Wahlen

Demokratischer Rechtsruck

Die Argentinier haben für den Wechsel gestimmt. Die Erwartungen an den neuen Präsidenten sind hoch – vermutlich zu hoch.
Macri mit Reportern im Wahlkampf. Anton Velikzhanin/picture-alliance/dpa Macri mit Reportern im Wahlkampf.

Die argentinische Tageszeitung „Página/12“ publizierte dieser Tage eine Karikatur, die einiges über die Politik Argentiniens aussagt. Ein Mitarbeiter fragt den neugewählten Präsidenten Mauricio Macri: „Wem sollen wir denn jetzt die Schuld an allem geben?“ Macri antwortet: „Natürlich Cristina, wie immer!“ Der andere wendet ein: „Aber sie ist doch weg ...“, worauf Macri sagt: „Hast du noch nie was von Rückwirkung gehört?“

In den vergangenen zwölf Jahren war die Opposition gewohnt, jegliche Schwierigkeiten den Kirchners anzulasten – erst Néstor Kirchner, dann dessen Ehefrau Cristina Fernández de Kirchner, die seine Nachfolgerin im Präsidentenamt war. Die Kirchners verordneten dem Land einen Schwenk nach links. Sie gehörten zwar zu derselben peronistischen Partei, die in den 90er Jahren wirtschaftsliberale Politik durchsetzte, waren aber Vertreter des linken Flügels. Eine markante Entscheidung mit hohem Symbolwert war beispielsweise die Teilverstaatlichung der Ölfirma YPF, die in den 1990er Jahren privatisiert worden war. Dies war ein rotes Tuch für die argentinische Oligarchie, zu der die Macri-Familie gehört.

Der neue Präsident war lange hauptsächlich als „Sohn von“ Franco Macri, einem schwerreichen Industriellen, bekannt. Er erwarb einen Großteil seines Vermögens mit öffentlichen Aufträgen – und zwar während der Militärdiktatur. Dass Sohn Mauricio sich zunächst als Präsident des Fußballclubs Boca Juniors profilierte, war geradezu rebellisch, denn Boca gilt als Club der Unterschicht.

Vom Fußball führte Mauricios Weg in die Politik. Seine Partei, Propuesta Republicana (PRO), ist eine Ansammlung konservativer Politiker und unabhängiger Unternehmer, die sich von den traditionellen Parteien nicht repräsentiert fühlen. Als ihr Kandidat wurde Macri zweimal Bürgermeister von Buenos Aires – und nun Präsident.

Die lateinamerikanische Linke erkennt in seiner Wahl einen internationalen Trend zur rechtskonservativen Restauration. Gut ein Jahrzehnt lang waren vor allem sozialistische und sozialdemokratische Regierungen gewählt worden. In Paraguay wurde aber bereits vor drei Jahren der linke Präsident Fernando Lugo vom Militär gestürzt. Inzwischen ringt Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff mit einem Amtsenthebungsverfahren, und bei den Parlamentswahlen in Venezuela unterlag jüngst die linke Regierungspartei.

Macri stellt klar, dass er – im Gegensatz zur Vorgängerin – linke Regierungen in Ecuador, Bolivien und Kuba nicht unterstützt. Er will zudem Venezuela aus dem Wirtschaftsbündnis Mercosur ausschließen. Das kann Argentinien nicht allein entscheiden, aber die Signalwirkung solcher Aussagen ist wichtig. Die stabilen politischen Bündnisse des vergangenen Jahrzehnts wanken.

Positiv ist, dass erstmals in der Geschichte Argentiniens rechte Kräfte durch Wahlen an die Macht kommen. Früher war das stets durch Putsch geschehen. Kommentatoren des gesamten politischen Spektrums werten diese Tatsache als ein Zeichen gestärkter Demokratie.

Macri gibt sich als strikter Verfechter des freien Marktes. Deshalb fürchten viele Menschen nun die Rückkehr zur markt­radikalen Wirtschaftspolitik der 1990er Jahre, die in eine katastrophale Finanzkrise mündete. Die Kirchners bekämpften die daraus resultierende, weitreichende Armut mit diversen Sozialprogrammen. Das sicherte ihnen eine solide Wählerbasis unter den sozial Schwachen.

Wichtig war etwa Cristina Kirchners Einführung eines Kindergelds für arbeitslose oder im informellen Sektor beschäftigte Eltern, die nur nachweisen mussten, dass ihre Kinder geimpft waren und zur Schule gingen. In den vergangenen Jahren geriet aber in Vergessenheit, dass Néstor Kirchner nach der Krise die Wirtschaft stabilisiert hatte und die linksperonistische Sozialpolitik die Armut reduzieren konnte. Korruptionsvorwürfe wurden laut. Die hohe Inflation beherrschte den öffent­lichen Diskurs. Die Presse klagte zudem zu Recht über die Einflussnahme der Regierungspartei auf die Medien.

Nun erwarten die Argentinier viel vom neuen Präsidenten – zu viel: Er soll die Wirtschaftslage verbessern, Investoren ins Land holen und zugleich soziale Errungenschaften bewahren. Die Argentinier haben zwar für den Wechsel gestimmt, aber darüber, wohin die Reise gehen soll, besteht keine Einigkeit.


Sheila Mysorekar ist Redakteurin von E+Z/D+C.
euz.editor@fs-medien.de

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