Wassertransferprojekte

Umstrittene Vorhaben

In Indien, China und Brasilien gibt es Pläne, Flusswasser in Dürregebiete umzuleiten. Die Projekte sind jedoch umstritten. Sie sind nicht nur äußerst kostspielig, sondern bergen unabsehbare Folgen für die Natur und führen zu Menschenrechtsverletzungen.
Fischer am Danjiangkou-Damm, einem Teil der Route des chinesischen Wassertransferprojektes. How Hwee Young/EPA/picture-alliance Fischer am Danjiangkou-Damm, einem Teil der Route des chinesischen Wassertransferprojektes.

Die Idee, überschüssiges Wasser aus Flutgebieten in Dürreregionen umzuleiten klingt überzeugend. In verschiedenen Gebieten in Afrika, Asien, Lateinamerika und dem Nahen Osten gibt es Visionen oder konkrete Pläne für einen großräumigen Wassertransfer. Aber die Umsetzung erweist sich als äußerst komplexes Vorhaben. Konkret arbeiten die Schwellenländer Indien, China und Brasilien an Wassertransferprojekten. Sie verfügen dafür über ausreichend Kapital und Kreditvolumen und haben eine so große Fläche, dass sie die Vorhaben fast ausschließlich auf eigenem Territorium umsetzen können. Die Probleme sind bisher jedoch so groß, dass die Maßnahmen in der Bevölkerung oft umstritten sind.

 

9000 Kilometer ­Kanäle in Indien

Bereits seit Anfang der 1970er Jahre wird in Indien diskutiert, mehr als 30 große Flüsse durch Kanäle miteinander zu verbinden. So soll überschüssiges Wasser nach heftigen Niederschlägen die Folgen von Dürren in anderen Landesteilen ausgleichen. Aber da solche Extremwetterereignisse selten gleichzeitig auftreten, sind große Stauseen erforderlich, um Wasser zu speichern bis es bei Bedarf weitergeleitet werden kann.

Die Befürworter der „River-Link"-Pläne argumentieren, mit den Stauseen und -dämmen ließe sich als Nebeneffekt dringend benötigte Elektrizität erzeugen. Kritiker verweisen darauf, dass für die Anlage der Stauseen Hunderttausende Menschen umgesiedelt werden müssten, deren Lebenssituation sich erfahrungsgemäß drastisch verschlechtert. Entsprechend heftig ist der Widerstand der lokalen Bevölkerung gegen neue Staudämme in Indien, wo die Regierung etwa 80 neue plant. Auch die ökologischen Risiken durch einen Wassertransfer sind beträchtlich. Wenn an den Unterläufen von Flüssen sehr viel weniger Wasser ankommt, verändern sich dort Flora und Fauna. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist der Klimawandel. Wenn der Wasserspiegel der Meere steigt und gleichzeitig weniger Wasser die großen indischen Flüsse hinunterströmt, kann vermehrt salzhaltiges Meerwasser in die bisher fruchtbaren Deltagebiete eindringen. Kritiker betonen, „Flüsse sind keine Pipelines", deren Wassermenge man beliebig erhöhen oder vermindern könne. Die politische Brisanz der Pläne ist ebenfalls vorhersehbar. Wasserreichere Bundesstaaten werden keineswegs erfreut zustimmen, das kostbare Nass in entfernte Regionen des Landes zu pumpen. Dieses Wasser könnte ihnen bei einer Dürre im eigenen Bundesstaat fehlen, und ob dann rasch ein großes Wasservolumen aus anderen Regionen zurückgeliefert würde, ist keineswegs sicher. Die Regierung von Kerala kündigte bereits im Juni 2003 vorsorglich an, der Transfer von Wasser in die Nachbarbundesstaaten sei für sie nicht akzeptabel.

Probleme drohen Indien auch außenpolitisch. Es ist geplant, dass einige der Stauseen auf das Gebiet der Nachbarländer Nepal und Bhutan reichen. Ob die dortige Bevölkerung zustimmen würde, ihre Täler aufzugeben, darf bezweifelt werden. Bangladesch hat bereits angekündigt, sich vehement dagegen zu wehren, künftig weniger Flusswasser zu bekommen.

Trotz der absehbaren negativen Auswirkungen der „River-Link"-Pläne schuf die indische Regierung 1982 eine „Nationale Wasserentwicklungsbehörde", die sich mit den Detailplanungen eines landesweiten Wassertransfers beschäftigt. 2012 gab die Regierung bekannt, ein Großprojekt zu starten und mehr als 30 Flüsse durch 9000 Kilometer lange Kanäle miteinander zu verbinden. Die Kosten lassen sich bisher nur grob schätzen, Kritiker gehen davon aus, dass sie deutlich höher liegen als das indische Bruttosozialprodukt eines Jahres. Auch die Volksrepublik China hat massive Versorgungsprobleme. Die Idee, Wasser aus dem regenreicheren Süden in den regenarmen und von Dürren geplagten Norden Chinas zu leiten, besteht bereits seit Jahrzehnten. Seit 2002 werden drei jeweils Hunderte Kilometer lange Kanal- und Leitungssysteme gebaut, um Wasser aus dem Jangtse-Einzugsgebiet in die Region des Gelben Flusses und nach Peking zu pumpen. Die großen Städte, die Landwirtschaft und die Industrie im Norden Chinas sollen auf diese Weise mit jährlich 45 Milliarden Kubikmeter Wasser versorgt werden. Es ist das gewaltigste Wassertransferprojekt in der Geschichte der Menschheit und wird etwa 80 Milliarden Dollar kosten.

