Regierungshandeln

Sieg Bolsonaros würde globale Klimakrise verschärfen

Die Präsidentschaftswahlen in Brasilien am 2. Oktober (mit möglicher Stichwahl am 30. Oktober) werden die folgenreichsten seit der Demokratisierung Mitte der 1980er Jahre sein – womöglich sogar überhaupt. Brasiliens junge Demokratie steht unter Beschuss. Wie auch andernorts – etwa in den USA – ist es der gewählte Staatschef, der die demokratischen Institutionen angreift.
Demo gegen Bolsonaro und für Umweltschutz in Rio de Janeiro 2019. picture-alliance/ASSOCIATED PRESS/Silvia Izquierdo Demo gegen Bolsonaro und für Umweltschutz in Rio de Janeiro 2019.

Präsident Jair Bolsonaro hat nie einen Hehl aus seinen autoritären Neigungen gemacht. Als Kongressabgeordneter sagte er im Fernsehen, er würde, sollte er zum Präsidenten gewählt werden, tags darauf einen Putsch anführen. Als Staatschef vertrat er die Interessen von Militär und Polizei. Er spricht von „seiner“ Armee und gibt vor, deren volle Unterstützung zu haben, wenn er Verfassung und Gerichte in Frage stellt.

Bolsonaro hat auch radikale Gruppen gegen Richter des Obersten Gerichtshofs und politische Gegner mobilisiert. Umfragen zufolge unterstützt ihn etwa ein Drittel der Wähler. Der radikale Kern ist erheblich kleiner, aber laut. Der Präsident hat alles dafür getan, den Waffenzugang zu erleichtern – seit 2019 besitzen erheblich mehr Brasilianer Schusswaffen. Er kopiert gerne den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. Der Aufstand im US-Kapitol am 6. Januar 2021 ist ein böses Omen. Verliert Bolsonaro die Wahl, so wird er wohl versuchen zu putschen – und zu Gewalt aufrufen.

Keine Kontrolle und Gegenkontrolle mehr

Bolsonaro hat alles dafür getan, das brasilianische System der gegenseitigen Kontrolle und die Unabhängigkeit der Institutionen, die die Exekutive überwachen sollen, zu zerlegen. Politikwissenschaftler halten nicht machtgierige Generäle, sondern gewählte Führungspersönlichkeiten, die stetig Institutionen untergraben, für die größte Gefahr der heutigen Demokratie. Das Buch „Wie Demokratien sterben: Und was wir dagegen tun können“ der Harvard-Professoren Steven Levitsky und Daniel Ziblatt wurde in Brasilien nicht grundlos zum Bestseller.

Bolsonaro stellt Brasiliens Wahlsystem in Frage, ohne dass je ein Betrug festgestellt wurde. Das System ist transparent und wird von der Öffentlichkeit genau beobachtet. Doch eine gut finanzierte Desinformationskampagne in sozialen und herkömmlichen Medien gibt Bolsonaros Vorwürfen Auftrieb.

Sollte Bolsonaro wiedergewählt werden, wird er wohl weiter institutionelle Hürden für eine Diktatur beseitigen. Das ist in Ländern wie der Türkei, Ungarn oder Indien zu beobachten, wo populistische, autoritäre Regierungen im Amt bestätigt wurden. Wahrscheinlich aber gewinnt der ehemalige Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, der gegen Bolsonaro antritt. Das wird Bolsonaro aber wohl nicht einfach akzeptieren. In Brasilien könnte sich Ähnliches abspielen wie in Washington am 6. Januar 2021.

Folgen für das Weltklima

Ein von Bolsonaro verursachter Niedergang der Demokratie hätte internationale und globale Folgen. Tatsächlich ist die Zukunft der Menschheit gefährdet, denn Brasilien ist das Land mit der größten Biodiversität der Welt, und seine Wälder sind maßgeblich für die Kontrolle der globalen Erwärmung. Bolsonaro hat stetig daran gearbeitet, Umweltbehörden das Geld zu entziehen, sie zu entmündigen und zu blockieren. Unter ihm wurde schneller abgeholzt als sonst. Laut Forschern steht der Amazonas kurz davor, dass er sich nicht mehr erholen kann und zur Savanne oder Wüste wird.

Mit mehr als 210 Millionen Menschen ist Brasilien die fünftbevölkerungsreichste Demokratie der Welt. Ihr Ende wäre ein gefährlicher Präzedenzfall für Südamerika, dessen halbe Bevölkerung, Wirtschaftsleistung und Fläche es einnimmt. Eine Diktatur Bolsonaros wäre ein Sieg des rechtsextremen Populismus weltweit.

Nur wenn man anerkennt, dass Brasiliens Demokratie gefährdet ist, kann man sie schützen. Die internationale Gemeinschaft sollte wachsam sein. Zum Glück kann Bolsonaro nicht mit dem Rückhalt irgend­einer der Weltsupermächte zählen. Nicht einmal die BRICS-Mitglieder China und Russland scheinen daran interessiert zu sein, die globale Instabilität zu verschlimmern, indem sie ihn unterstützen (zum internen Zusammenhalt der BRICS siehe Praveen Jha auf www.dandc.eu).

Was westliche Regierungen tun sollten

Eine klare Ansage der demokratischen westlichen Regierungen wäre aber hilfreich. Sie sollten deutlich machen, dass die brasilianische Verfassung zu respektieren ist und dass es inakzeptabel ist, die Regeln der Demokratie zu untergraben. Die US-Botschaft in Brasília hat gut daran getan, hervorzu­heben, dass das brasilianische Wahlsystem ein internationales Modell ist. Wichtig ist auch, die brasilianische Militärführung von der Versuchung abzubringen, einen Putsch zu unterstützen. Der Besuch des US-Verteidigungsministers Lloyd Austin im Juli in Brasilien war sicherlich dazu gedacht.

In Reaktion auf Russlands Angriff auf die Ukraine haben die westlichen Regierungen massive und ungekannte Wirtschaftssanktionen verhängt. Sie könnten ankündigen, dieses Arsenal zur Verteidigung der brasilianischen Demokratie zu nutzen. Bolsonaro stützt sich auf das reaktionäre Agrobusiness. Die EU sollte klarmachen, dass Brasiliens Rohstoffexporte nur dann auf ihren Markt gelangen dürfen, wenn sie Umweltstandards einhalten und nicht zur Entwaldung beitragen – und das sollte auch für Abkommen mit der Mercosur-Gruppe gelten, zu der Brasilien gehört.

Präventivmaßnahmen ausländischer Mächte können Bolsonaro und seine Anhänger einschüchtern. Sie erhöhen den Preis für die Etablierung einer autoritären Herrschaft und können sogar zu einem friedlichen Machtwechsel in Brasilien beitragen, dem immerhin wichtigsten Merkmal einer Demokratie.


André de Mello e Souza ist Wirtschaftswissenschaftler bei Ipea (Instituto de Pesquisa Econômica Aplicada), einer staatlichen Denkfabrik in Brasilien.
andre.demelloesouza@alumni.stanford.edu
Twitter: @A_MelloeSouza

 

Relevante Artikel

Governance

Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.