UNDP

Was umweltfreundlicher Aufschwung nach Covid-19 erfordert

Vor dem Klimagipfel in Glasgow im November erläutert UNDP-Administrator Achim Steiner Hans Dembowski im Gespräch, welche Fortschritte es beim Übergang zur Nachhaltigkeit gibt. Er sieht in turbulenten Zeiten Gründe für Hoffnung.
„Jede Nation leidet, wenn die Umwelt instabil wird“: Taifun Haishen am 4. September 2020. Yonhap/picture-alliance/Yonhapnews „Jede Nation leidet, wenn die Umwelt instabil wird“: Taifun Haishen am 4. September 2020.

2010 sagten Sie mir in einem E+Z/D+C-Interview, Handeln zum Schutz von Klima und biologischer Vielfalt sei dringend geboten. Heute ist die Lage schlechter als damals – was folgt daraus?

Es bedeutet, dass wir nicht schnell genug vorankommen, obwohl es echte Fortschritte gibt. Manche Erfolge wären uns 2010 noch fast unmöglich erschienen. Die Spitzenpolitiker aller großen Volkswirtschaften haben inzwischen Termine benannt – oder erwägen sie –, bis wann sie Klimagasemissionen netto beenden wollen. Einige der wichtigsten Luftverschmutzter nennen dafür das Jahr 2050. Ein Land wie Deutschland bezieht heute mehr als ein Drittel seines Stroms aus erneuerbaren Quellen. Diese Quote war vor zehn Jahren noch Science-Fiction. Die Menschheit hat ernsthaft begonnen, das Wirtschaftswachstum vom CO2-Ausstoß abzukoppeln. Wir müssen aber ehrgeiziger und viel schneller werden.

Wie sieht es mit der Biodiversität aus?

Leider haben wir, was den Schwund von Lebensräumen und Arten angeht, weniger erreicht. Das liegt mit an der Komplexität dieses Themas, bei dem lokale Besonderheiten sehr wichtig sind. Das macht es schwerer, globale Politik-Konzepte zu formulieren. Zudem bewerten unsere derzeitigen Wirtschaftssysteme den Verlust von Biodiversität nicht finanziell. Wenig überraschend wird sie folglich nicht als öffentliches Gut sondern als frei verfügbar wahrgenommen. Solange sich das nicht ändert, werden wir keine signifikante Trendwende sehen. Positiv ist aber, dass wir voraussichtlich für den Schutz von Biodiversität und Ökosystemen nützliche Lehren aus klimapolitischen Erfolgen ziehen können.

Im Zuge der Covid-19-Pandemie sind die CO2-Emissionen zurückgegangen. Ist das ein langfristiger Effekt?

Wir dürfen sicherlich nicht erwarten, dass sich ein neues Emissionsgleichgewicht nach der Pandemie quasi automatisch einstellt. Eine Lehre aus der Finanzkrise von 2008 ist, dass Volkswirtschaften schnell wieder Fahrt aufgenommen haben. Die Aktienmärkte legten zu, und das Wachstum ließ auch nicht lange auf sich warten. Dennoch hat die Krise tiefe und bleibende Spuren hinterlassen, was Schulden und wachsende Ungleichheit angeht. Diesmal müssen wir die unglaubliche Chance der Krise nutzen und nach der Pandemie neu und besser aufbauen. Der Green Deal der EU, die neuen Selbstverpflichtungen von USA, China, Japan, Korea und einer wachsenden Zahl von Ländern belegen das Interesse an einem grünen Aufschwung. Beunruhigend ist jedoch, dass das Economic-Recovery- Projekt der Universität Oxford und das UN-Umweltprogramm ( UN Environment Programme – UNEP) bei der Prüfung der weltweiten Konjunkturprogramme festgestellt haben, dass bislang nur 18 Prozent der Fördermittel als „grün“ bezeichnet werden können. Das ist ein Warnsignal. Es gibt eine Tendenz, auf bekanntes Terrain zurückzukehren, anstatt mutig voranzuschreiten. Was jetzt geschieht, ist entscheidend. Wir müssen jetzt Länder dabei unterstützen, konsequent den Weg zu einer grüneren und nachhaltigeren Zukunft einzuschlagen.

Länder mit niedrigen und niedrigen mittleren Einkommen haben viel geringere Finanzspielräume als reiche Nationen. Können sie denn neu und besser aufbauen?

