Kommentar

„Die Revolution retten“

Mit dem Abtritt von Hosni Mubarak ist Ägypten noch längst nicht zur Demokratie geworden. Die Protestbewegung muss den Druck aufrechterhalten.

Von Helmut Danner

Manche Ägypter fragen sich: War das eine Revolution oder ein Militär-putsch? Für die Putsch-These spricht, dass Generäle die Exekutivgewalt übernommen haben und das Geschehen bis zum Entstehen einer Zivilregierung bestimmen. Zunächst zeigte sich das Militär kooperativ, aber zunehmend geht es härter gegen Aktivisten der Protestbewegung vor. Es gab zahlreiche Verhaftungen und bei der Auflösung einer Demonstration am 8. April starben mindestens zwei Menschen.

Das Militär will erklärtermaßen keine Kritik dulden. Ein bekannter Blogger, Maikel Nabil Sanaad, wurde wegen „Beleidigung des Militärs“ zu drei Jahren Haft verurteilt. Kritik ist aber nötig, meinen die Aktivisten. Sie werden von einer breiten Schicht der ägyptischen Bevölkerung unterstützt. Eine bislang unbekannte Hoffnung und Freiheit verändern das Verhalten der Menschen. Die alte verhuschte Angst ist verflogen. Dies lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Es war eben doch eine Revolution – und darauf kommt es an, auch wenn sie noch nicht abgeschlossen ist.

Die Demokratiebewegung muss sich gegen verschiedene Beharrungskräfte durchsetzen. Es ist unklar, ob die Militärspitze wirklich demokratische Reformen will oder ob sie vor allem ökonomische und soziale Privilegien verteidigt. Einflussreiche Geschäftsleute und Politiker verteidigen den Status quo – auch indem sie Chaos inszenieren. Die Muslimbruderschaft gehörte zwar zur Opposition gegen Mubarak, sie verfolgt aber eigene Ziele.

In diesem Umfeld muss sich die Demokratiebewegung behaupten. Erreicht wurde schon einiges: der Rücktritt Mubaraks und einiger seiner Gefolgsleute sowie – de facto, wenn auch nicht de jure – die Durchsetzung der Rede- und Meinungsfreiheit.

Fortschritt ist zäh. Ermittlungen gegen Mubarak und seine Familie haben begonnen, ihre Bankkonten wurden eingefroren, sie werden vor Gericht erscheinen müssen. Andere haben Reiseverbot. Mindestens zwanzig Politiker und Geschäftsleute wurden verhaftet und müssen sich wegen Betrug, Korruption und zum Teil wegen der Tötung von rund 850 friedlichen Demonstranten verantworten. Die alte Staatspartei NDP wurde per Gerichtsbeschluss aufgelöst und die Militärregierung hat 20 von Mubaraks alten Gouverneuren durch neue Leute ersetzt.

Das System, für das Mubarak stand, existiert aber fort. Demokratischer Wandel erfordert, dass Vertreter des alten Regimes aus Regierung und Verwaltung ausscheiden. Aber heute steht Mubaraks Vertei­digungsminister Hussein Tantawi dem ­Militärrat vor. Die Notstandsgesetze, die willkürlichem Vorgehen des Militärs legale Rechtfertigung bieten, gelten weiterhin.

Die Protestbewegung fordert, dass solche Leute abtreten, der Notstand aufgehoben wird und ein ziviles Gremium den Militärrat ablöst.

Die entscheidende Forderung der Aktivisten ist aber vermutlich die nach einer völlig neuen demokratischen Verfassung. Vor allem zwei Artikel der alten Verfassung sind problematisch, nämlich jener, der die Scharia zur Grundlage der Verfassung macht, und jener, wonach 50 Prozent der Parlamentsabgeordneten Arbeiter und Bauern sein sollen. Das Referendum, das im März nur einzelne Verfassungsmängel korrigierte, griff aus Sicht der Demokratiebewegung zu kurz. Aktivisten fürchten nun, dass das Militär sich damit zufriedengibt.

Die Stimmung im Land hat sich zu ihren Gunsten gewandelt, aber die Demokratie hat noch nicht gesiegt. Die Demokratiebewegung hat das Problem, dass ihr viele verschiedene Gruppen angehören. Sie wollen sich zusammenschließen, denken an die Gründung einer neuen Partei und an eine NGO, die soziale Aufgaben übernehmen soll. Aber jetzt zeigt sich, wie schwer es ist, sich auf gemeinsame positive Ziele zu einigen. Es war und ist ‚einfacher‘, das alte Unterdrückungssystem abzulehnen.

Die Aktivisten wollen die „Revolution retten“. Um sich auf lange Sicht durchzusetzen, muss die Demokratiebewegung weiteren Wandel fordern, wozu auch wieder Demonstrationen nötig werden dürften. Zugleich muss sie sich intern auf Kompromisse einigen, um sich für Wahlen politisch schlagkräftig zu organisieren. Die Herausforderungen bleiben gewaltig.

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