Ziele für nachhaltige Entwicklung
Wie Usbekistan rasche Fortschritte bei den SDGs erzielt hat
Usbekistans Transformation ist untrennbar mit dem politischen Wandel verbunden, der auf den plötzlichen Tod des ehemaligen Präsidenten Islam Karimov im Jahr 2016 folgte. Unter Karimovs autoritärer Herrschaft stagnierte die Wirtschaft des Landes. Shavkat Mirziyoyev, der unter Karimov Premierminister gewesen war, trat seine Nachfolge mit dem Wahlversprechen an, Veränderungen herbeizuführen.
„Mirziyoyev hat bestimmte Beschränkungen für die Wirtschaft und das Unternehmertum aufgehoben, die zu Karimovs Ära bestanden“, sagt Alisher Ilkhamov, Direktor der in Großbritannien ansässigen zivilgesellschaftlichen Organisation Central Asia Due Diligence. Diese Wirtschaftsreformen hätten Wirkung gezeigt. „Damals gab es einen zentralisierten Währungsaustausch, heute hingegen ist die Wirtschaft liberaler ausgerichtet. Wirtschaftsprogrammen und -initiativen hat das offenbar einen wichtigen Impuls gegeben“, sagt er.
Die Fortschritte, die Usbekistan beim Zugang zu Bildung erzielt hat, sind auch das Ergebnis einer Dezentralisierung und einer Zurücknahme staatlicher Kontrolle. Das frühere Regime war sehr zurückhaltend, wenn es darum ging, ausländische Universitäten ins Land zu lassen. Unter Mirziyoyev hingegen haben verschiedene ausländische Universitäten aus Europa, den USA und Asien zahlreiche Zweigstellen in Usbekistan eingerichtet, wie Alisher Ilkhamov betont. Dies habe neue Möglichkeiten für Studierende geschaffen.
„Zumindest kann man sagen, dass sich die Situation verbessert hat, insbesondere in der Hochschulbildung“, sagt Ilkhamov. „Und bei der Schulbildung sollte man bedenken, dass Kinder nicht mehr zum Baumwollpflücken geschickt werden. Jetzt können sie das ganze Jahr über im Klassenzimmer lernen, anstatt von diesen absurden Baumwollpflückkampagnen abgelenkt zu werden. Allein das trägt schon zur Verbesserung bei.“
Beträchtliche Überweisungen aus dem Ausland
Ein weiterer Grund für den Fortschritt Usbekistans kam von außen: die Auslandsüberweisungen von Arbeitsmigrant*innen. Laut der Zentralbank von Usbekistan lag deren Gesamtvolumen im Jahr 2024 bei 14,8 Milliarden Dollar, davon 11,5 Milliarden allein aus Russland, wo die Mehrheit der usbekischen Arbeitsmigrant*innen lebt. Zum Vergleich: Im Jahr 2024 lag das Bruttoinlandsprodukt Usbekistans bei 115 Milliarden Dollar.
Analyst Alisher Ilkhamov betont, dass Auslandsüberweisungen nicht nur für Einkommen sorgen, sondern auch den Binnenkonsum ankurbeln, die Nachfrage nach regionalen Gütern und Dienstleistungen erhöhen sowie Arbeitsplätze im Inland schaffen. Usbekistans SDG-Fortschritt basiert demnach teilweise auf jenen, die im Ausland arbeiten. Eine usbekische Migrantin in Russland, die anonym bleiben möchte, sagt: „Meine Mutter starb 2021 an Covid-19. Ich musste meine jüngeren Schwestern deshalb selbst versorgen. Obwohl die Maßnahmen gegen Arbeitsmigranten verschärft wurden, habe ich nicht vor, Moskau zu verlassen, denn zu Hause könnte ich nicht wie hier zwischen 1000 und 1100 Dollar im Monat verdienen. In meiner Zeit hier habe ich mehrere Berufe erlernt und es geschafft, Russisch auf einem Niveau zu sprechen, das für die alltägliche Kommunikation und zum Arbeiten ausreicht.“
Landwirtschaft als Schlüsselsektor
Einige der größten Herausforderungen bestehen weiterhin im Agrarsektor, in dem etwa 14 % der Bevölkerung beschäftigt sind – ein Rückgang gegenüber 26 % im Jahr 2000. „Usbekistan hat erst die Hälfte geschafft“, sagt Umida Niyazova, Direktorin des Usbekischen Forums für Menschenrechte, einer zivilgesellschaftlichen Organisation, die sich für Arbeitnehmerrechte einsetzt. Einerseits habe Usbekistan in vielen Bereichen Reformen eingeleitet und sei so zu einem der größten Fördermittelempfänger internationaler Finanzinstitutionen geworden, um weitere Reformen im Sinne der SDGs anzustoßen. Andererseits kritisiert sie, dass „Reformen in der Landwirtschaft halbherzig und wenig durchdacht umgesetzt werden“.
Als Beispiel nennt Umida Niyazova den Einfluss des Staates auf die Produktion von Baumwolle – einem der wichtigsten Exportgüter des Landes – und Getreide. Sie erinnert daran, dass 2020 verkündet wurde, das offizielle staatliche Auftragssystem zur Produktion von Baumwolle und Getreide einzustellen. „Tatsächlich aber zwingt der Staat die Bauern weiterhin, diese Pflanzen anzubauen, auch wenn es für sie unrentabel ist“, sagt sie und fügt hinzu, dass einige Landwirte gezwungen waren, ihre Ernte an Unternehmen zu verkaufen, die nicht bezahlten. Einst wohlhabende Betriebe sind so bankrott gegangen. Laut Umida Niyazova spiegeln sich darin tiefere systemische Schwächen wider. Letztlich bleibe die weitverbreitete ländliche Armut bestehen, solange die Wirtschaft nicht wirklich liberalisiert werde, meint sie.