Staatsverschuldung ist ein ernstes und wachsendes Problem. Sie untergräbt ökonomische Stabilität. Zugleich setzt sie Regierungen enge Grenzen bei Investitionen für einen grünen Post-Corona-Aufschwung. Zu Beginn der Pandemie hat die Gruppe der 20 führenden Volkswirtschaften (G20) wichtige Maßnahmen ergriffen und Entwicklungsländer ihren Schuldendienst aussetzen lassen. Das bringt aber nur temporäre Entlastung, keine grundlegende Problemlösung. Das UNDP hat in einer neuen Studie die Finanz- und Schuldensituation von rund 120 Ländern analysiert. Davon gelten 72 als „gefährdet“ und davon wiederum 19 als „stark gefährdet“. Für 23 der 72 Länder greifen die bestehenden Erleichterungen der G20-Initiative und des verwandten Common Framework nicht. Die Studie führt aus, dass die verschuldeten Entwicklungsländer stabilen Zugang zu kostengünstigen Finanzierungen brauchen und dass davor Schulden auch umstrukturiert werden müssen. Um den Schwung jahrzehntelanger Fortschritte im Kampf gegen die Armut wiederzugewinnen und richtig auf die Klimakrise zu reagieren, müssen Staatsausgaben mittel- und langfristig umgeleitet und effizienter werden, und zugleich müssen die Staatseinnahmen im Inland steigen.

Entwicklungsländer brauchen neue Infrastruktur in besonderem Maße.  

Ja, und das ist vielfach eine doppelte Aufgabe:

  • Erstens: Rund 600 Millionen Afrikaner haben immer noch keinen Strom. Das kann nicht so bleiben.
  • Zweitens braucht Afrika eine klimakompatible, emissionsarme Infrastruktur.

Das wird enorme Vorteile bringen. Der Ausbau nachhaltiger und sauberer Energieversorgung wird viele neue grüne Jobs schaffen. Erwerbs- und Aufstiegschancen werden verbessert. Gefördert werden zudem Geschlechtergerechtigkeit, Frauenrechte und Gesundheit. Nötig sind also mutige Investitionsentscheidungen. Der geringe finanzpolitische Spielraum mit wachsenden Schuldenlasten macht es aber allen Entwicklungsländern schwer, jetzt die für die Transformation notwendigen Investitionsentscheidungen zu treffen. Wir arbeiten an einer globalen Reaktion auf die Covid-19-Krise, brauchen aber zugleich ein globales Konzept für die Finanzierung emissionsarmer Strategien in jedem Land.

Aber es ist doch klar, dass Regierungen sich vor allem für das Wohlergehen ihrer eigenen Volkswirtschaft interessieren.

Ja, in gewissem Umfang ist das selbstverständlich. Wir leben aber in einer vernetzten Weltwirtschaft, in der das Wohlergehen aller vom Austausch und der Zusammenarbeit mit anderen abhängt. Das gilt sogar für die größten Ökonomien: die USA, China und die EU. Es ist ein Irrglaube, es sei möglich, sich nur um die eigene Nation zu kümmern, weil die übrige Welt globale Probleme schon lösen werde. Die Klimakrise zeigt, dass das nicht geschieht. Jede Nation leidet, wenn die Umwelt instabil wird. Großenteils überlappen sich heute nationale und multilaterale Interessen, und pragmatische Politiker wissen das auch.

Dennoch wachsen seit einigen Jahren die Spannungen zwischen den USA und China. Nationalistische Neigungen sind auch in anderen Ländern zu erkennen. Werden die Risiken des Klimawandels sich als ähnlich hilfreich erweisen, wie es die Gefahr der wechselseitigen atomaren Auslöschung im kalten Krieg war?

Den Regierungen in Washington und Moskau war damals immer klar, wie destruktiv ein Atomkrieg gewesen wäre. Ich gehe davon aus, dass sich der gesunde Menschenverstand auch jetzt durchsetzt. Joe Biden und Xi Jinping, die Präsidenten der USA und der Volksrepublik China, haben beide klar gezeigt, dass sie wissen, wie verheerend die Klimakrise eskalieren kann, wenn die Weltgemeinschaft nicht gemeinsam gegensteuert. Zurzeit schrumpft auch die Zahl der Klimaleugner an der Spitze von Staaten und Regierungen deutlich. Die Erfahrung des Pariser Klimagipfels zeigt jedenfalls, dass Washington und Peking mit Kooperation trotz großer Differenzen viel erreichen können. Wir leben in turbulenten Zeiten, es gibt aber Gründe, die Hoffnung nicht aufzugeben.

