Aussagekräftige Statistiken

Quantifizierte Argumente

Kenias Frauen spielen eine wichtige Rolle in der Wirtschaft ihres Landes. Sie produzieren Lebensmittel und tragen zum Bruttoinlandsprodukt bei. Trotzdem werden ihre Leistungen und Interessen kaum beachtet. Statistiken können helfen, die Rechte der Frauen zu stärken.


[ Von Jedida Oneko ]

Statistiken über Afrika mangelt es meist an Präzision und Zuverlässigkeit. Viele halten staatliche Datenerhebungen für geschönt, andernorts verhindern Bürgerkriege die präzise Datenerhebung. Aber nicht nur Behörden, auch unabhängige Organisationen arbeiten mit Zahlenwerken – nicht zuletzt, weil das hilft, Spendengelder einzutreiben. Internationale Hilfswerke führen ebenso Statistiken wie kleine, lokale Initiativen. Während Erstere vermutlich strengere Methoden anwenden, kennen Letztere meist die kulturellen und politischen Bedingungen vor Ort besser.

Es gibt nur wenige statistische Daten über Genderfragen – und wenn, sind sie oft unzuverlässig. Aber sie sind nötig, um für sexualisierte Verbrechen zu sensibilisieren oder für den Beitrag von Frauen zur Volkswirtschaft.

Die Federation of Women Lawyers in Kenia (FIDA) ist ein Interessenverband, der detailliert die Rechtsprechung samt Beweisführung untersucht und veröffentlicht, um die Frauenbewegung in Kenia zu stärken. „Unsere Interventionen sind mit Statistiken unterfüttert“, sagt die FIDA-Anwältin Jane Serwanga.

FIDA gibt Schattenberichte darüber heraus, wie die kenianische Regierung ihrer Berichterstattungspflicht im Kontext der UN-Konvention zur Eliminierung aller Arten von Diskriminierung gegen Frauen (CEDAW) nachkommt. FIDA erhebt außerdem Daten über die wirtschaftliche Leistung von Frauen. Alles ziele auf einen frauenfreundlichen Politikwechsel ab, erklärt Serwanga, aber es sei schwer, innerhalb Kenias patriarchalischer Strukturen zu arbeiten.

FIDA-Statistiken erzählen spannende Geschichten. Infolge von HIV/Aids führen Frauen in Kenia heute ein Drittel aller Haushalte. Frauen leisten 80 Prozent der landwirtschaftlichen Arbeit und 70 Prozent der Cash-Crop-Produktion. Trotzdem erhalten sie nur 60 Prozent des landwirtschaftlichen Einkommens. Tierbesitz ist vielen Frauen verboten, obwohl sie 50 bis 90 Prozent der einschlägigen Arbeit verrichten.
Allzu oft gelten Frauen weniger als Männer. 75 irreführende und veraltete Landesgesetze folgen laut ­FIDA patriarchalischen Mustern. Sie erlauben Kenianerinnen – wenn überhaupt – nur wenig Landbesitz. Und dieser kann beim Tod ihres Mannes, bei einer Scheidung oder Trennung schnell wieder verloren gehen. „Nur fünf Prozent des Grundbesitzes gehören Männern und Frauen gemeinsam und nur ein Prozent allein Frauen“, berichtet FIDA.

Solche FIDA-Statistiken haben geholfen, Wandel einzuleiten. Wenn im Juni der jüngste Verfassungsentwurf im Referendum akzeptiert wird, bekommen Frauen dasselbe Recht auf Grundbesitz wie Männer.

Gleichzeitig bleiben, wie FIDA belegt, erhebliche Probleme bestehen. In ihrer Stellungnahme zur ­CEDAW habe Kenias Regierung im Jahr 2006 die nationale Arbeitsleistung von Frauen zwar anerkannt, aber: „Gerichtsurteilen zufolge dürfen zur Bewertung von Eigentumsfragen nur direkte Geldflüsse herangezogen werden, der Arbeitseinsatz von Frauen im Haushalt zählt also nicht.“

Weibliche Abgeordnete

Kenianerinnen haben auch im Staat wenig zu melden. Nur 7,1 Prozent der Parlamentsmitglieder sind weiblich. In Ruanda zum Beispiel ist die Quote viel höher: sie liegt bei 56 Prozent. Nach den Wahlen im Jahr 2008 lobte die Washington Post Ruandas Parlament als „ers­tes in der Welt, in dem Frauen die Mehrheit stellen“.

