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Capacity Building in Sachen Internetnutzung im ländlichen Raum muss an die Bedürfnisse der ­dortigen Bevölkerung anknüpfen: Lehren eines peruanischen Pilotprojekts.

[ Von Jutta Niemann ]

Es ist international anerkannt, dass die wichtigsten Komponenten nachhaltiger Entwicklungsprojekte auf dem Feld der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) die drei sogenannten „Cs“ sind:
– Connectivity, also die technische Anbindung,
– Capacity Building, die Aus- und Fortbildung, und
– Content, die angemessenen Inhalte für die jeweilige Zielgruppe.

Laut Erkenntnissen von FITEL, Perus staatlichem Fonds zur Unterstützung ländlicher IKT-Projekte, dient das Internet in der peruanischen Provinz bislang vor allem Unterhaltungszwecken. Angestrebt wird aber, wirtschaftlich nützliche Anwendungen bekannt zu machen. Zu diesem Zweck hat FITEL mit deutscher Unterstützung ein Pilotprojekt in der Ausbildung lokaler Internettrainer durchgeführt.

Das Grundprinzip war „train the trainer“. Dorfbewohner sollten in die Lage versetzt werden, ihren Nachbarn die sinnvolle und produktive Nutzung der neuen Möglichkeiten beizubringen. Die Bevölkerung sollte befähigt werden, relevante Informationen zu finden, zu prüfen und zu nutzen. Ein Viertel der 28 Millionen Peruaner lebt auf dem Land. Hier sind 70 Prozent arm und 26 Prozent sind Analphabeten.

FITEL subventioniert Vorhaben privater Telekom-Betreiber. Da die Investitionskosten in ländlichen Gebieten in der Regel sehr hoch sind, unterstützt FITEL Privatfirmen. Entscheidungskriterien sind dabei Gesichtspunkte wie Besiedlungsdichte, Infrastrukturqualität, aber auch mittelfristige Rentabilität.

FITEL hatte zur Zeit des Pilotprojekts 550 Dörfer mit Internet-Anschlüssen ausgestattet. Das Projekt erfasste davon die 160, in denen auch Satellitentelefone installiert worden waren. Abgedeckt wurden auch schwer zugängliche Orte im Amazonastiefland oder hoch in den Anden. FITEL beauftragte eine peruanische Nichtregierungsorganisation damit,
– die Trainer auszuwählen,
– sie in Provinzstädten in Präsenzkursen von drei Tagen Dauer fortzubilden,
– sie anschließend in den Dörfern arbeiten zu lassen, sowie mit
– Supervision und einem Abschlussbericht.

Die Trainer wurden mit Hilfe von örtlichen Ämtern auf Basis eines eigens entwickelten Fragebogens ausgesucht. Erfasst wurden dabei Vorkenntnisse in Sachen Menschenführung, Computer- und Internetnutzung sowie Geschäftstüchtigkeit. Der ideale Trainer-Kandidat sollte selbst im Dorf wohnen, weil das Vertrauen der Bevölkerung wichtig ist. Gesucht wurden Trainer zwischen 18 und 65 Jahren, die zumindest die ersten vier Schuljahre absolviert und vorzugsweise eine weiterführende Schule besucht haben sollten.

In den dreitägigen Präsenzkursen wurden die Trainer in Computergrundlagen, einfachen Massenkommunikations- und Veröffentlichungstechniken und dem Management kleiner Unternehmen fortgebildet. Das landesweit zu leisten war für den Projektträger eine große logistische Herausforderung. Trainingsorte mussten koordiniert und mit Online-Computern ausgestattet werden, alternativ konnten auch öffentliche Internetcafés angemietet werden. Das Interesse an den Kursen war groß, sogar Leute aus Dörfern ohne Internetanschluss schrieben sich ein. Weite Anreisen wurden in Kauf genommen.

