Abfallmanagement

Die sauberste Stadt Sierra Leones

Früher landete der größte Teil des Mülls von Bo auf illegalen Deponien, in Hinterhöfen, in Abwasserkanälen oder wurde verbrannt. Heute bringen Mitarbeiter des städtischen Abfallamts und private Müllsammler 45 Prozent des gesamten Abfalls der zweitgrößten Stadt Sierra Leones zur Deponie, um ihn fachgerechter zu entsorgen und zu recyceln.
Die Klin Bo Services holen mit motorisierten Dreirädern Müll ab. Welthungerhilfe Die Klin Bo Services holen mit motorisierten Dreirädern Müll ab.

In den rapide wachsenden mittelgroßen Städten Sierra Leones fallen pro Bewohner täglich etwa 450 Gramm Abfall an. Hinzu kommen 250 Gramm an menschlichen Fäkalien. Fehlende Kanal- und Mülltransportsysteme führen zu einer unregulierten Entsorgung und damit zu hohen Ansteckungsraten vermeidbarer Krankheiten.

Seit 2013 unterstützt die Welthungerhilfe die Stadtverwaltung von Bo bei der Verbesserung ihres Abfallmanagementsystems: Sie bildet freiberufliche Müllsammler, Fäkalgrubenentleerer, Müllverwerter und Händler fort und vernetzt sie mit den staatlichen Behörden. Ein städtisches Abfallamt wurde gegründet und die Transport- und Entsorgungskapazitäten verbessert.

Zusammen mit den traditionellen Autoritäten und unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft werden lokale Verordnungen durchgesetzt und Verhaltensregeln verbindlich gemacht. Das entstehende integrierte Abfallmanagementsystem zeigt erste Erfolge: Bo gilt als sauberste Stadt des Landes, und andere mittelgroße Städte beginnen, das Modell zu kopieren.


Illegale Deponien

Im Jahr 2013 fielen 24 850 Tonnen Haushaltsmüll und 8 000 Tonnen gewerbliche Abfälle in der 200 000-Einwohner-Stadt Bo an. Das ist wenig im internationalen Vergleich, war aber zu viel für die öffentlichen Entsorgungssysteme. Zu diesem Zeitpunkt konnte die städtische Müllsammlung nur eine Grundversorgung für rund 30 Prozent aller Haushalte bieten. Trotz der hohen Bereitschaft der Bevölkerung, für Müllentsorgung zu bezahlen, gab es 2014 mindestens 127 illegale Müllabladeplätze in Bo. Zusätzlich landeten die Abfälle in Hinterhöfen, auf brachliegenden Grundstücken, in den Regenabflusskanälen der Hauptstraßen oder wurden verbrannt.

Diese schlechten hygienischen Verhältnisse zusammen mit dem hohen Bevölkerungswachstum stellen eine ernste Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung dar. In Bo fielen 2014 etwa 18 250 Tonnen menschlicher Fäkalien an. Ein Kanalisationssystem existiert nicht. 67 Prozent der Stadtbewohner sind auf Latrinen angewiesen, 48 Prozent teilen sich Toiletten mit anderen Haushalten, und 18 Prozent der befragten Haushalte berichteten von einem Überlaufen der Toilettengruben. Das Verrichten der Notdurft im Freien ist weit verbreitet; ebenso die sogenannten fliegenden oder DHL-Toiletten – Plastiktüten werden mit Fäkalien gefüllt und dann auf unregulierte Müllkippen oder in die Regenabflusskanäle der Stadt geworfen.


Integriertes Abfallmanagementsystem

Ein integriertes Abfallmanagementsystem besteht aus Müllvermeidung, effizientem Abtransport von Abfällen, Verbesserung der Recyclingquote und umwelt- und gesundheitsgerechter Entsorgung von Müll und Fäkalschlamm.

Voraussetzung dafür ist eine funktionierende Verwaltungsstruktur. Bis 2014 war der Mülltransport die einzige öffentliche Dienstleistung. Seit 2015 umfasst ein operativ unabhängiges Abfallamt alle Segmente der Kreislaufwirtschaft, von der Müllsammlung in Kooperation mit Jugendgruppen über den weiterhin öffentlich organisierten Mülltransport und die systematische Förderung von Kleinunternehmen im Re­cyclingsektor bis hin zum Bau einer kontrollierten Mülldeponie, die voraussichtlich Ende 2016 in Betrieb geht.

Teilbereiche des Müllsektors wurden an die örtliche Privatwirtschaft ausgelagert, etwa die Müllsammlung an das Jugendnetzwerk Klin Bo Services oder die Wiederverwertung an sogenannte Waste-to-Wealth-Unternehmer. Über die Förderung von Klein- und Kleinstunternehmen entstand ein formaler Müllmarkt mit Sammlern, Händlern und Verwertern von Wertstoffen. Mit der Zivilgesellschaft und den traditionellen Autoritäten wurden kommunale Gesetze erarbeitet, zum Beispiel ein stadtweites Verbot, Müll unreguliert zu entsorgen.

Für die Auftragsvergabe der Stadtverwaltung an den lokalen Privatsektor in Form von lizenzierten Marktmonopolen für Müllsammlungsdienstleis­tungen in einzelnen Stadtvierteln und die öffentliche Förderung von Müllverwertern war eine klare Definition von Auftragszielen und die Festlegung von Leis­tungsindikatoren vonnöten. Das öffentliche Monitoring führt zu einer erhöhten Systemeffizienz, indem Korruption reduziert wird und sich innovative und kostengünstige Verfahren durchsetzen.

