Landgrabbing

Kommerzialisierung zerstört Gemeinschaftsregeln

Im Süden des Tschads gibt es zunehmend erbitterte Konflikte um Land, die oft gewaltsam ausgetragen werden. Sie zerstören lange gewachsene gemeinschaftliche Strukturen und die Lebensgrundlagen vieler Bauern.
Die Landwirtschaft im Tschad muss modernisiert werden. Ton Koene/picture-alliance Die Landwirtschaft im Tschad muss modernisiert werden.

Ein ganzes Bündel von – oft ungeschriebenen – Regeln und Gesetzen bestimmt seit jeher Besitz und Nutzung von Land und anderen Ressourcen. Sie legen zum Beispiel Fragen des Zugangs, der Verwaltung und der Weitergabe fest, sowohl für Individuen als auch für Gruppen. Die Regeln sind in den Gemeinschaften, in denen sie gelten, bekannt und akzeptiert. Sie können von Region zu Region sehr unterschiedlich sein und gehen Hand in Hand mit gemeinsamen Rechtsgrundsätzen, die in größerem Rahmen gelten und als eine Art Gewohnheitsrecht anerkannt sind.

Diese Strukturen haben jahrzehntelang gut funktioniert. Es fiel genug Regen für die im Süden des Tschads praktizierte extensive Landwirtschaft mit bestimmten, angepassten Feldfrüchten, die Regenfälle waren vorhersehbar und Dürren selten. Die Erträge waren zwar nicht hoch, aber unter den Bedingungen einer geringen Monetarisierung der Wirtschaft, starker Solidarität und Familienbande ausreichend. Die Bevölkerungsdichte war nicht sehr hoch, das Land reichte für alle, und die Menschen konnten die Fruchtbarkeit der Felder erhalten, indem sie sie lange brach liegen ließen.

Doch nun steht das ganze System mit seinem komplexen Kontroll- und Regulationsmechanismus auf der Kippe. Der Grund sind zunehmende Konflikte der unterschiedlichen Landnutzer, die oft widerstreitende Interessen verfolgen. Land ist knapp geworden, und Viehzüchter beanspruchen immer mehr Flächen, die eigentlich Buschland oder Brachen bleiben müssten. Wegen des starken Bevölkerungswachstums werden auch immer mehr Flächen für den Ackerbau benötigt. Hinzu kommt der Klimawandel, durch den sich die Sahel-Sahara-Zone, die für den Regenfeldanbau schlecht geeignet ist, stark ausgeweitet hat. Zudem hat sich die Bodenqualität verschlechtert und der Bewuchs abgenommen.

Heute sind die wandernden Viehzüchter aus dem Norden des Landes gezwungen, früher in den Süden zu ziehen und länger zu bleiben. Viele werden dort sesshaft, und das Zusammenleben von Ackerbauern und Viehzüchtern wird immer schwieriger (siehe auch E+Z/D+C e-Paper 2015/07, S. 24).

Die Kommerzialisierung des Bodens zerstört die traditionellen Gemeinschaftsregeln zur kollektiven Verwaltung und Regulierung zugunsten individuellen Besitzes. Ackerland von Dörfern, die in der Nähe großer Städte liegen, kann von heute auf morgen enteignet werden, einfach indem die Stadtgrenzen verschoben werden. Die Bauern haben das Nachsehen, denn sie haben kaum Möglichkeiten, ihren Besitzanspruch geltend zu machen.

Auch die Erdölförderung spielt eine nicht unerhebliche Rolle. In den betroffenen Gegenden hat die Errichtung der Förderanlagen die Anbauflächen mancher Dörfer drastisch reduziert.

Zugleich haben sich die Anbaumethoden nicht weiterentwickelt. Die Landwirtschaft ist nach wie vor extensiv und braucht viel Platz. Der Ertrag des Bodens ist zurückgegangen, und viele Familien sind gezwungen, einen Teil der Lebensmittel zu verkaufen, die sie für den Eigenbedarf anbauen. So nimmt Nahrungsmangel zu.

Das System hat seine Grenzen erreicht. Der Ressourcenverbrauch durch Ackerbauern und Viehzüchter übersteigt bei weitem die natürlichen Regenerationsmöglichkeiten. Anbaumethoden und Tierhaltung müssen unbedingt weniger Platz verbrauchen und ertragreicher werden. Bauern müssen ihre Produktionsmethoden hin zu intensiver Landwirtschaft entwickeln und nicht schlicht auf den Erhalt der Fruchtbarkeit durch Brachflächen setzen. Viehzüchter müssen auch angebautes Futter verwenden und die Größe ihres Viehbestandes an die Ressourcenknappheit anpassen.

Djeralar Miankeol ist Agraringenieur, Menschenrechtsaktivist und Leiter des Vereins Ngaoubourandi (Regenbogen), der sich im Tschad gegen Landgrabbing und für Entwicklung einsetzt. Der Verein wird in seiner Arbeit von Behörden und Sicherheitskräften behindert und ist Drohungen ausgesetzt.
djeralar@peaceresources.net

 

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