Wahlkampf

Lokale Gewaltstrukturen bleiben wichtig

Bei der Stichwahl treten in Afghanistan am 14. Juni zwei Kandidaten an, deren politische Vision recht ähnlich ist. Die Beteiligung am ersten Wahlgang war hoch. Afghanistan-Kenner Conrad Schetter hat Ende Mai die Lage im Interview mit Hans Dembowski bewertet.
Abdullah Abdullah lag im ersten Wahlgang vorn. landov/picture-alliance/dpa Abdullah Abdullah lag im ersten Wahlgang vorn.

Worin unterscheiden sich die Präsidentschaftskandidaten Abdullah Abdullah und Ashraf Ghani?

Wichtiger ist, glaube ich, was sie verbindet. Beide passen gut zu westlichen Vorstellungen, beide sprechen gut Englisch, beide haben unter Präsident Hamid Karsai Regierungserfahrung gesammelt – Abdullah als Außenminister und Ghani als Finanzminister. Die ethnische Zugehörigkeit spielt sicherlich eine Rolle. Abdullah ist halb Paschtune, halb Tadschike. Er war enger Vertrauter von Ahmed Shah Masood und profitiert von dessen Mythos als Befreiungskämpfer gegen die Taliban. Abdullah hat alle Kriegsjahre in Afghanistan oder in Flüchtlingslagern verbracht und die besseren Kontakte zu religiösen Kräften. Bei den Minderheiten kommt er besser an als sein paschtunischer Konkurrent. Ghani dagegen ist ganz westlich geprägt. Er hat an der amerikanischen Universität in Beirut studiert, später in den USA gelebt und für die Weltbank gearbeitet. Für westliche Regierungen bedeutet das, dass Verhandlungen mit ihm vielleicht schwieriger würden als mit Abdullah, denn Ghani kennt auch ihre Schwächen. Abdullah hätte vielleicht Vorteile bei der politischen Stabilisierung des Landes, während Ghani als Ökonom eher wirtschaftspolitisch Akzente setzen könnte.

 

Aus westlicher Sicht ist aber weder der eine noch der andere bedrohlich?

Nein, es wird in jedem Fall ein Neustart möglich sein. Es ist bemerkenswert, dass es dem bisherigen Präsidenten Karsai nicht geglückt ist, seine Netzwerke so zu mobilisieren, dass sein Kandidat Zalmai Rassoul in die Stichwahl gekommen ist. Beide verbleibenden Kandidaten arbeiten nun daran, die Eliten in den verschiedenen Regionen des Landes an sich zu binden. Sie kämpfen letztlich darum, Klientelnetzwerke für sich zu gewinnen. Weder der einen noch der andere denkt aber ideologisch und beide sind bereit, Kompromisse zu schließen, auf andere zuzugehen und auch mit den Taliban zu reden. Beide befürworten auch das Sicherheitsabkommen mit den USA.

 

Wie müssen wir uns die Taliban heute vorstellen, eher als eine Kaderorganisation religiöser Dogmatiker oder mehr als eine Art Mafia?

Es ist bemerkenswert, dass wir von den Taliban nach so vielen Jahren immer noch kein klares Bild haben. Es gibt eine Führungsriege in Pakistan, die sicherlich auch vom dortigen Geheimdienst unterstützt wird. Gleichzeitig sind die lokalen Verbände in Afghanistan um Autonomie bemüht und wohl auch in örtliche Klientelnetzwerke integriert. So erkläre ich mir auch, dass es in den vergangenen Jahren nie dazu gekommen ist, dass die Taliban Wahlen mit groß angelegten Gewaltaktionen unterbunden hätten. Es blieb immer bei einzelnen Zwischenfällen.

 

Sie sagen, dass die beiden verbleibenden Präsidentschaftskandidaten sich politisch sehr ähneln. Heißt das, dass die afghanische Gesellschaft das westliche Verständnis von Demokratie und Marktwirtschaft übernommen hat?

So weit denken die meisten Afghanen vermutlich gar nicht. Klientelbeziehungen bleiben für die meisten das zentrale Thema. Und das kann auch noch Akzeptanzprobleme auslösen, falls – was zu erwarten ist – der Wahlausgang knapp wird. Die Paschtunen stellen nicht ganz die Hälfte der Bevölkerung und werden von allen anderen misstrauisch beäugt.

 

Welche Rolle spielt die Differenz zwischen Sunniten und Schiiten, die im syrischen Bürgerkrieg sowie in anderen Ländern des Mittleren Ostens an Bedeutung gewonnen hat?

