Demokratieförderung

Freiwilliger Einsatz

Wahlbeobachtung ist ein Ehrenamt. Wie man Wahlbeobachter wird und wie die Praxis aussehen kann, schildert eine InWEnt-Mitarbeiterin, die selbst schon mehrfach im Einsatz war.

[ Von Regine Reim ]

1990 haben sich die OSZE-Mitgliedstaaten in der „Charter of Paris for a New Europe” dazu verpflichtet:
– demokratische Wahlen durchzuführen,
– daraus die Legitimation ihrer Regierungen abzuleiten sowie
– nationale und internationale Beobachter zuzulassen.

Das Procedere der Wahlbeobachtung ist folgendes: Der Mitgliedstaat der OSZE – Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa –, in dem Wahlen stattfinden, wendet sich an das ODIHR – Office for Democratic Institutions and Human Rights. Dieses richtet vor Ort eine Wahlbeobachtungsmission ein. Zusätzlich zu einem Kernteam gibt es mehrere Langzeit-Wahlbeobachter (LTO) und viele Beobachter, der nur kurzzeitig dort sind (STO). LTOs und STOs werden von den anderen Mitgliedstaaten entsandt. Deutschland schickt zu jeder Mission der ODIHR rund zehn Prozent der Gesamtbeobachterzahl.

Ausgebildet und vorbereitet werden die deutschen Wahlbeobachter im Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF). Dabei ist Qualität gefragt: Beobachten kann nur, wer die erforderlichen Spezialkenntnisse und eine robuste Gesundheit mitbringt. Wahlbeobachtung ist kein touristischer Streifzug mit gemütlichen Sitzpausen an der Wahlurne. Wahlbeobachtung bedeutet: lange Arbeitstage und -nächte, mühselige Fahrten in entlegene Orte, klimatische Belastung. Wer all dies nicht scheut: Nach einer Online-Bewerbung und einem Trainingskurs übernimmt das ZIF geeignete Bewerber in einen Expertenpool. In der Regel können sich nur dessen Mitglieder auf die einzelnen Missionen bewerben. Über den Einsatz wird ein Vertrag mit dem Auswärtigen Amt geschlossen, welches die Teilnehmer an das ODIHR abordnet. Allerdings: Es gibt eine wahre Bewerberflut für die Trainingskurse und in den Expertenpool werden nur noch selten neue Personen aufgenommen.

Der Einsatz ist ehrenamtlich. Wer dabei ist, muss selbst klären, ob der Arbeitgeber ihn freistellt – oder eben Urlaub beantragen. Kosten – rund 1000 Euro, meist für Visa und Hotel, Vergütung für Fahrer und Dolmetscher – werden nach dem Bundesreisekostengesetz erstattet, entsprechend wird auch ein per diem gezahlt.

Was man wissen muss, von rechtlichen Rahmenbedingungen bis zu praktischen Checklisten, ist im Handbuch für Wahlbeobachtung der ODIHR zusammengefasst. Vor jedem Einsatz werden die Unterlagen durch landesspezifische Informationen ergänzt: Wahlgesetze, politische Rahmenbedingungen, Landeskunde. Sinnvoll ist es auch, vor dem Einsatz ein Sicherheitstraining zu belegen; bisweilen kommt es am Wahltag oder infolge der Wahlergebnisse zu gewaltsamen Auseinandersetzungen – wie Ereignisse nach den Wahlen in Kenia und Simbabwe aktuell belegt haben. Eine wertvolle Hilfe kann in derartigen Fällen das Büchlein „Staying Alive“ des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes sein.

Wahlbeobachtung dient der Unterstützung von Demokratisierungsprozessen. Die Teile der Bevölkerung, die an transparenten und fairen Wahlen interessiert sind, fühlen sich durch internationale Beobachter gestärkt – und sei es nur moralisch. Dieser Verpflichtung kann Deutschland nur nachkommen, wenn sich engagierte Bürger ehrenamtlich als Wahlbeobachter zur Verfügung stellen. Als Kurzzeitwahlbeobachter erhält man in kürzester Zeit – ein solcher Einsatz dauert etwa fünf Tage – einen sehr intensiven Einblick in Politik und Kultur des jeweiligen Landes. Manch einer hat in Ländern, in denen eine Briefwahl nicht funktioniert, sogar die mobilen Wahl­urnen in Einzelhaushalte begleitet.

