Orthopädietechnik

Kompetente Absolventen

Das Tanzania Training Centre for Orthopaedic Technologists (TATCOT) in Moshi ist das größte überregionale Ausbildungszentrum für Orthopädietechnik in Afrika. Es wurde 1983 mit deutscher Hilfe im Auftrag des tansanischen Gesundheitsministeriums gegründet. InWEnt hat das Zentrum jahrelang unterstützt. Eine Evaluation hat gezeigt, dass die Ausbildungsstätte sich einen guten Ruf erworben hat. Seit Anfang dieses Jahres kommt sie ohne deutsche Unterstützung aus.


[ Von Ursula Schoch ]

Das TATCOT ist ein Leuchtturm in Afrika: Es gibt keine vergleichbare Ausbildungs- und Weiterbildungsinstitution für Orthopädietechnik in der Region. Und es gibt nach wie vor zu wenig gut ausgebildete Fachkräfte, um dem enormen Bedarf von Menschen mit Behinderungen an Prothesen, Rollstühlen und orthopädischen Hilfsmitteln gerecht zu werden.

Eine Ende 2007 durchgeführte Evaluierung liefert klare Zahlen und zeigt deutlich, was das Stipendienprogramm von InWEnt für das Zentrum bedeutet hat und welches Ansehen die Orthopädietechnik-Kurse inzwischen auch außerhalb Tansa­nias erlangt haben.

Zwischen 1996 und 2007 förderte InWEnt 39 Teilnehmer aus dem englischsprachigen Afrika – von denen einige selbst Körperbehinderungen haben. Alle Stipendiaten waren von staatlichen Einrichtungen oder nichtstaatlich geführten Werkstätten zu TATCOT geschickt wor­den. 28 der Teilnehmer schlossen den dreijährigen Diplomkurs ab; elf nahmen an Kursen etwa zu „Rollstuhl-Technik“ teil oder an solchen, die zum Bachelor of Science führten.

Begutachtet wurde auch die berufliche Situation der von InWEnt geförderten TATCOT-Absolventen in Malawi, nachdem sie ihr Diplom zum Orthopädietechniker gemacht hatten. Neben den Alumni wurden Werkstattleiter, Leiter von Kliniken und Reha-Zentren und Vertreter nichtstaatlicher Organisationen sowie ein Vertreter des Gesundheitsministeriums befragt.

Fast alle ehemaligen Stipendiaten arbeiten im Orthopädietechnik-Sektor: drei von ihnen in staatlichen Einrichtungen, einer bei einer NRO, einer selbstständig. Der NRO-Mitarbeiter bewertete seinen Arbeitsplatz als adäquat und die Ausstattung als gut. Die Mitarbeiter im staatlichen Sektor waren weniger zufrieden. Insbesondere bei der Ausstattung der Werkstatt und der Verfügbarkeit von Material fehle es zum Teil an Elementarem. Ein Absolvent hatte sich daher komplett aus dem Bereich zurückgezogen.

Alle hielten sich für unterbezahlt – wobei die NRO deutlich mehr Geld gab als die anderen Arbeitgeber. Allen fehlte die Anerkennung ihres Berufsstandes – zum Teil sei auch das Berufsbild in der Öffentlichkeit nicht bekannt – , zudem stellten sie eine gewisse Arroganz der Ärzteschaft wie auch einiger Pflegekräfte fest. Die Ausbildung bei TATCOT sahen die Absolventen als für den Betriebsalltag gut geeignet an.

Ein Absolvent verdiente nach der Ausbildung bei TATCOT sogar erheblich mehr als zuvor. Bei Beschäftigten im staat­lichen Sektor änderte sich der Verdienst allerdings, wenn überhaupt, nur geringfügig. Demnächst wird ein TATCOT-Absolvent die Leitung einer Werkstatt in Malawi übernehmen. Dann wird auch sein Lohn steigen.

Die Werkstatt-Leiter halten die Stipendiaten für sehr kompetent und auch für höhere Aufgaben im Management geeignet. Alle Ehemaligen arbeiten derzeit in der direkten Patientenversorgung, teilweise wurden sie von der NRO umfangreich beruflich gefördert.

