – selbst der Körper eines minderjährigen Mädchens. Die traurige Wahrheit ist, dass der Sextourismus, selbst in seiner kriminellsten Form, politisch protegiert wird. Er bringt ausländische Devisen und sichert Lokalpolitikern, die teils selbst in dieses Geschäft investieren, hohe Einkommen. Ein Bürgermeister, der seine Stadt als Sexressort beworben hatte, wurde sogar zum Tourismusminister des Landes berufen. Mädchenhandel oder die Aktivitäten pädophiler Sextouristen auf den Philippinen werden hingegen selten geahndet.

Allerdings ist es schädlich für ein Land, als Zielort von Sextouristen zu gelten. Natur- oder kulturinteressierte ausländische Touristen können leicht vor einem solchen Ruf zurückschrecken, weil sie um ihren eigenen fürchten.

Wie Sklavinnen

Die Bedeutung des Kindesmissbrauchs in der Sexindustrie ist nicht zu unterschätzen. Prostitution von Kindern und die von Erwachsenen ist kaum voneinander zu trennen. Viele erwachsene Prostituierte wurden schon in jungen Jahren in dieses Geschäft gezwungen. Und wenn eine junge Frau wie eine Sklavin gehalten wird, macht es keinen großen Unterschied, ob sie 21 Jahre alt ist oder unter 18 – ­ihre grundlegenden Menschenrechte auf Freiheit und Selbstbestimmung werden so oder so permanent verletzt.

Wenn sie erst einmal mit dem Stigma Prostitution behaftet ist, schwinden die Chancen einer jungen Frau, in die Gesellschaft zurückzukehren, eine Familie zu gründen und ein normales Leben zu führen. In den Philippinen werden sogar minderjährige schwangere Prostituierte zu Abtreibungen in illegalen Kliniken gezwungen. Oft versuchen sie, Schwangerschaften zu verstecken. Das führt dazu, dass sie dann sehr spät abtreiben – ein besonders schreckliches Verbrechen. Entgegen den Behauptungen der Sexindustrie, sind Geschlechtskrankheiten inklusive HIV/Aids weit verbreitet.

Es ist bekannt, dass Mädchen in der Sexindustrie psychischen Schaden nehmen. Viele werden einer Gehirnwäsche unterzogen, damit sie glauben, der Sexclub sei ihr neues Zuhause, wo sie eines Tages einen Ausländer kennenlernen, der sie heiraten wird und mit dem sie dann ein glückliches Leben im Ausland führen werden. Das ist natürlich ein Hirngespinst, aber die Kinder glauben daran und halten Ausschau nach ihrem „Sugar-Daddy“. Es ist sehr schwer für diese Mädchen, ein Selbstwertgefühl zu entwickeln. Sie erleben sehr viel Feindlichkeit und Gewalt und haben kein Vertrauen in Erwachsene. Ihre Lebenserfahrung ist geprägt von Missbrauch, Zurückweisung und Härte.

Eine Nation ist danach zu beurteilen, wie sie ihre Jugend und ihre Kinder behandelt. Hotels und Clubs können nicht ohne amtliche Erlaubnis und Lizenz arbeiten. Die lokalen Behörden müssen Verantwortung übernehmen. Es ist ein Skandal, dass den philippinischen Behörden der politische Wille und einigen Staatsanwälten der moralische Mut fehlt, dem Gesetz überall Geltung zu verschaffen.

Dunkle Seite der Globalisierung

Aber auch die Herkunftsländer der Touristen spielen eine Rolle. Sie müssen endlich einsehen, dass der Sexhandel ein globales Geschäft ist und ihre Bürger ein Teil des Problems sind. Sextouristen schaffen Nachfrage und zahlen viel Geld. Die Geberregierungen sollten sich klarmachen, dass einige ihrer Bürger in der Ferne Sexualverbrechen begehen. Ihr krimineller Appetit wird auf den Philippinen angeregt, und es ist wahrscheinlich, dass sie auch zu Hause verletzliche Minderjährige zum Opfer machen. Zudem besteht die Gefahr, dass sie sexuell übertragbare Krankheiten verbreiten, inklusive HIV/Aids. Es ist im Interesse der EU und ihrer Mitgliedsstaaten, die moderne Sexsklaverei zu bekämpfen.

Handel und Ausbeutung junger Menschen als Sexsklaven sind weltweit verbreitet. Das US-Außenministerium veröffentlicht jährlich eine Länderrang­liste. Unter „besonderer Beobachtung“ zu stehen, ist schlecht – und das galt für die Philippinen im vergangen Jahr erneut. Im Menschenhandelsbericht des State Department heißt es: „Die Philippinen sind Ursprungs-, Transit- und Zielland von Männern, Frauen und Kindern, die zur ­sexuellen Ausbeutung und Zwangsarbeit gehandelt werden.“

Der Bericht dokumentiert, dass Philippinas zur kommerziellen sexuellen Ausbeutung ins Ausland gebracht werden, primär in asiatische Länder, aber auch nach Afrika, in den Nahen Osten und nach Westeuropa. Philippinische Frauen würden zudem auch innerhalb des Landes vom Land in die Städte geholt, „um dort kommerziell sexuell ausgebeutet oder zur Arbeit als Hausmädchen oder Fabrikarbeiterinnen gezwungen zu werden“. Die Kehrseite des Sextourismus ist offenbar Menschenhandel.

Zeichen der Hoffnung

Natürlich gibt es auf den Philippinen auch Zeichen der Hoffnung. Im vergangenen Jahr wurde ein Antikinderpornographiegesetz verabschiedet. Es spiegelt ähnliche Gesetze in anderen Ländern wider und verbietet Besitz, Herstellung, Verteilung und Zeigen von Bildern von sexuellen Aktivitäten, in denen Kinder oder deren Geschlechtsteile involviert sind. Auch Versuche, solche Bilder übers Internet oder per Handy zu erhalten oder weiterzugeben, sind illegal. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern sind Internetprovider auf den Philippinen dazu verpflichtet, Filtersoftware zu installieren, die Kinderpornographie blockiert.

Die Durchsetzung von Gesetzen ist allerdings ein ganz eigenes Thema. Preda und andere NROs werden Staat und Internetanbieter an dieser Stelle genau im ­Auge behalten.

Im Mai gewann Senator Benigno Aquino III bei den Präsidentschaftswahlen mit dem Versprechen, die Korruption zu bekämpfen, einen Erdrutschsieg. Das beweist, dass die philippinische Bevölkerung endlich eine integere, ehrliche Regierung wünscht. Die Frage ist, ob es ihm und seiner neuen Regierung gelingt, die vorherrschende Kultur der Korruption zu überwinden und einen Wandel herbeizuführen. Wir hoffen das inständig.

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