Terrorismus

Islamismus in Ostafrika

Extremistische Gewalt plagt Somalia, Kenia und die Nachbarländer in zunehmendem Maß. Dieser Artikel erläutert, warum die Region zu einer Brutstätte des Islamismus geworden ist und warum eindimensionale militärische Interventionen von außen nicht die gewünschten Ergebnisse bringen. Von Emmanuel Kisiangani
Opfer des Angriffs auf die Garissa-Universität im April. Canik/AA/picture-alliance Opfer des Angriffs auf die Garissa-Universität im April.

In Ostafrika wird der islamische Glauben schon lange politisch instrumentalisiert. Muslime waren in vielen Bewegungen engagiert, auch in den meist weltlich-orientierten Befreiungskämpfen gegen die Kolonialmächte in Tansania (damals Tanganyika), Sudan und Somalia. In Nationalstaaten gibt der Glaube nun oft den Ausschlag für politische Bündnisse. Das ist ein komplexes Thema, das dieser Aufsatz nicht in allen relevanten Aspekte erörtern kann. Er behandelt nur das neue Phänomen des gewalttätig-extremistischen politischen Islam, der im Folgenden „Islamismus“ genannt wird. Seine intolerante Ideologie besteht darin, Regeln des Koran auf radikale Weise durchzusetzen – ungeachtet der Verfassungsordnung eines Landes.

Vor dem „Krieg gegen den Terror“, der in den späten 90er Jahren begann, gab es in Ostafrika kaum islamistische Gewalt. 1998 griffen ausländische Terroristen, die Kontakte zu Al-Kaida hatten, die US-Botschaften in Nairobi und Dar es Salaam an. Seither haben sich allmählich regionale Terrorgruppen herausgebildet, sodass gewalttätiger Islamismus jetzt lokale Konfliktsysteme besonderes in Somalia und Kenia prägt.

In Somalia steht das Aufleben des Islamismus im Zusammenhang mit jahrzehntelangem Bürgerkrieg, Misswirtschaft, fehlender Staatlichkeit und kaum durchdachten ausländischen Interventionen. Die brutalen Al-Shabaab-Milizen kamen Anfang 2007 als Ausdruck patriotischer Militanz gegen das äthiopische Militär auf. Äthiopien war in Somalia einmarschiert, um die Union Islamischer Gerichte zu stürzen, die weite Teile des zerrissenen Landes kontrollierten. Washington und andere westliche Regierungen begrüßten Äthiopiens Politik.

Al-Shabaab sah sich als islamische Miliz im Kampf gegen die äthiopischen Truppen und die vom Westen unterstützte Übergangsregierung. Al-Shabaab betrachtete letztere als Marionettenregime und die äthiopischen Soldaten als „Eindringlinge“.

Erklärtes Ziel der Miliz ist, Somalia zu einem islamistischen Staat zu machen. Äthiopien zog im Dezember 2008 und Januar 2009 seine Truppen ab. Seither kämpft Al-Shabaab gegen die Übergangsregierung und die Mission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM). AMISOM ist eine im Jahr 2007 gestartete regionale Friedensmission. Bislang konnte Al-Shabaab nicht besiegt werden. Das lieg nicht nur an ihren ständig wechselnden Strategien und Mitteln, sondern auch daran, dass sich manche lokale Gemeinschaften von der Miliz nicht bedroht, sondern beschützt fühlen (siehe Kasten). Dass es in Äthiopien und Kenia somalische Minderheiten gibt, trägt zu den Problemen bei.

Die bewaffneten Interventionen gegen Islamisten haben heftige fundamentalistische Gegenreaktionen ausgelöst. Markus Virgil Höhne hat aufgezeigt, warum externe Anti-Terror-Maßnahmen kontraproduktiv waren. Soziale, kulturelle und politische Gegenbewegungen machen in der Region rein militärische Lösungen unmöglich. Das heißt nicht, dass der Kampf gegen Terrorismus nicht berechtigt wäre. Um ihn zu gewinnen, müssen jedoch komplexe Identitäts- und Glaubensfragen sowie lokale Grundbedürfnisse berücksichtigt werden.


Kenianische Herausforderungen

Dass extremistischer Islamismus in Kenia zunehmend auftritt, liegt mit daran, dass die Beziehungen der Hauptstadt Nairobi zur Peripherie seit einiger Zeit gestört sind. Das gilt vor allem für die Küste und den Nordosten, wo überwiegend Muslime leben. Sie erleben  Ausgrenzung und bisweilen sogar Unterdrückung.