Drei wichtige Lehren zog FITEL sofort aus den „Train the trainer“-Kursen:
– Die Gruppen waren oft zu heterogen, die Vorkenntnisse der Teilnehmer zu unterschiedlich. Während einige schon souverän mit Rechnern umgingen, taten sich andere noch mit der Handhabung der Maus schwer.
– Den Ausbildern der Drei-Tage-Kurse fehlten zum Teil pädagogische Methoden. Zu wenige nutzten beispielsweise die Möglichkeit von Rollenspielen, um die künftigen Dorftrainer mitzureißen.
– Didaktische Aspekte kamen auch im Lehrangebot zu kurz, den Dorftrainern wurde zu wenig vermittelt, worauf sie bei der Erwachsenenbildung achten sollten.


Drei Schichten bis Mitternacht

Eine Supervisionsreise gewährte zwei Monate nach dem Seminar Einblicke in die Situation des Dorftrainers Denis in Tamhsiyacu im Amazonastiefland: Die Online-Anbindung des örtlichen Internetcafés war defekt, so dass Denis für seine Trainingstätigkeit auf Wohlwollen und Unterstützung der örtlichen Schule angewiesen war. Der Andrang war indessen so groß, dass er – bei unregelmäßiger Stromversorgung – in drei Schichten bis Mitternacht unterrichtete.

Einer der älteren Schüler, ein circa 55-jähriger Bauer, interessierte sich für Informationen über Ananas. Ließen sich seine Früchte vielleicht irgendwo mit höherem Gewinn verkaufen? Denis lotste ihn auf die Website des peruanischen Landwirtschaftsministeriums, wo wissenschaftliche Studien über Schädlinge und Großmarktpreise in Lima zu finden waren. Der Bauer verstand aber das akademische Spanisch nicht. In der Tat gibt es im Netz kaum Informationen in angemessener Sprache und Aufbereitung für peruanische Bauern.

Denis sagt, er hätte sich „mehr Betreuung von den Verantwortlichen in Lima gewünscht“. FITEL und der Projektträger haben denn auch eine Hotline von 6 bis 22 Uhr eingerichtet, aber Satellitenleitungen erfordern viel Geduld. Eine weitere Lehre aus der Supervision war, dass der Projektträger sich auf die Zielgruppe Dorftrainer konzentriert hatte, aber den Lernerfolg bei ländlichen End-Usern nicht gründlich gemessen hatte.

Das Pilotprojekt brachte konkrete Ergebnisse für ein nationales „Information Literacy“-Programm. Der Auswahlfragebogen und die Handbücher sind eine Basis, auf der weitergearbeitet werden kann. Wichtig ist zudem das Anreizsystem für lokale Trainer. Zunächst waren die meisten Incentives nicht monetär: Reisen an die Seminarorte und die sichtbare Bestätigung als Führungsperson im eigenen Dorf. Nur Ausgaben für Workshops in den Dörfern wurden erstattet. Unter Umständen wäre es angemessen, auch finanzielle Anreize zu bieten. Immerhin 60 der 240 fortgebildeten Dorftrainer machte sich davon. Die übrigen 180 trainierten aber in den nächsten sechs Monaten rund 3000 weitere Menschen.

Die wichtigste Empfehlung ist indessen, dass Fortbildungen im Sinne der ökonomisch sinnvollen Internetanwendung auf Inhalten mit unmittelbarem Nutzwert aufbauen sollten. Herrscht daran Mangel, sollte in der Vorbereitung Kontakt zu anderen staatlichen Sektoren (etwa Gesundheit, Agrarinformation oder E-government) aufgenommen werden, um entsprechende Angebote bereitzustellen. Interessante Anreize könnte auch ein Wettbewerb um die nützlichste oder die meistbesuchte ländliche Website bieten.

In jedem Fall sollten Capacity-building-Programme in Sachen IKT auch mit dem dritten „C“, dem Content, verknüpft sein. Die Programme müssen von der Realität im ländlichen Raum ausgehen und dürfen nicht als Fertigkonzept von der Hauptstadt aus übergestülpt werden.

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