Allerdings hat dieser Erfolg eine dunkle Seite. Er beruht auf dem Völkermord von 1994 – heute leben in Ruanda deutlich mehr Frauen als Männer. Im Jahr 1995 stellten sie 70 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Ganz ähnlich ist Ellen Johnson-Sirleaf zwar die ers­te Präsidentin eines afrikanischen Staates, dieser Erfolg steht aber vor dem düsteren Hintergrund des liberianischen Bürgerkriegs. Es scheint fast, als wäre in Afrika politische Gewalt die Grundlage hoher Frauenquoten in Staatsämtern.

Nach den kenianischen Wahlen von 2007, denen grausame Ausschreitungen folgten, bezifferten die politischen Parteien ihre Frauenquote fälschlicherweise mit 30 Prozent. Viele Frauenrechtlerinnen sagen, die Quote sage ohnehin wenig aus. Das Women’s Shadow Parliament (WSP) bemängelt, es gebe bei keiner größeren Partei „spürbar häufigere Nominierungen von Frauen“. Nur 269 von 2548 Parlamentskandidaten (10,6 Prozent) waren weiblich. Parteien speisen Frauen meist mit untergeordneten Jobs ab wie denen als Sekretärinnen oder Boten.

Das Schattenparlament der Frauen wollte nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl 2007 mit einer Umfrage klären, wie es um den tatsächlichen Frauenanteil und die Rollenverteilung bestellt sei. Ihnen schlugen jedoch Hass, später sogar Gewalt entgegen, die For­scherinnen galten schnell als westliche Spione. Der Studie lagen schließlich fast nur Fragebögen mit begrenztem Aussagewert zu Grunde. Keine Partei stellte offizielle Daten zur Verfügung.

Gesetze gegen Sexualvergehen

Während der Wahl und der Unruhen danach trat ein weiteres, uraltes Problem zu Tage: Gewalt gegen Frauen. Anwärterinnen politischer Ämter berichteten von Schlägen sowie von körperlicher und sexueller Bedrohung. Die meisten Vertriebenen waren Frauen und Kinder. Auch mehr Vergewaltigungen wurden in dieser Zeit angezeigt.

2006 verabschiedete Kenia ein neues Sexualstrafrecht: dank der Statistiken, die das Gender Violence Recovery Center (GVRC) am Frauenhospital von Nairobi führt, sowie der Anstrengungen der Anwältin und damaligen Abgeordneten Njoki Ndungu. Zwar bleiben Vergewaltigungen in Kenia ein Thema, doch gibt es jetzt immerhin gesetzliche Mindeststrafen für Sexualstraftäter. Der Website „Sexual Offences Act“ zufolge wird in Kenia alle 30 Minuten eine Frau vergewaltigt.

Ohne die Statistiken vom GVRC wäre das neue Strafrecht nie beschlossen worden. Sie belegen, dass 49 Prozent aller Kenianerinnen unter Gewalt litten oder leiden. 83 Prozent aller Frauen und Kinder wurden als Kind körperlich misshandelt, 46 Prozent wurden in ihrer Kindheit Opfer sexueller Übergriffe, 60 Prozent schwiegen über den Missbrauch, und nur 12 Prozent zeigten die Gewalttat bei Behörden an.

Laut Lilian Kasina, die beim GVRC für Statistiken und Datenauswertung verantwortlich ist, wurden in den drei Monaten nach der Wahl rund 635 Vergewaltigungen gemeldet. Die Dunkelziffer sei aber hoch, sagt Kasina, zumal es „keine landesweit einheitliche Statistik über geschlechtsbasierte Gewalt“ gebe. Die Zahl der Anzeigen sei einerseits aufgrund der Aufklärungsarbeit an verschiedenen GVRC-Standorten gestiegen, sagt Kasina, andererseits habe aber auch die Kriminalität generell zugenommen. Zwischen 2001und 2005 zählte das GVRC insgesamt 3125 Übergriffe – allein im Jahr 2008 waren es 2805.

Kasina hofft, dass die Kommission für Geschlechterfragen, die in Kenia nach der Wahl gegründet wurde, landesweit wirken kann, damit es genaue Daten über sexuelle Gewalt gibt. Leider setzen afrikanische Regierungen solche Kommissionen oft nur ein, um das eigene Volk und die Weltgemeinschaft zu beruhigen, aber nicht im Interesse präziser Daten oder gar echter Veränderungen. Wie auch immer: Ohne Statis­tiken stünde es noch schlechter um Frauenrechte in Kenia.

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