EU-Ratspräsidentschaft

Investition in die Zukunft

Deutschland übernimmt kommenden Sommer die EU-Ratspräsidentschaft. Es wird die Chance nutzen, Europas Außenbeziehungen mitzugestalten und die europäische Entwicklungspolitik zu stärken, wie Bundesentwicklungsminister Gerd Müller in seinem E+Z/D+C-Beitrag erläutert. Sein besonderer Fokus gilt Afrika.
Bundesentwicklungsminister Gerd Müller zu Besuch im Integrated Polytechnic Regional Centre in Ruandas Hauptstadt Kigali 2016. Ute Grabowsky/Phototek/picture-alliance Bundesentwicklungsminister Gerd Müller zu Besuch im Integrated Polytechnic Regional Centre in Ruandas Hauptstadt Kigali 2016.

Wir alle sind Europa. Jedes globale Problem, das wir nicht lösen helfen, wird auch ein ­europäisches. Globale Herausforderungen wie Klimawandel, Bevölkerungswachstum und zunehmende Migration erfordern daher europäische Antworten. Zudem sehen wir uns mit neuen geopolitischen Allianzen und vielerorts schwindendem Vertrauen in die Lösungsfähigkeit des multilateralen Systems konfrontiert.

Vor diesem Hintergrund übernimmt Deutschland am 1. Juli 2020 für sechs ­Monate die Präsidentschaft des Rates der Europäischen Union. Die Erwartungen an Deutschland als politisches und wirtschaftliches Schwergewicht Europas sind hoch.

Wir wollen diese Chance nutzen und Europas Außenbeziehungen mitgestalten – auch im Sinne zukunftsorientierter Entwicklungspolitik. Die Europäische Union muss ihrer Verantwortung in der Welt gerecht werden: für gute Partnerschaft mit unseren Nachbarn, für eine gerechte Globalisierung, für den Kampf gegen den Klimawandel. Dafür setze ich mich ein. Unsere Antwort auf die globalen Herausforderungen muss nicht weniger, sondern „mehr EU“ heißen.


Eine neue Partnerschaft mit Afrika

Die Chancen und Herausforderungen unserer Zeit zeigen sich nirgends stärker als in Afrika. Mit seinem riesigen Potenzial an jungen Menschen, Rohstoffen und erneuerbaren Energien entscheidet sich unsere Zukunft maßgeblich auf unserem Nachbarkontinent. Bis 2050 könnte Afrikas Wirtschaftsleistung größer sein als die der EU und der USA zusammen. Auch deshalb – und aufgrund globaler Machtverschiebungen – intensiviert sich der Wettbewerb in und um Afrika.

Europa braucht einen neuen Zukunftsvertrag mit Afrika als Folgeabkommen zum Cotonou-Vertrag. Vor diesem Hintergrund begrüße ich es sehr, dass die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigt hat, dass die Erstellung einer neuen, umfassenden Afrika-Strategie eine zentrale Priorität der neuen Kommission sein wird.

Während unserer Ratspräsidentschaft wollen wir die Neuausrichtung der EU-Afrikapolitik mitgestalten. Die deutsche Entwicklungspolitik kann dazu wichtige Impulse liefern: Mit dem Marshall-Plan mit Afrika habe ich einen Paradigmenwechsel in der Kooperation mit Afrika eingeleitet. Aufbauend auf der Agenda 2063 der Afrikanischen Union unterstützen wir gezielt reformorientierte Regierungen bei der Verbesserung politischer Rahmenbedingungen wie Rechtsstaatlichkeit, Transparenz und Korruptionsbekämpfung.

Dadurch schaffen wir die Voraussetzungen für nachhaltige Investitionen der Privatwirtschaft, mehr Beschäftigung und den Aufbau eines „African Mittelstand“. Zusätzlich hebeln wir private Investitionen durch den neu geschaffenen Entwicklungsinvestitionsfonds, in dem wir bis zu einer Milliarde Euro für europäische und afrikanische Unternehmen bereitstellen.

Diesem Ansatz folgt auch die Compact-with-Africa-Initiative, die unter deutscher G20-Präsidentschaft ins Leben gerufen wurde. Auf dem Afrika-Gipfel in Berlin im November hat sich gezeigt, welche Dynamik diese neue Qualität der Kooperation mit Afrika entfalten kann. So wurden zahlreiche Investitionsvereinbarungen mit internationalen Organisationen und Unternehmen unterzeichnet.

Diese Erfahrungen werden wir in ­einen neuen europäischen Gesamtansatz für und mit Afrika einbringen.


Globalisierung gerecht gestalten

Europas Rolle in der Welt stärken, das heißt aber auch: Europa muss vorangehen bei der gerechten Gestaltung der Globalisierung. Am Anfang eines jeden Produkts stehen Menschen, die von ihrer Arbeit leben müssen. Voraussetzung dafür sind soziale und ökologische Mindeststandards, die entlang der gesamten Wertschöpfungs- und Lieferkette gelten.

Dies umzusetzen liegt auch in der Verantwortung der Unternehmen. Deswegen müssen wir europäische Regelungen vereinbaren, die Vorreiterunternehmen schützen und gleiche Spielregeln für alle schaffen. Denn: Menschenrechte einzuhalten darf kein Wettbewerbsnachteil sein!


