Subsahara-Afrika

„Es ist entscheidend, Wissen auf lokaler Ebene aufzubauen“

In Subsahara-Afrika gibt es viele Biodiversitätshotspots – aber sie sind gefährdet. Im E+Z-Interview erörtert Biodiversitätsexpertin Beth Kaplin, was die Artenvielfalt bedroht. Sie erklärt, warum es wichtig ist, sich von „parachute science“ zu lösen und Kapazitäten vor Ort aufzubauen, um die Umwelt nachhaltig zu schützen.
Bauern bearbeiten ihr Land nahe des Volcanoes-Nationalparks in Ruanda. Die Nachfrage nach Agrarflächen schadet der Biodiversität in Afrika. picture-alliance/AP Photo/Felipe Dana Bauern bearbeiten ihr Land nahe des Volcanoes-Nationalparks in Ruanda. Die Nachfrage nach Agrarflächen schadet der Biodiversität in Afrika.

Was ist „parachute science“, und wie schadet diese „Fallschirmwissenschaft“ der biologischen Vielfalt?
Forschung in Afrika wird immer noch von Wissenschaftler*innen aus reichen Ländern dominiert, die hier für eine eher begrenzte Zeit Feldforschung betreiben. Üblicherweise sind es Forschende aus dem Ausland, die neue Arten in Afrika entdecken. Oft gelten Fachkundige aus dem globalen Norden als Expert*innen für in Afrika heimische Arten.

Diese sogenannte Fallschirmwissenschaft hindert afrikanische Länder daran, das nötige Fachwissen zu entwickeln, um wissenschaftliche Kenntnisse zu sammeln, zu organisieren und zu bewahren. Wertvolles Wissen wird somit nur begrenzt genutzt. So wurden, weil es keine ständige Forschung vor Ort gibt, Veränderungen über die Zeit bei bestimmten Arten nicht verfolgt. Viele relevante wissenschaftliche Erkenntnisse sind heute verstreut, verloren oder gar nicht existent.

Die „Fallschirmwissenschaft“ erstreckt sich auch auf Strategien zur Erhaltung der Biodiversität und Klimaanpassung – oft entworfen von Entwicklungspartnern aus dem globalen Norden. Sie haben die Gelder, um mit afrikanischen Regierungen zu kooperieren und Strategien zu optimieren, die vielleicht anderswo erfolgreich waren. Das funktioniert ähnlich schablonenhaft, wie wenn Berater*innen dieselbe Strategie leicht verändert auf verschiedene ökologische Regionen anwenden.

Warum kritisieren Sie das?
Beim Biodiversitätsschutz geht durch diesen Ansatz wertvolles lokales Wissen verloren – und die Möglichkeit, Handlungskompetenz und Verantwortungsbewusstsein aufzubauen. Forschende aus Afrika werden so nicht geschult, und es wird versäumt, Persönlichkeiten zu fördern, die visionär handeln und kulturell eingebettete Lösungen entwickeln können.

Dabei müssen die Kapazitäten in Afrika gestärkt werden. Wir müssen anfangen, auf Menschen zu setzen, die in Afrika leben, die lokale Sprache sprechen und die Kultur kennen, um ganzheitliche und lokale Lösungen zu entwickeln. Dazu muss die „Fallschirmwissenschaft“ überwunden werden.

An welchen Lösungen arbeitet Ihr Team?
Am Center of  Excellence in Biodiversity and Natural Resource Management an der Universität von Ruanda bilden wir junge Forschende aus Ruanda und der Region aus. Sie lernen, die Artenvielfalt zu analysieren, Arten zu identifizieren und zu erklären, warum sie wichtig sind. Dazu gehört auch die Beschäftigung mit Bioindikatoren. Das sind Arten, die man zur Überwachung von Umweltveränderungen heranziehen kann. Wenn etwa eine bestimmte, auf Verschmutzung empfindlich reagierende Art von Fröschen in einem Feuchtgebiet fehlt, ist das ein Indikator für ein ungesundes Ökosystem. Gleiches gilt für bestimmte Pflanzen- und Libellenarten.

Es ist essenziell, Fachleuten vor Ort beizubringen, wie sie Arten identifizieren und die Dynamik der Ökosysteme verstehen. Damit schließt sich auch der Kreis zur Landwirtschaft: Etliche neu entdeckte Arten sind wichtig für die Bodenfruchtbarkeit und die Leistungsfähigkeit der Pflanzen, von denen eine produktive Landwirtschaft abhängt.

Wodurch ist die Biodiversität in Subsahara-Afrika unmittelbar gefährdet?
Die Nachfrage nach Agrarflächen ist eine große Bedrohung. Armut und schnelles Bevölkerungswachstum erhöhen den Bedarf an Fläche für Landwirtschaft und Wohnraum. In Afrika wurden deshalb Wälder für Ackerland gerodet, was sich stark auf die Artenvielfalt auswirkt.

