Kommentar

Rückkehr zur Vergangenheit

In Zentralamerika wurden Anfang November zwei Präsidenten gewählt: Guatemala entschied sich für einen ehemaligen Militär, in Nikaragua blieb es beim Ex-Guerilla-Kämpfer Daniel Ortega. Beide Länder nähern sich damit wieder ihrer Bürgerkriegs-Vergangenheit und entfernen sich vom Rechtsstaat.

Von Eva-Maria Verfürth

In Guatemala und Nikaragua ist die Demokratie noch jung. Beide Länder litten jahrzehntelang unter Diktatoren und Bürgerkrieg. In Nikaragua gelang es der linken Guerilla, das alte System zu stürzen. Ihre Partei, die Sandinisten, gewannen zwar unter Daniel Ortega 1984 die ersten Wahlen, wurden fünf Jahre später aber abgewählt. 2006 wurde Ortega dann wieder zum demokratisch legitimierten Präsidenten. Nun scheint er seine Macht endgültig festnageln und die Opposition ausschalten zu wollen.

In Guatemala folgte auf den Bürgerkrieg ein fragiler Friedensprozess. Seit der Rückkehr zu Demokratie regieren weiterhin zumeist rechtsgerichtete wirtschaftliche Eliten. Ein Militär schaffte es nach dem Bürgerkrieg aber nicht mehr an die Spitze. Das ist nun anders: Otto Pérez Molina ist der erste Offizier, der sich in demokratischen Wahlen durchgesetzt hat.

Beide Länder driften damit zu – wenn auch gegensätzlichen – politischen Extremen und nähern sich wieder ihrer Vergangenheit: Sowohl der Ex-General Pérez ­Molina als auch der Ex-Guerillero Ortega kämpften im Krieg gegen ihre eigenen Landsleute. Beide könnten – auf unterschiedliche Art – Rechtsstaat und Menschenrechte in ihrem Land gefährden.

Ortega verstieß bereits mit seiner Kandidatur gegen die Verfassung, die eine dritte Wiederwahl verbietet. Der oberste Gerichtshof, der mit seinen Anhängern besetzt ist, hatte ihm eine Sondergenehmigung erteilt und bei der Entscheidung kurzerhand das Parlament übergangen. Ortega gewann die Präsidentschaftswahlen mit überwältigenden 63 Prozent. Die internationalen Wahlbeobachter jedoch beklagten zahlreiche ­Unregelmäßigkeiten, und keiner der vier Oppositionskandidaten hat den umstrittenen Sieg bisher anerkannt.

Auch Ortegas sandinistische Partei FSLN ging aus den Parlamentswahlen so stark hervor, dass sie nun allein über par­tielle Verfassungsänderungen entscheiden kann. Es ist wahrscheinlich, dass Ortega dies nutzen wird, um sich auch in fünf Jahren wieder die Kandidatur zu erlauben.

Ganz anders wirken zunächst die Ankündigungen von Pérez Molina in Guatemala, der vorgab, die schwachen staatlichen Institutionen stärken zu wollen. Doch dieses Versprechen scheint wenig glaubwürdig angesichts der Tatsache, dass Pérez Molina zu Bürgerkriegszeiten Massaker an der Landbevölkerung befehligt haben soll. An einer starken Rechtsprechung jedenfalls dürfte er wenig Interesse haben. Schließlich wurde auch am Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Mordes gegen ihn ermittelt. Zudem gab Pérez Molina zweistellige Millionenbeträge für den Wahlkampf aus, was man in einem Land mit 50 Prozent Armutsquote schon als Manipulation bezeichnen kann. Erlaubt sind in Guatemala maximal sechs Millionen Dollar.

Menschenrechtler fürchten nun, er könne die Aufarbeitung der Vergangenheit behindern. Zudem ist eine Militarisierung im Innern zu erwarten und höchstens geringe Bestrebungen, an den wahren Auslösern der sozialen Probleme zu rütteln.

Bei allen Zweifeln an den neuen Präsidenten jedoch ist kaum zu leugnen, dass viele Nikaraguaner hinter Ortega stehen, der mit großzügig anmutenden Sozialprogrammen besonders die Armen erreicht. Und in der Tat wünschen sich viele Guatemalteken einen Präsidenten, der durchgreift. Das Land hat eine der höchsten Mordraten der Welt und die Sehnsucht nach Ordnung ist groß. Erhebungen von Latinobarómetro zufolge ist in den letzten Jahren die Bereitschaft, in schwierigen Situationen Recht und Institutionen zu umgehen und gar eine Militärregierung zu akzeptieren, deutlich gestiegen.

Doch es ist zu früh, die Demokratie für gänzlich gescheitert zu erklären. Nach der Wahl demonstrierten in Nikaragua Anhänger der Opposition heftig gegen die Wahlmanipulation. Einige von Ortegas ­alten Sandinisten-Genossen haben sich ohnehin bereits von ihm abgewendet, weil sie keine Diktatur unterstützen möchten. Und in Guatemala ist Pérez Molina immerhin leicht von seinem Kurs der harten Hand abgewichen – er versprach auch die Stärkung der zivilen ­Sicherheitskräfte und die Sozialprogramme seines Vorgängers fortzuführen. Es bleibt abzuwarten, wie viel das bewirkt.

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