Asien

„Interesse an deutschen Vorstellungen“

Im Zuge der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise bricht der Export fernöstlicher Schwellen- und Entwicklungsländer ein. Die asiatische Sicht erläutert Sebastian Paust, der neue Hauptge­schäftsführer von InWEnt und zuvor Vertreter Deutschlands im Executive Board der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB).


[ Interview mit Sebastian Paust ]

Wie wirkt sich die globale Finanz- und Wirtschaftskrise auf Asien aus?
Um das zu verstehen, müssen Sie zuerst die Situation vor der Krise betrachten, als viele Länder beachtliche Erfolge aufwiesen, was Wachstum und Armutsbekämpfung anging. Die Zahl der absolut Armen in der Region ist seit 1990 um ein Drittel auf 600 Millionen gesunken. Die Prognose war, dass Asien – und darunter verstehe ich hier „Developing Asia“, nehme also Japan aus – das UN-Millenniumsziel der Halbierung der Armut bis 2015 erreicht haben würde. Dabei waren die Erfolge in der Armutsbekämpfung vor allem auf das spektakuläre Wirtschaftswachstum zurückzuführen. Dieser Fortschritt ist nun bedroht, weil die Exporte zurückgehen und folglich die Konjunktur einbricht, sodass Arbeitsplätze und Einkommen verloren gehen.

Aber die Wachstumsprognosen der ADB sind für Developing Asia mit 6,5 Prozent für dieses Jahr doch recht ordentlich.
Für Fortschritte in Sachen Armutsbekämpfung reicht das aber nicht. Zum Vergleich: 2007 wurden noch neun Prozent erreicht. Sie dürfen nicht vergessen, dass die überwältigende Mehrheit der asiatischen Länder immer noch viel ärmer ist als Europa oder Nordamerika. Folglich spiegeln hohe Wachstumsraten nur absolute Zuwächse wider, die in der reichen Welt prozentual gar nicht so viel ausmachen würden. Zugleich ist auch klar, dass Menschen in Entwick­lungs- und Schwellenländern viel schneller wieder in die Armut abstürzen als in fortgeschrittenen Nationen, und Armut bedeutet dann wirklich Hunger und Not.

Als die Krise im Herbst ausbrach, hieß es zunächst, die aufstrebenden Volkswirtschaften in Asien seien mittlerweile stark genug, sich von Trends in Nordamerika, Westeuropa und Japan abzukoppeln.
Das hat sich inzwischen leider als Irrglauben erwiesen. Jetzt sehen wir, dass die Binnennachfrage in der riesigen Entwicklungsregion Asien einfach noch nicht ausreicht, um den dramatischen Rückgang der Exportnachfrage um Werte von bis zu 60 Prozent abzufangen. Die globale Wirtschaftskrise wirkt sich zudem nicht nur auf das Ausfuhrvolumen aus. Die Direktinvestitionen aus dem Ausland, die früher häufig in Exportbranchen geflossen sind, werden ebenfalls geringer. Und das gilt auch für ausländische Investitionen am Kapitalmarkt, was die Aktienkurse belastet. Auch die Heimatüberweisungen von Migranten sinken, weil diese Leute in der Krise selbst weniger verdienen oder vorsichtshalber sparen. Obendrein platzt in China jetzt eine heimische Immobilienblase. Sie hat zwar nichts mit faulen Hypothekendarlehen in den USA zu tun, sondern beruht auf übertriebenen Wachstumserwartungen in der Volksrepublik selbst, aber schmerzhaft ist es natürlich trotzdem. Die Lage ist wirklich ernst.

Aber die Finanzkrise bedroht bisher keine asiatischen Banken?
Nicht unmittelbar. Die großen Ökonomien dieses Kontinents, von Japan wieder abgesehen, sind nicht sonderlich stark in die globale Finanzwirtschaft integriert. Das gilt besonders für China und Indien, wo Geldinstitute zudem recht streng reguliert werden. Dennoch spüren selbstverständlich auch chinesische und indische Banken die schwache Konjunktur. Das liegt zum Beispiel daran, dass die Geschäfte von Firmen, deren Investitionen sie mit Darlehen unterstützt haben, schlechter laufen und dass manchen dieser Kreditkunden nun Zahlungsschwierigkeiten drohen. In jedem Abschwung werden auch die Geldinstitute, die keine unmittelbaren Solvenzprobleme haben, vorsichtiger. Kredite werden knapper und teurer, und das schnürt die Wirtschaft weiter ein.

Worauf kommt es entwicklungs­politisch jetzt an?
Grundsätzlich geht es darum, Menschen von den richtigen Rezepten zu überzeugen. In der Krise zeigt sich jetzt besonders deutlich, wie wichtig soziale Sicherungssysteme sind, was die deutsche Entwicklungspolitik schon lange betont. Es wird jetzt auch klar, dass starke Institutionen gebraucht werden. Offensichtlich hätte in den Jahren hoher Wachstumsraten zudem mehr für die ländliche Entwicklung getan werden können. Ferner zeigt die Erfahrung der vergangenen Monate einmal mehr, dass regionale Integration sinnvoll ist, um nicht zu sehr von der Nachfrage der reichen Nationen abzuhängen. In meiner neuen Funktion freue ich mich dabei natürlich über die spezifischen Stärken von InWEnt, die uns ermöglichen, in der Entwicklungszusammenarbeit wertvolle Beiträge zu leisten.