Sie ist wichtig und wird wahrgenommen, überlappt sich aber auch mit ethnischen Zugehörigkeiten. Grob vereinfacht lässt sich sagen, dass die Schiiten vom Iran und die Sunniten von Pakistan und Saudi-Arabien unterstützt werden. Der nächste afghanische Präsident steht jedenfalls vor großen Aufgaben: Er muss den Frieden sichern, die Wirtschaft in Schwung bringen und die Korruption zurückdrängen – was angesichts der großen Bedeutung von Patronage nur sehr langsam gelingen kann.

 

Dafür ist es vermutlich nötig, eine Alternative zur illegalen Drogenwirtschaft zu finden. So lange sie die exportstärkste Branche bleibt, ist saubere Regierungsführung doch gar nicht vorstellbar.

Es ist faszinierend, dass darüber praktisch gar nicht mehr gesprochen wird. Alle Seiten haben sich mit der Drogenökonomie arrangiert. In Provinzen wie Helmand oder Uruzgan ist sie eine Selbstverständlichkeit. Mittlerweile kommt nicht mehr nur Heroin aus Afghanistan, auch die Haschischexporte haben in letzter Zeit stark zugenommen. Aber selbst die internationale Seite erkennt mittlerweile an, dass die Kriminalisierung des Drogenanbaus letztlich zur Intensivierung der gewaltsamen Auseinandersetzungen geführt hat. Über das Thema herrscht heute Stillschweigen.

 

Gäbe es denn eine Alternative zu den Drogen?

Es besteht eine gewisse Hoffnung, demnächst mit der Förderung von Öl, Gas, Erzen und mineralischen Rohstoffen neue Einnahmequellen zu erschließen. Interessant ist zudem, dass chinesische und wohl auch indische Firmen an der Ausbeutung dieser Ressourcen starkes Interesse zeigen und zum Teil auch schon investiert haben. So könnte die Wirtschaft umstrukturiert werden. Als Problem könnte sich aber erweisen, dass die Chinesen sehr langfristig planen und vielleicht mit der Förderung erst in vielen Jahren anfangen wollen.

 

Bei Rohstoffausbeutung droht aber immer der Ressourcenfluch: Viele öl- oder erzreiche Länder werden nicht gut regiert, sondern sind von Korruption und Gewalt geprägt.

Das ist richtig und Konflikte zwischen Zentralstaat und lokalen Eliten scheinen mir auch in Afghanistan angelegt zu sein. Denn die lokalen Gewaltstrukturen bleiben dort weiterhin wichtig. Das zeigt sich unter anderem, dass Ghani sich im Wahlkampf ganz offen mit dem berüchtigten Warlord Abdul Rashid Dostum verbündet hat. Ob ihm das schadet oder nutzt, bleibt abzuwarten.

 

Haben Sie eine Vorstellung davon, wie Afghanistan in zehn Jahren aussehen wird?

Genau sagen kann das natürlich niemand. Vermutlich wird kein manifester Krieg mehr ausbrechen und es wird weiterhin sehr auf lokale Machtstrukturen ankommen. Zugleich zeichnet sich bereits jetzt ab, dass der Politikstil autoritärer und konservativer wird, weil es beispielsweise weniger Pressefreiheit gibt und die Rechte von Frauen begrenzt werden. Es wird wohl auch viele große Investitionsruinen geben, weil Infrastrukturvorhaben nicht vollendet werden oder wieder verfallen. Kaputte Straßen, trockene Kanäle und leere Schulen prägen jetzt schon an vielen Orten das Bild.

 

Welche Rolle werden die internationalen Geber nach Abzug der ISAF (International Security Assistance Force) Ende dieses Jahres spielen?

Die Bundesregierung will langfristig mit Kabul zusammenarbeiten. Bei den Amerikanern und Briten ist aber schon zu erkennen, dass deutlich weniger Geld für Entwicklungsvorhaben nach Afghanistan fließt. Die Weltbank und die Asiatische Entwicklungsbank haben sich mit Investitionen mittelfristig gebunden. Eine kohärente Entwicklungsstrategie haben die Geber aber nicht. Sie hatten auch nie eine. Es ist ein Jammer, dass sehr viel Geld letztlich ohne Sinn und Verstand ausgegeben wurde.

 

Conrad Schetter ist wissenschaftlicher Direktor des BICC (Internationales Konversionszentrum Bonn).
schetter@bicc.de

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