Aber auch der Arbeitgeber kann vom ehrenamtlichen Engagement seiner Mitarbeiter profitieren: Durch Netzwerkbildung und Öffentlichkeitsarbeit. So gibt es im Rahmen von Wahlbeobachtungsmissionen üblicherweise Treffen mit der deutschen Botschaft sowie Vertretern deutscher Institutionen (auch der Entwicklungs­zu­sam­men­arbeit). Vom dortigen Erfahrungsaustausch, vor oder nach der Wahl, können alle profitieren.

Dies gilt insbesondere für Institutionen wie InWEnt. InWEnt ist in der Friedensentwicklung und Demokratieförderung aktiv. Das Internationale Institut für Journalismus (IIJ) beispielsweise gab Trainingsveranstaltungen zur Wahlberichterstattung in Südosteuropa und im Kaukasus. Wahlbeobachtung ist immer wieder eines der vielen Fachthemen des Development Diplomacy Programme der InWEnt. Auch mit Seminaren und Workshops zu Wahlen in Afrika und Nicaragua wird in Deutschland entwick­lungspolitische Bildungsarbeit gefördert.

Nicht zuletzt erlaubt ein derartiger Einsatz auch einen frischen, selbstkritischen Blick auf die Wahlen hierzulande. Wer versiegelt hier transparente Urnen? Sagt die Oma dem Opa, wie er zu wählen hat? Wird neben der Ladung zur Wahl auch ein Personalausweis verlangt? Werden wir dem Vertrauensvorschuss in unsere Wahlverfahren wirklich immer gerecht?

Was kann Wahlbeobachtung leisten?

Eine internationale Wahlbeobachtung kann nur stichprobenartig unterstützen. Auch hier gilt vorrangig die „ownership“ der Staa­ten selbst und eigener, nationaler Beobachter. Und: Ein Wahlbeobachter beobachtet, er greift nicht in den Wahlvorgang ein.

Verletzungen des Wahlrechts werden über das Kernteam der Mission an die landeseigenen Wahlbehörden gemeldet, die selbst für Abhilfe sorgen müssen. Bisweilen hilft auch freundliches Nachfragen im Wahllokal: „Darf nach Ihrem Wahlrecht tatsächlich der Vater stellvertretend für seine ganze Familie wählen? Warum sehen im Wählerverzeichnis 20 Unterschriften exakt gleich aus?“

Schon am Tag vor der Wahl können Wahlrechtsverletzungen bei Berücksichtigung verschiedener Fragen verhindert werden: Kennen die Wahlvorstände die Öffnungszeiten ihres Wahllokals, haben sie ausreichend Stimmzettel, berichten Büros der Kandidaten von Einschüchterungen, welche Kandidaten sieht man in der Wahlwerbung, welchen wird der Zugang zu den Medien verwehrt?
Am Wahltag geht es um stichprobenartige Besuche der Wahllokale; von den Vorbereitungen zur Öffnung – meist weit vor Morgengrauen – über die Stimmauszählung am Abend bzw. in der Nacht bis hin zur Erfassung der Ergebnisse in der übergeordneten Wahlbehörde in den frühen Morgenstunden.

Was Wahlbetrug angeht, sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt: Immer wieder gibt es gefälschte Wählerlisten, Stimmenkauf, Raub der Ergebnisprotokolle und Stimmzettel. Aber es sind auch positive Erlebnisse zu berichten: Wenn etwa der 13-köpfige Wahlvorstand im südtadschikischen 200-Seelen-Dorf geduldig einen halben Tag bis zur Schließung des Wahllokals darauf wartet, ob der einzige verbliebene Wähler nicht doch noch zur Urne kommt. Und das in abgelegenen Regionen, in denen Menschen – meist Bauern – erhebliche Mühen auf sich nehmen, um ihrem Amt als Mitglied im Wahlvorstand gerecht zu werden.

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