Der Konflikt zwischen biologischer Vielfalt und Landwirtschaft ist Ursache für die größten Probleme im Zusammenhang mit Biodiversität in Afrika. In Ruanda wird, wie fast überall in Afrika, das Land vor allem landwirtschaftlich genutzt. Idealerweise sollten Ernährungssicherheit und Biodiversität Hand in Hand gehen. Allerdings werden Wälder in noch nie da gewesenem Ausmaß für Landwirtschaft gerodet. Viele Länder setzen bei ihrer nationalen Agrarpolitik auf die Intensivierung der Landwirtschaft, um die Bevölkerung zu ernähren. Nahrung muss aber auch naturverträglich produziert werden. Auch führt die internationale Nachfrage nach Agrarprodukten aus Afrika zu mehr Monokulturen und einer Konzentration auf kommerziell profitable Sorten.

Problematisch ist auch der enorme Einsatz von chemischen Düngern und Pestiziden – oft undokumentiert und unreguliert. Wir wissen zu wenig darüber, wie und wo diese Chemikalien eingesetzt werden. Aber wir wissen, dass sie Süßwasser-Ökosysteme verschmutzen und Bestäubern schaden. Afrikanische Länder müssen zwar produktiver werden; aber mehr Landwirtschaft schadet, wenn sie nicht gut geplant ist, der menschlichen Gesundheit und der Biodiversität.

Was gefährdet darüber hinaus die biologische Vielfalt?
Durch den Ausbau von Infrastruktur, wie etwa Straßen, geht Lebensraum verloren, gibt es Konflikte zwischen Menschen und Wildtieren, sterben Tiere. Auch die damit zusammenhängende Verstädterung ist problematisch. Aktuell sind die Folgen nicht so unmittelbar wie durch die Landwirtschaft, da die meisten städtischen Gebiete schon lange besiedelt sind. Eine gut geplante Urbanisierung kann grünes Wachstum ermöglichen und Biodiversität begünstigen.

Auch der illegale Handel mit Wildtieren ist ein großes Problem. Er wird befeuert durch die hohe Nachfrage nach diversen Arten von Vögeln, Säugetieren und Fischen, insbesondere aus den reichen Weltregionen. Nicht nur Schuppentiere, Elefanten und Nashörner sind dadurch vom Aussterben bedroht.

Welches Thema beschäftigt Sie als Biologin, Forscherin und Lehrerin besonders?
Mich beunruhigt, wie sehr sich die Menschen von der Natur entfernen. In vielen Ländern Afrikas – und auch in anderen Teilen der Welt – kennen die Menschen einheimische Bäume oder Tiere in ihrer direkten Umgebung nicht mehr. Der Eukalyptus etwa dominiert in vielen Ländern Afrikas die Landschaft; die wenigsten wissen aber, dass er aus Australien stammt. Ähnlich ist es beim Bambus, der für Aufforstung verwendet wird und oft aus China stammt.

Junge Menschen haben oft wenig Kontakt zu einheimischen Arten – außer in Schutzgebieten, die meist nur für Touristen zugänglich sind. Das gilt beispielsweise für Ruanda. In der Zentralafrikanischen Republik gibt es zwar noch viele Wälder, aber oft kaum noch Wildtiere. Durch die Entfremdung von der Natur nimmt der Mensch weniger Rücksicht – ein Teufelskreis, der den Verlust der Biodiversität beschleunigt.

Tatsächlich wissen wir nicht einmal, welche Arten oder Sorten aussterben, da wir keine umfassende Liste afrikanischer Arten haben. Mit dem Interesse schwindet auch wertvolles Wissen, das mündlich überliefert wurde, insbesondere von Indigenen. Institute in den USA und Europa verfügen über wichtiges Wissen über die afrikanische Artenvielfalt, das Afrika auch bräuchte. Besonders auf lokaler Ebene wissen wir immer noch zu wenig. Aber was wir nicht kennen, können wir auch nicht wirksam schützen.

Welche Lösungen gäbe es?
Auf politischer Ebene muss mehr getan werden, um innovative Wege zur Verbesserung der Biodiversität zu finden. Um Ernährungssicherheit zu erreichen, müssen wir herausfinden, wie ein Flickenteppich zusammenhängender Landschaften geschaffen werden kann, der sowohl der Biodiversität als auch den menschlichen Bedürfnissen zugutekommt.

Auf der individuellen Ebene sollten die Menschen wieder eine stärkere Beziehung zur Natur um sie herum eingehen. Um das zu tun – und zugleich die Wissenschaft voranzubringen –, könnte man all die faszinierenden Arten, die in Afrika vorkommen, katalogisieren und eine Datenbank aufbauen. Einzigartige Spezies und ihre Bedeutung hervorzuheben, kann bei den Menschen Interesse und Leidenschaft wecken.

Die Forschung zeigt, dass es die Menschen vor Ort braucht, um die Natur effektiv zu schützen. Sie müssen die Biodiversität ihrer Region kennen, sie nachverfolgen können, und bemerken, wenn sich etwas verändert. Politisch Verantwortliche sollten das bei ihren Planungen berücksichtigen. Es ist entscheidend, Wissen und Expertise auf lokaler Ebene aufzubauen. Wir können uns nicht nur auf die sogenannte Fallschirm- oder Hubschrauberwissenschaft verlassen.

Beth Kaplin ist Direktorin des Center of Excellence in Biodiversity & Natural Resource Management an der Universität von Ruanda. Sie ist spezialisiert auf Naturschutz, Tropenökologie und Wechselwirkungen zwischen Pflanzen und Tieren.
b.kaplin@ur.ac.rw

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