Fragile Staaten

Aufgabe für ein Vierteljahrhundert

Die Erfahrung in Afghanistan zeigt: Hilfe für fragile Staaten muss langfristig angelegt sein.
Ausbildungslager für afghanische Polizeikräfte im Verantwortungsbereich der Bundeswehr. Kietzmann/picture-alliance/imageBROKER Ausbildungslager für afghanische Polizeikräfte im Verantwortungsbereich der Bundeswehr.

Die radikalislamischen Taliban liefern sich in Afghanistan weiterhin täglich Gefechte mit Sicherheitskräften der Regierung – trotz andauernder internationaler Bestrebungen, den Konflikt politisch zu lösen. Zudem ist die Armutsrate in dem Land in den vergangenen fünf Jahren von 39 auf 54 Prozent gestiegen, obwohl die Geberländer Milliarden ausgegeben haben. Welche Lehren sich aus fast zwei Jahrzehnten Krisenarbeit in Afghanistan für andere fragile Staaten ziehen lassen, war Thema einer Veranstaltung der KfW Entwicklungsbank im Januar in Berlin.

Nach OECD-Angaben leben derzeit rund 1,8 Milliarden Menschen in 58 fragilen Staaten und Regionen, die meisten in Subsahara-Afrika, im arabischen Raum und Zentralasien (siehe hierzu Beitrag von Katja Dombrowski in E+Z/D+C e-Paper 2018/11, Monitor). Ihre Regierungen sind nicht in der Lage oder nicht willens, Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit und eine soziale Grundversorgung zu garantieren. Staatliche Institutionen sind schwach, politische Willkür, Gewalt, Korruption und Armut weit verbreitet. Fragilität ist ein dauerhaftes und wachsendes Phänomen.

Laut Aga Khan, dem Leiter von 20 Millionen Ismailiten und Gründer des Aga Khan Development Networks (AKDN), einer der größten privaten Entwicklungsorganisationen (siehe hierzu auch Beitrag von Alphonce Shiundu in E+Z/D+C e-Paper 2017/12, Schwerpunkt), sind drei Grundsätze für erfolgreiche Arbeit in fragilen Regionen entscheidend:

  • Setze auf lokaler Ebene an,
  • sprich mit allen Beteiligten,
  • investiere in private und zivilgesellschaftliche Organisationen.

„In fragilen Situationen können Geber am besten auf lokaler Ebene Vertrauen und Glaubwürdigkeit gewinnen“, sagte Aga Khan auf der KfW-Veranstaltung. Das AKDN ist ein wichtiger Kooperationspartner des Auswärtigen Amts und der KfW Entwicklungsbank in Afghanistan. Seit 2010 haben sie gemeinsam in Nordafghanistan Infrastrukturprojekte wie Schulen, Straßen, Brücken und Regierungsgebäude mit rund 100 Millionen Euro finanziert.

Aga Khans zweiter Grundsatz ist seine Verpflichtung zum Pluralismus. Eine Gesellschaft müsse erlauben, dass verschiedene Interessen und Lebensstile friedlich nebeneinander existieren. „In fragilen Kontexten müssen deshalb alle Betroffenen konsultiert werden, jedes Gemeindemitglied soll profitieren“, betont er. Schließlich setzt er besonders auf zivilgesellschaftliche Organisationen. „Sie sorgen dort für Kontinuität und Stabilität, wo die Politik und die Sicherheitslage unbeständig sind.“ Deutschland solle auf diese drei Grundsätze zurückgreifen, wenn es um sein künftiges Engagement in Afghanistan und anderen Weltregionen gehe. „Die Welt braucht Deutschlands prinzipientreue und pragmatische Führungsrolle jetzt mehr denn je.“

Deutschlands Rolle bewertet Jürgen Trittin besonders mit Blick auf den Jemen kritisch. Der Grünen-Außenpolitiker und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss warnt: „Die Bundesregierung darf die Krisensituation dort nicht verstärken, indem sie Waffen an die Kriegsparteien liefert.“ Saudi-Arabien ist ein wichtiger Käufer deutscher Rüstungsgüter und kriegführende Partei im Jemen. Im dritten Quartal 2018 genehmigte die Bundesregierung Exporte in Höhe von rund 254 Millionen Euro in das Land. Seit 2015 tobt im Jemen ein Mehrfrontenkrieg. Eine politische Lösung ist nicht in Sicht. Die UN sprechen von der größten humanitären Katastrophe der Welt.

Zugleich geht der Krieg am Hindukusch schon in sein 18. Jahr. So lange engagiert sich auch Deutschland zusammen mit seinen Bündnispartnern in Afghanistan. Dennoch haben die Taliban große Teile des Landes wieder unter ihre Kontrolle gebracht. Trotz der Schwierigkeiten liegt für Trittin der Schlüssel zur Stabilisierung im langfristigen Engagement. „Dazu gehört die Bereitschaft, sich für ein Vierteljahrhundert in der Region zu engagieren und auch der Mut, die Einsätze durchzufinanzieren“, sagt er. Den möglichen Teilrückzug der USA aus Afghanistan, den Präsident Donald Trump im Dezember angekündigt hat, hält er für sehr problematisch.

Bei einem Abzug der US-Truppen will Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen auch den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan beenden. Die Sicherheitslage würde sich vermutlich verschlechtern, was zur Folge hätte, dass auch Hilfsorganisationen Mitarbeiter abziehen und das Wichtigste verlieren: ein vertrauensvolles Netzwerk, das die Arbeit von Organisationen wie des AKDN überhaupt erst möglich macht.

 

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