Terre des hommes

Globale Mitentscheidung

Die Kinderhilfsorganisation terre des hommes (tdh) lässt seit einigen Jahren ihre Partnerorganisationen aus Afrika, Asien und Lateinamerika die strategischen Ziele der Organisation mitbestimmen. Die meisten Beteiligten sehen das als vertrauensbildendes Vorgehen, das ein Miteinander auf Augenhöhe ermöglicht.
Terre des hommes will Kinderrechte stärken: Schule in Indien. Pesch/terre des hommes Terre des hommes will Kinderrechte stärken: Schule in Indien.

Das ist das Fazit einer Evaluierung, die ein Politikwissenschaftler der Universität Kassel über den globalen Mitentscheidungsprozess von tdh gemacht hat. Dazu wurden 15 Beteiligte aus allen Projektregionen – haupt- wie ehrenamtliche Mitarbeiter – im Rahmen qualitativer Interviews befragt. Sie beurteilten das Partizipationsmodell mehrheitlich als positiv. Sie hoben den hohen Grad an Ownership als positiv hervor und sahen den Konsens über Arbeitsmethoden und Inhalte als sehr viel breiter als früher. Auf globaler Ebene hätten sich viele Synergien und Allianzen herausgebildet, die die gemeinsame Identität – auch zwischen Nord und Süd – verstärkten.

Die Mitbestimmung bei terre des hommes läuft über eine Delegiertenkonferenz, die alle fünf Jahre stattfindet. Darin haben die verschiedenen Beteiligtengruppen der Partnerorganisationen (Haupt- und Ehrenamtliche, Jugendnetzwerk, Südpartner) Sitz und Stimme. Die Konferenz wird in den Zwischenzeiten inhaltlich gut vor- und nachbereitet. Dies ist auch nötig, legt sie doch die wichtigen strategischen Ziele der Organisation fest und bereitet also den inhaltlichen Weg für die jeweils nächsten Jahre.

In den Partnerländern gibt es nationale Plattformen, die inhaltliche Diskussionen über die Arbeitsschwerpunkte organisieren. Nationale Plattformen schicken dann Delegierte in regionale Versammlungen, die dann aus anderer Perspektive Vorschläge für Arbeitsschwerpunkte und ganz konkrete Aktivitäten einbringen. Die Vertreter für die tdh-Delegiertenkonferenz werden aus den regionalen und nationalen Plattformen entsandt.

Die nationalen und regionalen Plattformen funktionieren unterschiedlich gut, was sicher auch mit kulturellen Unterschieden zu tun hat. Aber beispielsweise gelang es über diese globale Struktur, in allen Ländern Diskussionen und Aktivitäten zu ökologischen Kinderrechten zu entfalten. Die Arbeit zu Kinderrechten oder auch zum Thema Kinderarbeit gehört zum Kern der Tätigkeiten von terre des hommes. Ökologische Kinderrechte bedeuten eine neue Akzentsetzung, die zu sehr unterschiedlich ausgeprägten Diskussionen und Aktivitäten führte. So entfaltete das Regionalnetzwerk Südostasien eine Kampagne „Our rivers, our lives“, die bis hin zur UN-Ebene Beachtung fand.

Ein spezifischer Teil des Mitentscheidungsprozesses ist die Jugendbeteiligung. Mit Unterstützung der hauptamtlichen Struktur baute tdh ein internationales Jugendnetzwerk auf, das über Internet in Kontakt steht und sich von Zeit zu Zeit auch trifft. In den Ländern nehmen die Jugendlichen an den Plattformen teil, organisieren aber auch eigene Treffen, um ihre Anliegen in den Prozess einzubringen.

Die Befragten der Evaluierung sahen aber auch zwei Aspekte kritisch: Die Entscheidungsprozesse über die Delegiertenkonferenz dauerten lange. Außerdem ende die Mitentscheidung bei Budgetfragen. Bei der Frage des Geldes wird dann wieder deutlich, dass terre des hommes den Spendern gegenüber in der Verantwortung steht und Budgetfragen vorwiegend im deutschen Hauptquartier entschieden werden. Dieser Widerspruch zwischen Nord und Süd lässt sich nicht einfach lösen.

Aus denselben Gründen wird auch über die Kosten des Prozesses diskutiert. Vereinzelt stellen Befragte in Nord und Süd in Frage, ob man statt eines aufwändigen Mitentscheidungsprozesses nicht lieber mehr Projekte fördern solle. Die große Mehrzahl ist hier allerdings anderer Meinung. Auch die Ehrenamtlichen in Deutschland denken, dass das Partizipationsmodell als Teil des besonderen Charakters von terre des hommes verstanden werden sollte.

Mit einer gewissen Vorsicht gingen die Befragten mit der Frage um, ob das tdh-Modell einen Ansatz für eine bessere Gestaltung der Nord-Süd-Beziehungen darstellt. Es trage sicher dazu bei, eine bessere Verständigung und einen vertieften Austausch zu ermöglichen, und lasse auch mehr Süd-Süd-Diskus­sionen zu.

Mit dem Partizipationsmodell ist eine funktionsfähige Struktur entstanden, die die konkrete Arbeit positiv beeinflusst. Die Qualität der Arbeit steigt zweifelsfrei, die Festlegung und Umsetzung der strategischen Ziele der Organisation sind durch ein stabiles System von Kritik und konstruktivem Umgang miteinander gesichert.


Bernd Overwien ist Professor für Politikdidaktik an der Universität Kassel.
overwien@uni-kassel.de

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