Der SDG-Bericht 2025 hebt zwei Bereiche hervor, in denen Usbekistan deutlich zurückliegt: Hunger und Energie. Ernährungsunsicherheit bleibt ein Problem für benachteiligte Bevölkerungsgruppen – auch wenn die Armutsraten sinken.
Daten der Weltbank zeigen, dass die Armut zwar zurückgegangen ist, die Ungleichheit aber zugenommen hat. Zwischen 2022 und 2023 stiegen die Einkommen der ärmsten zehn Prozent der Bevölkerung nur um sechs Prozent, während das wohlhabendste Zehntel Zuwächse von mehr als 30 % verzeichnete. Da die Lebensmittelpreise schneller steigen als Löhne und Renten, gibt es in vielen Haushalten Schwierigkeiten, sich angemessen zu ernähren, was wiederum die Fortschritte bei SDG2 „Kein Hunger“ untergräbt.
Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen
Darüber hinaus ist das Energiesystem des Landes weiterhin von chronischen Engpässen betroffen. Usbekistan ist stark von fossilen Brennstoffen abhängig. Laut der Internationalen Energieagentur lag 2023 der Anteil von Erdgas an der Energieversorgung bei 79 %, gefolgt von Öl und Kohle. Erneuerbare Energien gewinnen zwar an Bedeutung, machen aber nur einen Bruchteil des Energiemixes aus. Gleichzeitig hat das Land Probleme mit seiner veralteten Gas- und Strominfrastruktur.
„Es ist ein großer Vorteil, dass das Stromnetz in Usbekistan weiterhin hauptsächlich mit Erdgas läuft, das im Inland produziert und nicht importiert wird“, sagt Laurent Ruseckas, Analyst bei S&P Global Commodity Insights. Der Ausbau der erneuerbaren Energien werde zwar Zeit und erhebliche Investitionen erfordern, doch sei das Land offenbar auf dem richtigen Weg. „Usbekistan hat beim Bau großflächiger Solarenergieanlagen in letzter Zeit beträchtliche Erfolge erzielt, auch mit Unterstützung multilateraler Finanzinstitutionen und mit Investitionen von Unternehmen wie Masdar und TotalEnergies“, sagt er. Mehr Investitionen in erneuerbare Energien, das Stromnetz und die Erdgasproduktion seien allerdings erforderlich, um den Produktionsrückgang in älteren Gasfeldern auszugleichen, so Ruseckas.
Anfang 2024 hat die usbekische Regierung ihr Ziel für Strom aus erneuerbaren Energien für 2030 von 25 % auf 40 % erhöht und ihr Ziel für Solar- und Windkapazität von 12 auf 27 Gigawatt mehr als verdoppelt. Eine systemische Reform des Energiesektors steht allerdings noch aus, sodass SDG7 „Bezahlbare und saubere Energie“ noch weit entfernt ist. Im Energiesektor und in anderen Bereichen verschärfen Korruption, Ineffizienz und Misswirtschaft die Situation zusätzlich.
Reformen müssen fortgesetzt werden
Alles in allem hat sich das Leben der Usbek*innen trotz anhaltender Schwierigkeiten in den letzten Jahren deutlich verbessert. Kleine Unternehmen haben mehr Möglichkeiten, die Korruption hat durch digitale Dienste abgenommen, und internationale Partnerschaften haben dem Bildungswesen eine neue Dynamik verliehen. Die zunehmende Ungleichheit, der anhaltende Hunger, die systemischen Energieprobleme und Notlagen in ländlichen Gebieten machen jedoch deutlich, dass Reformen tiefer greifen müssen, wenn sie von Dauer sein sollen.
Der Kampf gegen Armut wird deshalb auch in Zukunft ein großes Thema bleiben. Im Jahr 2024 hat Präsident Mirziyoyev ein staatliches Programm namens „Von der Armut zum Wohlstand“ angekündigt. Es soll den Schwerpunkt auf Beschäftigung, nachhaltige Einkommensquellen und hochwertige Bildung legen, da dies die wichtigsten Faktoren für langfristige Armutsbekämpfung sind. Mirziyoyev erklärte, dass mehr als 70 % der Staatsausgaben für die Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung verwendet werden sollen.
Sinnvoll ist vor diesem Hintergrund auch, dass Usbekistan bereits 2017 dem International Comparison Program (ICP) beigetreten ist. Die Initiative der Weltbank ermöglicht es Ländern, international vergleichbare Daten zu Armut und Lebensstandard zu erheben. Unter Ex-Präsident Karimov verfügte Usbekistan über keine verlässlichen Daten zu Armut – ein Vergleich der sozialen Leistungsfähigkeit des Landes mit der seiner Nachbarn oder anderer Länder war somit unmöglich. Später hat Usbekistan mit Unterstützung der Weltbank eine eigene Methodik zur Messung der Armut entwickelt. Sie zeichnet ein klareres Bild der Herausforderungen, vor denen die usbekische Gesellschaft steht.
Fürs Erste hat Usbekistan bewiesen, dass schneller Fortschritt tatsächlich möglich ist. Ob er jedoch nachhaltig ist, bleibt abzuwarten.
Link
Weltbank: International Comparison Program.
Shahida Tulaganova ist Produzentin, Regisseurin und Kriegsreporterin aus Usbekistan. Sie lebt in Großbritannien.
shahidayakub@gmail.com