Woran denken Sie?
InWEnt hat unter anderem auf den Feldern soziale Sicherung und Landwirtschaft ausgewiesene Kompetenz. Wir verstehen auch eine Menge von regionaler Kooperation – nicht zuletzt dank der eigenen europäischen Erfahrung. Wir können Partnern flexibel und passgenau mit Rat und Tat zur Seite stehen. Mit Blick auf die regionale Integration ist es natürlich besonders wertvoll, dass wir unter anderem durch unsere Alumniarbeit, aber auch durch unsere Konferenzen und Dialogveranstaltungen die Partner untereinander vernetzen.

Der Westen beherzigt heute, in einer Krise, die er selbst verursacht hat, nicht dieselben strengen Rezepte, die der IWF in der Asienkrise angewendet hat. Wie sehen das die asiatischen Regierungen?
Ich würde von gemischten Gefühlen sprechen. Einerseits hoffen die asiatischen Regierungen in ihrer bereits skizzierten ökonomischen Not selbstverständlich, dass der Westen seine Wirtschaft bald wieder in Schwung bringt. Das würde auch Asien helfen. Andererseits wird deutliche Kritik am anglo-amerikanischen Modell der weitgehend unregulierten Finanzwirtschaft artikuliert. Es wird immer wieder betont, dass die Probleme, die der armen Welt jetzt zu schaffen machen, anders als in der asiatischen Finanzkrise vor zehn Jahren von der reichen Welt ausgehen – eine sicher nicht abwegige Sichtweise. Und entsprechend gibt es Appelle an die Geber, zu ihrer Verantwortung zu stehen und alle Versprechen bezüglich official development assistance (ODA) einzuhalten. Spannend finde ich, dass in Asien das Interesse an deutschen und kontinentaleuropäischen Vorstellungen über soziale und ökologische Marktwirtschaft wächst. Angesichts der Sehnsucht nach langfris­tiger Stabilität und Gerechtigkeit haben wir wirklich etwas zu bieten.

Wie wird die Rolle des IWF eingeschätzt?
Sein Ruf hat in Asien ohne Zweifel gelitten. Viele sagen, seine Rezepte Ende der 90er Jahre seien falsch gewesen, hätten die damalige Krise noch verschärft und wären zudem mit zu kleinen Kreditpaketen versehen gewesen. Andererseits haben viele Länder inzwischen Hausaufgaben gemacht und ihre makroökonomischen Daten können sich heute sehen lassen. Um einer Abhängigkeit vom IWF vorzubeugen, haben viele Länder massive Devisenreserven aufgebaut, was ihnen jetzt in der Krise sicherlich zugute­kommt. Andererseits ist abzusehen, dass viele Regierungen vom Kurs der Haushaltskonsolidierung abweichen werden – und das auch müssen, beispielsweise um die arme Bevölkerung zu unterstützen. Die Folge ist dann wieder steigende Verschuldung. Das ist aber in Deutschland zurzeit kaum anders. Allerdings fallen in Asien wegen des dort geringeren Wohlstandsniveaus die Konsequenzen für die Bevölkerungen viel härter aus.

Welche Erwartungen richten Asiaten an die multilaterale Politik?
Die Erwartungen Asiens an internationale finanzpolitische Gremien, wie vor allem die G20, wachsen zusehends, jetzt nicht in nationalistische Egoismen und Protektionismus zu verfallen, sondern eine stabilere internationale Finanz- und Wirtschaftsarchitektur einzuleiten. Die
G20 sind sicher auch Ausdruck des Strebens von Schwellenländern wie vor allem Chinas und Indiens nach mehr Mitsprache in internationalen Gremien, aber auch Institutionen wie dem IWF. Zumindest kurzfristig gesellt sich hierzu auch die Erwartung an multilaterale Finanzorganisationen, schnell mit großen Finanzpaketen Notlagen zu bekämpfen.

Ist es für Institutionen wie den IWF, aber auch die ebenfalls multilateral konstituierte ADB nicht problematisch, Ländern mit mangelhafter Regierungsführung nun mit großen Finanzpaketen zur Seite zu springen? Ich denke zum Beispiel an Pakistan.
Das sind bestimmt keine leichten Entscheidungen. Über Pakistan wurde in der ADB durchaus kontrovers diskutiert, und ich kann mir nicht vorstellen, dass das beim IWF anders war. Letztlich überwogen aber die Argumente dafür, den Staatsbankrott in einem Land zu verhindern, dessen interne Lage und Armutssituation bereits sehr schwierig ist. Zudem darf die geostrategische Position Pakis­tans nicht vergessen werden: Das Land ist Nuklearmacht, hat ein gespanntes Verhältnis zu seinem großen Nachbarn Indien und eine lange Grenze mit Afghanistan. Deshalb sind der IWF, die ADB und andere Pakistan beigesprungen. Dabei hat selbstverständlich auch eine Rolle gespielt, dass die Regierung unter Präsident Asif Ali Zardari immerhin durch Wahlen legitimiert ist, in Teilen des Landes aber undemokratische Kräfte den Aufstand proben.

Die Fragen stellte Hans Dembowski.

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