Die Leiter der Institutionen, an denen es Orthopädietechnik-Werkstätten gibt, denken, dass sie von den Werkstätten profitieren und diese das Gesamtangebot abrunden. Sowohl die Leiter als auch andere Gesprächspartner kannten TATCOT als Ausbildungsinstitution und hatten auch von den von InWEnt vergebenen Stipendien gehört.

Auch international ist die Ausbildung bei TATCOT angesehen. Vertreter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz in Genf und Addis Abeba und von Handicap International in Brüssel bewerteten die Fähigkeiten der Absolventen durchweg als sehr gut. Sie hoben insbesondere die medizinischen Kenntnisse und das „besondere Verständnis für die Schnittstelle zwischen dem Menschen und dem orthopädietechnischen Erzeugnis“ hervor. Die Orthopädie-Techniker von TATCOT gelten als kompetent im Umgang mit Ärzten und Patienten. Sie eignen sich für Leitungsaufgaben und als Supervisionskräfte für Verwaltungsaufgaben in OT-Werkstätten. Sowohl das ICRC (International Committee of the Red Cross), als auch der SFD (Special Funds for Disabled, ebenfalls Rotes Kreuz) wollen künftig in Afrika für die direkte ­Patientenversorgung ausschließlich diplomierte TATCOT-Absolventen einsetzen.

Die TATCOT-Ausbildung wird sehr geschätzt, wie sich auch in diesen Aussagen zeigt. Allerdings betonten die Befragten auch, erst durch die InWEnt-Förderung auf diese Fachkräfte aufmerksam geworden zu sein. Auf diese Weise und durch die Vergabe der Stipendien konnte InWEnt erheblich dazu beitragen, den Rehabilitationssektor zu stärken.

Auch das tansanische Gesundheitsministerium betont die Notwendigkeit zur Rehabilitation. Angesichts der Geldknappheit im Gesundheitssystem und aufgrund hoher Fallkosten könne man dieser aber derzeit keine höhere Priorität einräumen.

Kooperation im Wandel

Als TATCOT seine Arbeit aufnahm, konnte dort vor allem ein dreijähriger Kurs für Orthopädietechnik (OT) absolviert werden, der mit einem Diplom abschließt. Dieses Diplom wird vom internationalen Fachverband der Orthopädietechniker – International Society for Prosthetics and Orthotics (ISPO) – anerkannt. InWEnt (damals noch DSE) förderte zunächst durch die Vergabe von Stipendien ausschließlich die Teilnahme an den Kursen.

In den 90er Jahren stiegen die Ansprüche an die Orthopädietechnik. TATCOT reagierte darauf, indem es Spezialisierungskurse unter anderem für Untere Extremitäten und Rollstuhltechnik anbot. InWEnt unterstützte die Weiterqualifizierung des Lehrpersonals und ermöglichte auch zehn Jahre später einigen Tutoren und Lehrern, die Meisterlehrgänge an der Bundesfachschule für Orthopädietechnik (BUFA) in Dortmund zu absolvieren. Der Bedarf bestand, denn TATCOT wollte einen Bachelor of Science anbieten, konnte aber kaum das dafür benötigte, hoch qualifizierte Lehrpersonal aufbringen. Auch musste es sich nach mehr als 20-jährigem Bestehen auf einen Generationswechsel in der Lehrerschaft vorbereiten. Seit 2006 bietet TATCOT eine Ausbildung an, die mit dem Bachelor of Science der Tumaini-Universität abgeschlossen wird.

Bei allem Wandel liefen die Stipendienprogramme von InWEnt über 18 Jahre lang weiter. Schon von 2003 an zog sich InWEnt langsam immer mehr aus dem bereits sehr gut laufenden Programm zurück und vergab weniger Stipendien. Das TATCOT hatte sich so weit etabliert, dass es weitgehend ohne fremde Hilfe auskommen konnte. Projekte in anderen Regionen wurden aufgrund der dort herrschenden Verhältnisse dringlicher. So rückten bei InWEnt Postkonfliktländer wie Sierra Leone und die BMZ-Schwerpunktpartnerländer Kenia und Malawi in den Vordergrund. Ruanda – das in beide Kategorien fällt – wurde ebenfalls berücksichtigt.