Lassen sich Umwelt- und Entwicklungspolitik überhaupt noch sinnvoll unterscheiden?

Nein, und das wissen wir spätestens seit dem Erdgipfel von Rio de Janeiro 1992. Offiziell hieß er UN Conference on Environment and Development (UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung). Offensichtlich sind Wirtschaft, Gesellschaft und Natur keine unabhängigen Sphären. Was in einer passiert, wirkt sich auf die anderen aus – und deshalb ist Nachhaltigkeit auch in ökonomischer und sozialer Hinsicht nötig. Laut Statistiken der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization – WHO) sterben beispielsweise jährlich 7 Millionen Menschen an Luftverschmutzung. Diese Luftverschmutzung ist vor allem auf die Nutzung fossiler Energie zurückzuführen. Das zeigt, dass Umwelt und menschliches Wohlergehen inhärent miteinander verknüpft sind.

Was tut das UNDP, um dieses Verständnis voranzubringen?

Wir tun unser Bestes, um über Nachhaltigkeit im Kontext der Agenda 2030 mit den 19 Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs) aufzuklären. Im aktuellen Human Development Report des UNDP gibt es zum ersten Mal eine Variante des Index der menschlichen Entwicklung (Human Development Index – HDI), der planetare Grenzen widerspiegelt. Der HDI bewertet in jedem Land Gesundheit, Bildung und Lebensstandard, und der neue Planetary-Pressures Adjusted HDI (PHDI) spiegelt darüber hinaus Klimagase und Ressourcenverbrauch wider. Er zeichnet ein weniger rosiges, aber realistischeres Bild unseres Fortschritts. Unter anderem fallen 50 Länder wegen ihres ökologischen Fußabdrucks aus der Kategorie „hohe menschliche Entwicklung“ heraus. Der PHDI ist eine wichtige Innovation und das Echo darauf war vielversprechend – und zwar auch von Politikern und internationalen Institutionen.

Hat das UNDP in engerem Sinne mit Klimaverhandlung zu tun?

Ja, denn vor zwei Jahren haben wir unser Klimaversprechen (Climate Promise) ausgesprochen und zwar, 100 Ländern dabei zu helfen, ihre nationalstaatlich bestimmten Beiträge (Nationally Determined Contributions – NDCs) zur Klimapolitik zu erneuern, deren regelmäßige Aufstockung das Pariser Klimaabkommen vorsieht. Wir unterstützen jetzt 118 Länder, damit ihre NDCs technisch solide werden, sie innovative Wege gehen und den neuen Ehrgeiz auch finanzieren können. Unser Climate Promise ist weltweit das größte Unterstützungsprogramm in diesem Kontext. Es um viel mehr als nur Emissionszahlen. Für stimmige NDCs brauchen Regierungen klare Konzepte und Pläne für Verkehr, Stromversorgung, Industrieentwicklung, soziale Sicherung und so weiter. Klimafragen durchdringen mittlerweile sämtliche Politikfelder. Es ist ganz einfach: Die Menschheit hat entweder eine klimaneutrale oder gar keine Zukunft. Das Bewusstsein dafür wächst.

Und deshalb interessieren sich auch Zentralbanken zunehmend für Klimafragen?

Genau, Zentralbanken spielen eine wachsende Rolle – unter anderem, weil sie sich zwei Trends stellen müssen. Die klar sichtbaren Auswirkungen des Klimawandels bedeuten, dass die Notenbanken jetzt auf neue und wachsende Risiken achten müssen. Zugleich erkennen sie, was für ungeheure Chancen Investitionen in eine grüne, nachhaltige Zukunft bieten.

Es ist bemerkenswert, dass diese Debatte international läuft.

Ja, und das wichtigste Forum dafür ist vermutlich das Network for Greening the Financial System, dem alle wichtigen Notenbanken und Finanzregulierungsbehörden angehören. Es ist auch kein Zufall, dass der Internationale Währungsfonds und die Europäische Zentralbank mit gutem Beispiel vorangehen, denn beide werden von Frauen geleitet, denen es wichtig ist, Finanzsysteme mit globalen Klimaanstrengungen vereinbar zu machen.


Achim Steiner leitet das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UN Development Programme – UNDP).
www.undp.org

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