Kommentar

Herzkammer der Demokratie

Die indische Regierung macht regierungsunabhängigen Organisationen (NGOs – non-governmental organisations) das Leben schwer. Statt Gegner mundtot zu machen, sollte sie lieber klare Regeln schaffen, die für alle gelten.
Demonstration gegen das Atomkraftwerk Kudankulam in 2012. landov/picture-alliance Demonstration gegen das Atomkraftwerk Kudankulam in 2012.

Indiens Regierung beäugt zivilgesellschaftliche Organisationen misstrauisch. Diese setzen sich für Umweltschutz, indigene Einwohner oder die Rechte von Frauen ein. Sie kämpfen gegen Kinderarbeit, Atomkraft und genmanipulierte Pflanzen. Staatliche Stellen prüfen die Finanzquellen von NGOs und lassen Bankkonten sperren. Aktivisten werden genau beobachtet. Aus Sicht der Regierung bremsen oppositionelle Stimmen Wirtschaftswachstum und Entwicklung.

Im Januar 2015 durfte Priya Pillai von Greenpeace trotz gültigen Visums nicht in ein Flugzeug nach London steigen. Dort wollte sie britische Parlamentsabgeordnete über Menschenrechtsverletzungen im zentralindischen Mahan informieren, wo viele Angehörige indigener Gruppen leben. Das Privatunternehmen Essar Energy, das in London gemeldet ist, will dort Kohle fördern. Es wurde offiziell kein Grund für die Einschränkung von Pillais Reisefreiheit genannt.  

Im Juni 2014 hat die Regierung Greenpeace-Konten gesperrt und dem indischen Ableger der internationalen Organisation verboten, Geld vom Dachverband anzunehmen. Greenpeace wandte sich an den High Court in Delhi, der entschied, solches Staatshandeln sei „willkürlich, illegal und verfassungswidrig“.

Die Hatz begann schon unter Premierminister Manmohan Singh. Im Februar 2012 sagte er, NGOs mit ausländischem Geld verstünden die Entwicklungsherausforderungen des Landes nicht. Indien sei aber eine Demokratie und „nicht wie China“. Dennoch ging seine Regierung bald darauf hart gegen Menschen vor, die im Bundesstaat Tamil Nadu gegen das Atomkraftwerk russischer Bauart in Kudankulam protestierten. Die Landesregierung warf ihnen sogar Volksverhetzung vor. 

Im Mai 2014 wurde der rechts stehende Politiker Narendra Modi zum Premier gewählt. Seine Regierung scheint die Unterdrückung von Widerspruch noch schärfer zu betreiben. Sie drängt die Finanzämter, den Geheimdienst und andere Behörden, zivilgesellschaftliche Organisationen zu beobachten und unter Druck zu setzen.

Zugleich lockert sie Umweltgesetze, damit Großprojekte in Bergbau, Energieerzeugung, Infrastruktur und diversen Wirtschaftszweigen schneller vorankommen. Bestehende Gesetze und Regeln werden auch gern umgangen. Für die Umwelt-Zulassung einiger Projektarten ist nun keine öffentliche Anhörung mehr nötig. Das Bodenrecht wurde gelockert, damit Unternehmen und Behörden leichter Land von Bauern erwerben können.  

Indien hat eine lebhafte Zivilgesellschaft. Es gab schon viele soziale Bewegungen. Das Engagement der Bürger bereichert das öffentliche Leben und hat wichtige Reformen bewirkt. Eine ausgedehnte öffentliche Kampagne führte etwa zum Recht auf Informationsfreiheit. Für Mineralwasser und Softdrinks in Flaschen wurden Pestizidhöchstgrenzen festgelegt, nachdem das nichtstaatliche Centre for Science and Environment in Delhi auf die Belastung vieler Getränke aufmerksam gemacht hatte. Dank zivilgesellschaftlicher Akteure hat das Patentrecht nun eine Klausel, die unsinnige Patente ausschließt. Deshalb können Pharmahersteller weiter billige Generika wichtiger Medikamente produzieren. Es gibt noch viele andere Beispiele für gutes Bürgerengagement in Indien.

Die Regierung tut aber so, als seien alle Organisationen, die Geld aus dem Ausland bekommen, von Europa oder Amerika gesteuert. Das ist lächerlich. Indische Aktivisten sind recht eigensinnig. Das ist es auch, was die Regierung stört. Ausländische Unterstützung ist wichtig, weil es in Indien nicht viele Spender gibt und diese oft Partikularinteressen verfolgen.

Besonders pikant ist, dass Indiens Regierung selbst gern Geld von nichtstaatlichen Institutionen wie etwa der Bill and Melinda Gates Foundation annimmt. Anstatt die Zivilgesellschaft unter Druck zu setzen, sollte sie ihre Hausaufgaben machen und klare und transparente Regeln formulieren, die dann für alle gelten. Dissens ist schließlich eine Herzkammer der Demokratie.

 

Dinesh C. Sharma ist Journalist in Delhi und hat kürzlich ein Buch veröffentlicht:
 “Know your heart: the hidden links between your body and the politics of the state”.
dineshcsharma@gmail.com

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