Neue Wege

Als sich abzeichnete, dass das Zentrum ab Ende 2008 ohne InWEnt selbstständig agieren muss, arbeiteten beide Institutionen intensiv an Ideen, um das TATCOT zukunftsfähig zu machen. Denn trotz aller Qualität ist der Spielraum des Zentrums eng gesteckt:
- Orthopädietechniker und NRO/Werk­stät­ten/Krankenhäuser: Sie können kaum das Geld für Fortbildungen aufbringen. Die Lobby für Behinderte und ihre orthopädietechnische Versorgung im Gesundheits­system der Heimatländer ist schwach;
- TATCOT: Der tansanische Staat stellt der Institution nur geringe Mittel für Personal und Etat zur Verfügung;
- „Endbegünstigte“, Menschen mit Behinderungen leben oft am Existenzminimum und können ihre Rehabilitation selten bezahlen. Zugleich ist ihr Bedarf an orthopädietechnischer Versorgung groß.

TATCOT und die Werkstätten/NRO müssen sich daher etwas einfallen lassen, um günstigere Kurse anbieten zu können, die für alle Beteiligten tragbar sind, ohne an Niveau zu verlieren. Ein dahingehender Versuch ist das „Blended Learning“; es ­vermittelt die theoretischen Inhalte in E-Learning-Modulen und beschränkt die kostenintensive Präsenzphase auf den Praxisteil.

TATCOT hatte sich schon seit längerem in diese Richtung entwickeln wollen. InWEnt beteiligte sich an der Ausstattung, organisierte Trainings und ließ den Prozess fachlich begleiten. TATCOT entwickelte die Inhalte selbst und übernahm auch die tutorielle Begleitung der Kursteilnehmerinnen. So konnten – nach einem Pilotmodul – die Absolventen im Jahr 2008 an einem 10-monatigen Spezialkurs für Wirbelsäulenprobleme teilnehmen. Von 23 Teilnehmern schlossen 19 ab und erhielten ein Zertifikat – fast die Hälfte von ihnen waren InWEnt-Alumni. TATCOT bemüht sich nun darum, dass die ISPO auch diesen Kurs anerkennt.

Fazit und Ausblick

TATCOT ist heute ein internationales Referenzzentrum und Collaboration Centre der WHO. Der Weg dahin war ein stetiges Sich-Weiterentwickeln und Neu-Erfinden. InWEnt hat sich bemüht, diese Prozesse zu unterstützen, wie etwa bei der Entwicklung des „Blended Learning Kurses“. TATCOT ist inzwischen auch mit diesem weltweit führend – und die Institution somit ein Stück zukunftsfähiger geworden.

Die jahrelange sehr gute Zusammenarbeit zwischen den beiden Institutionen ist ein gutes Beispiel dafür, wie Einzelförderung, Personal- und Institutionsentwick­lung positiv zusammenspielen können. Allerdings bringt der Erfolg auch neue Schwierigkeiten für das Zentrum mit sich: Inzwischen werden TATCOT Lehrkräfte abgeworben. Einige asiatische Länder haben einen großen Bedarf an OT-Lehrern und die Einrichtungen zahlen erheblich mehr. Das hat einen regelrechten Brain-Drain ausgelöst, der TATCOT vor echte Probleme stellt – es fehlen die Lehrkräfte.

Was die Versorgung der Patienten angeht, so könnte diese weit besser sein, wenn Ärzteschaft und Pflegepersonal mehr mit den Orthopädietechnikern zusammenarbeiten würden – etwa bei der Planung chirurgischer Eingriffe. Denn die Art des Amputationsschnitts spielt eine wichtige Rolle für die anschließende Versorgung und somit für die dauerhafte Lebensqualität des Patienten. Es gibt allerdings noch viele Barrieren zwischen den Berufsgruppen zu überwinden.

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