Freier Handel bleibt eine wichtige

Voraussetzung für Wachstum und Wohlstand. Aber dieses Wachstum ist nur dann nachhaltig, wenn der Handel nicht nur frei, sondern auch fair gestaltet wird. Die EU sollte sich für verbindliche und einheitliche Nachhaltigkeitsstandards in allen umfassenden Freihandelsabkommen einsetzen. Zollvorteile sollten künftig nur gewährt werden, wenn die Produkte (zum Beispiel Palmöl) nachhaltig hergestellt werden.

Zudem muss die EU die noch bestehenden Handelshemmnisse, wie Zölle, Quoten und nichttarifäre Hemmnisse, vor allem für Nordafrika beseitigen und die afrikanischen Staaten beim Aufbau einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft unterstützen. Qualitätsinfrastruktur, Ausbildung und Qualifizierung müssen hier im Vordergrund stehen.

Heute sind Wohlstand, Lebensqualität und Frieden in einem nie gekannten Ausmaß bedroht vom menschengemachten Klimawandel und den Auswirkungen des Raubbaus an unserer Umwelt. Deshalb muss sich Europa im 21. Jahrhundert klar zu einer Politik der Nachhaltigkeit bekennen und dies selbst vorleben.

Europa muss bis 2050 klimaneutral werden. Die EU muss beim Klimaschutz eine internationale Vorreiterrolle übernehmen, um entsprechende Anstrengungen auch bei den Schwellen- und Entwicklungsländern glaubwürdig einfordern zu können. Die Ankündigung eines „European Green Deal“ durch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen setzt hier das richtige Zeichen. Dieser Green Deal muss jedoch auch ein Deal mit unseren Partnerländern sein – denn den Kampf gegen den Klimawandel können wir nur gemeinsam gewinnen.

Die enorme Dynamik Afrikas birgt die Chance, von Beginn an klimafreundliche und an den Klimawandel angepasste Entwicklungspfade einzuschlagen. Afrika wird eine entscheidende Rolle dabei spielen, ob Klimawandel sich eindämmen lässt und Entwicklung ökologisch, wirtschaftlich und sozial nachhaltig wird.

Deshalb unterstützen wir mit unserer Entwicklungszusammenarbeit afrikanische Länder etwa dabei, ihre Energiesysteme auf erneuerbare Energien einzurichten. Wenn Afrika sein enormes Potenzial an ­Wind-, Sonnen- oder Bioenergie nutzt, kann es zum „grünen Kontinent“ werden. Wir als Europäische Union müssen solche Entwicklungssprünge im Rahmen der Zusammenarbeit möglich machen!

Gleichzeitig müssen wir unsere Zusammenarbeit – vom Infrastrukturaufbau bis zur Landwirtschaft – auf die schon jetzt spürbaren Folgen des Klimawandels ausrichten und damit Lebens- und Entwicklungsperspektiven sichern. Zum ­europäisch-afrikanischen Green Deal gehört auch, dass wir uns für ein ambitioniertes Klimafinanzierungsziel für die Zeit nach 2025 mit breiter Geberbasis einsetzen. Wir haben die Verantwortung, unsere Partner in Entwicklungsländern auch weiterhin bei der Finanzierung von Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen zu unterstützen.

Dabei müssen wir viel stärker in Innovationen investieren. Grüner Wasserstoff zum Beispiel, gewonnen mit Strom aus den Wüsten Afrikas, kann das Klima- und Energieproblem lösen helfen und gleichzeitig Jobs und Perspektiven vor Ort schaffen. Blockchain für elektronische Verwaltung und Zollabwicklung, Drohnen für Medikamentenlieferung in entlegene Gegenden – Digitalisierung ermöglicht Quantensprünge! Das müssen wir für Entwicklung nutzen. Die Europäische Union mit ihren hohen Standards, etwa im Datenschutz, kann hier wichtige Rahmenbedingungen setzen.


Starke Strukturen und stabile Finanzen für nachhaltige Entwicklung

Sicher ist: Die Weichen für eine Politik der globalen Nachhaltigkeit zu stellen wird eine institutionelle und strukturelle Neuausrichtung erfordern, es wird Geld kosten – aber es ist eine Investition in die Zukunft!

Ein stärkeres Engagement der EU für die globalen Herausforderungen muss sich auch im neuen mehrjährigen Finanzrahmen 2021–2027 abbilden. Es ist richtig, dass die Mittel im Bereich Migration deutlich steigen.

Genau diese Zuwächse brauchen wir auch für die Zusammenarbeit mit Afrika. Aber bisher sollen die Mittel gerade einmal von 5 auf 6 Milliarden Euro pro Jahr steigen. Für die Agrarpolitik geben wir weiterhin fast das Zehnfache aus. Wir brauchen eine sehr viel deutlichere Steigerung der Mittel. Denn Migration lässt sich auf Dauer nur verringern, wenn die Menschen in ihren Heimatländern Perspektiven haben – auf Ausbildung, Jobs, Einkommen. Gleichzeitig gilt es, die Weichen beim Klimaschutz zu stellen.

Eine neue Partnerschaft mit Afrika, konkrete Ansätze für eine gerechtere Gestaltung der Globalisierung, mehr Innovation für Klima- und Umweltschutz und eine kohärente, auf Nachhaltigkeit ausgelegte Finanzierung: Mit diesen Themen wird sich Deutschland während der Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 für eine Stärkung der europäischen Entwicklungspolitik einsetzen – damit Europas Rolle in der Welt die einer Macht des Friedens und der Nachhaltigkeit werden kann.


Gerd Müller ist Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
http://www.bmz.de

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