Mit diesem Ansatz betrat die Stadtverwaltung landesweit Neuland. Das „Bo-Modell“ wurde in verschiedenen nationalen Gremien diskutiert und auf Ministerialebene vorgestellt. Die positive Außendarstellung und der Gewinn des ‚Best City Council Awards 2015’ trugen erheblich zur lokalen Ownership des Entwicklungsprozesses bei.


Müllabholung an der Haustür

Ursprünglich unterhielt die Stadtverwaltung 12 Sammelstellen, an denen die Bevölkerung ihren Haushaltsmüll gebührenfrei abgeben konnte. Den kostenaufwendigen Transport zur Deponie übernahm die Stadtverwaltung. Allerdings nutzte weniger als ein Drittel der Bevölkerung dieses System. Zudem erfolgte der Abtransport nicht zuverlässig – die Müllcontainer liefen regelmäßig über. Menschen, die an den Sammelstellen wohnten, zündeten die Container an, um das Aufkommen von Fliegen zu unterbinden und die Geruchsbelästigung zu verringern.

In einer von der Welthungerhilfe durchgeführten Umfrage zeigte sich ein großer Teil der Bevölkerung bereit, eine Müllgebühr zu bezahlen, falls der Haushaltsabfall zuverlässig und direkt an der Tür abgeholt wird.

2013 ergänzte die Stadtverwaltung ihr System der Müllsammelstellen um ein Müllabholsystem. Dazu unterteilte sie das Stadtgebiet in zehn Zonen und vergab für jede Zone ein Monopol zur Müllabholung an Jugendgruppen. Diese sollten sich ihren Kundenstamm selbstständig aufbauen. Die Müllabholer organisierten sich im Netzwerk Klin Bo Services, um mit einer Stimme ihre Interessen gegenüber der Stadtverwaltung vertreten zu können. Um die Kundenintegration in das neue System zu fördern, wurde gleichzeitig die Anzahl der Müllsammelstellen auf sieben reduziert.

Um die Betriebskosten zu reduzieren, wurden die Gruppen auf vier Organisationseinheiten verringert – ein Reformschritt, der mit Unterstützung des Abfallamts 2015 durchgeführt wurde. Gleichzeitig erwiesen sich die Fahrzeuge für den Mülltransport, motorisierte Dreiräder mit einer Transportkapazität von nur 350 Kilogramm, als nicht optimal. Die häufigen Wege von den Wohnhäusern zu den Containern beanspruchten die Dreiräder zu stark. Die zusätzliche Anschaffung von Kleinlastwagen mit einer Transportkapazität von zwei Tonnen schaffte Abhilfe.

Während das Geschäftsmodell mit den Dreirädern darauf ausgelegt war, den Müll von den Häusern zu den Sammelstellen zu bringen, wird er nun direkt zur Deponie transportiert. Die Stadtverwaltung subventioniert diesen weiteren, teureren Transport.

Mit der Einführung der Müllabholung durch Jugendgruppen wurde die Versorgungsrate in Bo 2015 auf 41,3 Prozent der Haushalte gesteigert. Die Verlässlichkeit des Gesamtsystems verbesserte sich ebenfalls erheblich, was Kundenbefragungen belegen.


Pumpen zur Grubenentleerung

Eine mechanisierte Grubenentleerung mit Tankwagen ist aufgrund des engen Straßennetzes in Bo und unzugänglicher und schlecht gebauter Fäkalgruben häufig nicht möglich. Dann kommen manuelle Entleerer, auch „Night Soil Men“ genannt, zum Einsatz. Sie steigen traditionell ohne Schutz in die schmalen Klärgruben und setzen sich Glasscherben, Nadeln und anderen gefährlichen Gegenständen aus. Die Fäkalien werden in der Regel in eine seichte Grube entleert, welche zuvor im Garten oder Hinterhof des Kunden ausgehoben wird. Der Vorgang birgt für alle Beteiligten ein großes Gesundheitsrisiko.

Die Einführung von Handpumpen hat die Arbeit der manuellen Grubenentleerer revolutioniert. Sie sind einfach zu bedienen und können vor Ort nachgebaut werden. Mittels der Pumpen wird der Fäkalschlamm aus den Gruben in einen Tank gepumpt, der an einem einfachen Fahrzeug – zum Beispiel einem motorisierten Dreirad – angebracht ist. So kann der Fäkalschlamm zur Behandlung außerhalb der Stadt abtransportiert und dort grundwasserschonend und fachgerecht entsorgt werden. Zudem entfällt das zeitaufwändige – und für den Kunden kostensteigernde – Ausheben von Gruben zur lokalen Entsorgung.

Insgesamt haben die Neuerungen in Bos Abfallmanagement zu großen Verbesserungen geführt. In der zweiten Jahreshälfte 2015 brachten Mitarbeiter des städtischen Abfallamts und private Müllabholer zusammen durchschnittlich 280 Tonnen Abfall pro Woche zur Müllhalde. Das waren 45 Prozent des angefallenen Mülls. Die Rate hat sich damit in drei Jahren verdoppelt. Die derzeit benutzte Halde Mile  5 außerhalb der Stadtgrenzen wird im Laufe dieses Jahres zu einer lizenzierten, den Mindeststandards entsprechenden Mülldeponie ausgebaut. Neben einem System zur fachgerechten Müllablagerung soll dann auch eine Kompostierungsanlage etabliert werden.


Jochen Moninger war bis Dezember 2015 Landesdirektor Sierra Leone für die Welthungerhilfe; seit Januar ist er Innovationsmanager der Stabsstelle in Bonn.
jochen.moninger@welthungerhilfe.de

Raphael Thurn-Valsassina ist Projektleiter des Abfall­managementprojekts in Bo.
raphael.thurn@welthungerhilfe.de

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