Internationale Beziehungen

Eine kurze Geschichte der BRICS

Zunächst war BRICS nur ein von einem Investmentbanker erfundenes Kürzel. Heute steht es dafür, dass fünf Schwellenländer sich gegen G7 und USA stellen und eine eigene multilaterale Entwicklungsbank haben. Ansonsten haben sie nicht viel gemeinsam. Offen ist, was Russlands Angriff auf die Ukraine für die Zukunft der BRICS bedeutet.
Das diesjährige BRICS-Gipfeltreffen war eine digitale Veranstaltung. picture alliance / Xinhua News Agency / Li Tao Das diesjährige BRICS-Gipfeltreffen war eine digitale Veranstaltung.

Vor gut zwanzig Jahren erfand Jim O’Neill von Goldman Sachs das Kürzel BRICs in Anlehnung an das Wort für Bausteine („bricks“). Es stand für Brasilien, Russland, Indien und China. Diese Länder verbanden in O’Neills Augen hohe Wachstumsraten und großen Bevölkerungen. Deutliche Unterschiede bestanden dagegen bei den politischen Systemen, die von repräsentativer Demokratie bis hin zur ausgewachsenen Diktatur reichten. Auch Wirtschaftspolitik, Geschichte, Kultur und Geografie der Länder waren sehr unterschiedlich. Während Russland den halben Nordpolarkreis umspannt, liegen Indien und Brasilien größtenteils in den Tropen.

Dennoch setzte sich O’Neills Kürzel auch in den betroffenen Ländern durch. Im Jahr 2006 kamen die vier BRICs-Außenminister erstmals am Rande der UN-Generalversammlung in New York zusammen. Seit dem ersten BRICs-Gipfeltreffen 2009 in Jekaterinburg gab es jährlich einen – zuletzt im Juni als vom chinesischen Präsidenten Xi Jinping ausgerichtete digitale Konferenz.

Vom kleinen zum großen „s“

Als Südafrika sich 2010 der Ländergruppe anschloss, wurden aus dem kleinen „s“ ein großes. Die Welt hatte sich derweil gewandelt. 2008 hatte die Zahlungsunfähigkeit von Lehman Brothers – einer New Yorker Investmentbank – eine weltweite Finanzkrise ausgelöst. Besonders hart hatte es die G7 (Gruppe der sieben wichtigsten Volkswirtschaften mit hohen Einkommen) getroffen. Schwellenländer kamen deutlich besser durch die Krise und gewannen folglich an Ansehen. Seit Ende 2008 trafen sich die Regierungschef/innen der 20 größten Volkswirtschaften (G20) regelmäßig. Beteiligt waren sowohl die G7 als auch die BRICS-Staaten.

Die BRICS stehen mittlerweile in Dollar gerechnet für rund ein etwa ein Viertel der weltweiten Wirtschaftsleistung, in Kaufkraft gemessen sogar für ein Drittel. Ungefähr 40 Prozent der Menschheit leben in einem BRICS-Staat.

Attraktivität beruht nicht auf gemeinsamen Zielen

Mehrere andere Entwicklungs- und Schwellenländer haben Interesse daran geäußert, der Gruppe beizutreten. Dazu gehören Indonesien, Bangladesch, Pakistan, Iran, Saudi Arabien, die Türkei, Ägypten, Nigeria, Senegal und Argentinien. Da die BRICS-Gruppe keine klare gemeinsamen Agenda hat, ist ihre Attraktivität erklärungsbedürftig. Jedenfalls zeigt sie, dass viele Regierungen nicht mit dem globalen Führungsanspruch der US-dominierten G7 einverstanden sind. Sie sehen die BRICS offenbar als potenzielles Gegengewicht.

Doch werden die BRICS dieser Rolle nicht gerecht. Sie haben kein kohärentes politisches Programm. Geredet wurde viel – vor allem über diverse Wirtschaftsfragen. Große Verlautbarungen führten aber mit einer Ausnahme nicht zu handfesten Vorhaben oder nennenswerten multilateralen Initiativen. Immerhin gibt es eine echte BRICS-Institution: die New Development Bank (NDB) in Shanghai (siehe Kasten). Angekündigt wurden aber unter anderem auch eine Innovationspartnerschaft, eine gemeinsame Währungsreserve und eine BRICS-Ratingagentur. Nichts davon ist bisher zustande gekommen.