Die bereits fertiggestellte östliche Route beginnt am Unterlauf des Jangtse, nutzt über weite Strecken den bestehenden „Großen Kanal" (oder „Kaiserkanal") und führt bis Peking. Die Nutzung des Kanals vermindert die Kosten des Vorhabens beträchtlich, ist aber für den Wassertransfer nicht unproblematisch. Das Wasser ist durch die zahlreichen Frachtschiffe, die die Wasserstraße befahren, und die Einleitung von Abwässern stark verschmutzt und kann nicht ungeklärt als Trinkwasser genutzt werden. An der mittleren und westlichen Trasse wird intensiv gearbeitet, und es kann kein Zweifel bestehen, dass China das Vorhaben technisch und finanziell erfolgreich abschließen wird.

Wie in Indien ist auch in China die Umsiedlung zahlreicher Menschen erforderlich, um Platz für Wasserreservoire, Stauseen und Kanäle zu schaffen. Nach Angaben der chinesischen Regierung sind es etwa 400 000. Sie müssen fürchten, dass mindestens ein Teil der zugesagten Ausgleichszahlungen in dunklen Kanälen des Verwaltungsapparates versickern.

Chinesische Umweltschützer bezweifeln, dass die gewaltigen Investitionen sinnvoll sind, und fordern, dass die Wasserknappheit anders gelöst wird. Sie sehen die Notwendigkeit, die Wasserqualität zu schützen und die Wasserressourcen sorgsam zu nutzen, also Wasser zu sparen. Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren längere Dürreperioden im Südwesten darauf hindeuten, dass der Klimawandel auch dort zu einer Wasserreduzierung führen kann. Umweltexperten kritisieren, dass China immer mehr auf Megaprojekte zur Lösung seiner Probleme setzt, statt die eigentlichen Ursachen anzugehen.

 

Wasser für die Agrarindustrie

Die Region Sertão im Nordosten Brasiliens ist etwa so groß wie Deutschland und Frankreich zusammen und leidet immer wieder unter Dürren. Diese haben sich durch die Abholzung der Wälder und die Zuckerrohr-Monokulturen noch verstärkt. Die brasilianische Regierung will nun einen Teil des Wassers des São Francisco – mit etwa 3000 Kilometern der längste Fluss, der ausschließlich durch Brasilien fließt – durch ein mehr als 700 Kilometer langes System von Kanälen, Tunneln und Aquädukten in den trockenen Nordosten leiten.

In Brasilien gibt es nicht nur Zustimmung für dieses 2009 begonnene Vorhaben, das der frühere Präsident Lula da Silva initiiert hat. Kritik kommt vor allem aus der Region des Flussunterlaufes, wo man befürchtet, dass durch die Ableitung immer weniger Wasser ankommt. Die Regierung hält den Kritikern entgegen, dass nur 1,4 Prozent des Flusswassers abgeleitet werden sollen. Die Gegner argumentieren, dass sich die Wassermenge aber ohnehin seit Mitte des 20. Jahrhunderts um ein Drittel vermindert hat.

Letztlich geht es bei dem Konflikt um die Frage, wie Brasilien seine Wasser- und Armutsprobleme lösen kann. So argumentiert die Regierung, dass das Megaprojekt 12 Millionen Menschen im Nordwesten, die zur ärmsten Bevölkerung Brasiliens gehören, besser mit Wasser versorgen soll. Die Gegner befürchten aber, dass das zusätzliche Wasser vor allem auf die riesigen Felder großer Agrarbetriebe fließen wird, die Zuckerrohr für die Ethanolproduktion anbauen.

Das könnte dazu führen, dass noch mehr Kleinbauern weichen müssen, um Platz für die Agrarkonzerne zu schaffen. Mit dem in den Wassertransfer investierten Geld könnten stattdessen viele kleine Wasserprojekte im Nordwesten ermöglicht werden, meinen die Projektgegner. Mit Regenwassersammelsystemen und sparsamen kleinen Bewässerungsanlagen könnte den Kleinbauern wirksam geholfen werden. Bezeichnend ist, dass die Weltbank eine Mitfinanzierung des Vorhabens in Brasilien abgelehnt hat, weil sie den Sinn und vor allem den Beitrag zur Armutsbekämpfung bezweifelt.

Die Erfahrungen in Indien, China und Brasilien zeigen, dass die Umleitung großer Wassermengen nicht nur hohe Investitionen erfordert, sondern daraus auch viele Konflikte entstehen. In allen drei Ländern verweisen Umweltschützer darauf, dass es zahlreiche Möglichkeiten gibt, auf lokaler Ebene sorgsamer mit dem Wasser umzu­gehen. Die knappen Ressourcen müssten außerdem so verteilt werden, dass auch die ärmere Bevölkerung davon profitiert.

 

Frank Kürschner-Pelkmann ist freier Journalist und hat sich auf internationale Wasserthemen und ökologische Fragen spezialisiert.
frank.kuerschner-pelkmann@t-online.de

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