In den 90er Jahren forderte der separatistische Mombasa Republican Council (MRC) einen unabhängigen Staat, um die Küste von „der Misshandlung und Ausgrenzung durch aufeinanderfolgende kenianische Regierungen“ zu befreien. Der MRC basierte ursprünglich nicht auf dem Glauben. Er wurde 2010 für illegal erklärt und ist mittlerweile untergetaucht.

Viele Gruppen an der Küste unterstützen zwar nicht den MRC-Separatismus, aber sie spüren eine ähnliche Unzufriedenheit. Die von MRC-Akteuren artikulierten Gefühle der  Diskriminierung und Marginalisierung prägen in gewissem Maß auch kriminelle Netzwerke entlang der Küste.

Es ist besorgniserregend, dass verschiedene militante und aufständische Gruppen in Ostafrika, einschließlich Al-Shabaab, MRC und mutmaßlicher Militanter auf Sansibar, gemeinsame Ziele haben. Die Lage hat sich zugspitzt, seit Kenia im Oktober 2011 Truppen zur Aufstandsbekämpfung nach Somalia schickte. Daraufhin verübten die Extremisten nämlich vermehrt Anschläge in Kenia. Mehr als 600 Menschen sind bei Terroranschlägen gestorben. Viele der Täter waren Kenianer, von denen einige erst kürzlich zum Islam konvertiert waren. Experten schätzen, dass etwa ein Viertel der Al-Shabaab Kämpfer Kenianer sind.

Al-Shabaab steht in Kontakt mit lokalen Gemeinschaften in Somalia und Teilen Kenias. Die Miliz wurde zwar aus Mogadischu und Kismayo vertrieben, zwei wichtigen somalischen Städten, in denen sie Händler besteuerte. Dennoch hat sie weiterhin finanzielle Unterstützung. Sie rekrutiert auch weiterhin neue Kämpfer.

In Kenia sind junge Männer in den 20ern die Zielgruppe. Die Rekrutierungserfolge haben mit  Armut, struktureller Ungleichheit und Jugendarbeitslosigkeit zu tun. Niedrigrangige Al-Shabaab-Anführer bekommen angeblich umgerechnet 60 bis 200 Dollar im Monat. Nicht zufällig findet Al-Shabaab im Nordosten und an der Küste die meisten neuen Mitglieder. Dort gibt es das kollektive Gefühl der Ausgrenzung. Berichten zufolge strebt Al-Shabaab aber multiethnische Zusammensetzung an.

Es schließen sich allerdings auch gebildete junge Männer mit wohlhabendem Hintergrund der Gruppe an. Der kenianische Beamtensohn Abdirahim Mohammed etwa hat einen Juraabschluss. Er nahm an dem Anschlag auf die Garissa Universität teil, bei dem 147 Studierende ermordet wurden. Es ist unwahrscheinlich, dass jemanden wie ihn soziale Not motiviert. Plausibler ist, dass ihn die religiöse Vision des Kampfes zwischen Muslimen und Ungläubigen inspirierte.

Die Garissa-Täter redeten später vom Kampf, der „alle muslimischen Gegenden unter kenianischer Besatzung“ befreien soll. Um religiöse Differenzen in Kenia zu betonen, greift Al-Shabaab nun Christen an.

 

Fazit
 

Der extremistische Islamismus in Ostafrika hängt untrennbar mit historischem Leid und lokalen Dynamiken zusammen. Laut Chris Harman, einem britischen Sozialisten, wurden postkoloniale Gesellschaften erst vom Imperialismus traumatisiert um dann von heimischen Eliten ausgebeutet.

Die Probleme lassen sich nicht militärisch lösen. Externe Truppen haben Al-Shabaab zwar zugesetzt, aber die Miliz bleibt dank ihrer Verbindung zu lokalen Gruppen, die sie für legitim halten, stark. Für eine dauerhafte Lösung im Umgang mit Al-Shabaab und ähnlichen Verbänden muss die Zivilbevölkerung gewonnen werden. Anders ist sie nicht zu besiegen.

Emmanuel Kisiangani ist Wissenschaftler des Instituts für Sicherheitsstudien (ISS Africa) und arbeitet in dessen Nairobi-Büro. Das ISS Afrika hat seinen Sitz in Pretoria und unterhält weitere Büros in Addis Abeba und Dakar. ekisiangani@issafrica.org

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