Uneinige Verbündete

Das liegt mit daran, dass die BRICS-Mitglieder sich auf wenig einigen können, dass über die Ablehnung einer unipolaren Weltordnung unter US-Vorherrschaft hinausginge. Je weiter die volkswirtschaftliche Entwicklung und die strategischen Interessen der fünf Länder auseinanderklaffen, desto schwieriger wird es, Gemeinsamkeiten zu finden. Vor allem Indien und China sind nicht natürliche Verbündete, sondern harte Konkurrenten. Die Sicherheitslage entlang der chinesisch-indischen Grenze im Himalaya ist angespannt. Immer wieder sterben dort Soldaten.

Indien bleibt weitgehend von Chinas umfangreichem Infrastrukturprogramm Belt and Road Initiative ausgeschlossen, das aber Projekte in Bangladesch, Pakistan und Sri Lanka fördert. Angesichts deren zunehmender Staatsverschuldung ist zwar unklar, ob diese Länder unterm Strich wirklich profitieren, offensichtlich ist aber, dass das chinesische Regime Indien als Rivalen sieht. Es stimmt auch seine Schuldenpolitik nicht mit BRICS-Partner ab.

Der Handel zwischen den fünf BRICS-Ländern nimmt seit einiger Zeit sogar ab, was nicht allein an Covid-19 lag. Immer deutlicher treten Handelsstreitigkeiten zwischen Indien und China zutage.

Die G7 wiederum nutzen Spannungen zwischen den BRICS geschickt aus. So waren jüngst sowohl Indiens Ministerpräsident Narendra Modi als auch Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa zum G7-Gipfel in Schloss Elmau eingeladen. Beiden nahmen an einer Seitenveranstaltung teil, was wohl Alarmglocken in Peking hat läuten lassen. China zeigt Interesse daran, die BRICS-Gruppe zu erweitern, aber andere Mitglieder wollen den Kreis offenbar lieber klein halten. Alle fünf Länder folgen ihren nationalen Interessen.

Enttäuschung über die G7

Die internationale Enttäuschung über die G7 hat viele Gründe (siehe die Interviews mit Anna-Katharina Hornidge und Vladimir Antwi-Danso auf www.danc.eu). Hier beschränke ich mich auf den Hinweis, dass wir im globalen Süden viele Predigten über solide Wirtschaftspolitik und den Kampf gegen die Korruption gehört hat. Wir sehen aber, dass niemand zur Rechenschaft gezogen wird, wenn fahrlässige Wall-Street-Spekulation die Weltwirtschaft in die Krise stürzt oder wenn deutsche Autohersteller ihre Kundschaft weltweit mit manipulierten Abgasdaten betrügen. G7-Heuchelei fing nicht mit Donald Trump an und ist auch nicht mit ihm von der Weltbühne abgetreten.

Im multilateralen System stehen die G7 auf der Seite des Finanzkapitals und üben unverhältnismäßig große Macht aus. Ein Gegengewicht wäre gut. Die BRICS sind zu uneins, um diese Funktion zu erfüllen. Bislang habe sie sich zu wichtigen Themen wie der Klimakrise auch kaum geäußert. Es steht nicht zu erwarten, dass sie bald die nötige zusammenhängende Agenda erstellen. Vielmehr versucht jedes Mitglied, so gut es kann, die herrschende Ordnung für eigene Zwecke zu nutzen. Die russische Invasion der Ukraine hat die Gemengelage noch komplizierter gemacht.

Zunehmend instabile Weltordnung

Zwar haben die vier anderen BRICS-Mitglieder den russischen Angriffskrieg verurteilt, aber sie wollen Moskau das Leben nicht allzu schwer machen. In gewissem Maß versuchen sie, von dessen Isolation zu profitieren, etwa indem sie russische Lieferungen mit Rabatten importieren. Derweil hat die NDB ihr Russlandprogramm auf Eis gelegt, denn die Bank will ihr AA+ bei westlichen Ratingagenturen behalten. Das zeigt, dass der Handlungsspielraum der BRICS-Gruppe begrenzt ist. Es bleibt abzuwarten, wie sie in einer zunehmend instabilen Weltordnung zurechtkommen wird.


Praveen Jha ist Professor für Wirtschaftslehre an der Jawaharlal Nehru University in Neu-Delhi.
praveenjha2005@gmail.com

 

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