Weltpolitik

„Hackordnung der Nationen“

China ist zu multilateraler wie bilateraler Kooperation bereit und an nachhaltiger Entwicklung interessiert. Aus Sicht der Kommunistischen Partei hat Armutsbekämpfung dabei zunächst Vorrang vor Umweltschutz. Wie China-Expertin Doris Fischer im Interview erläutert, wird der Druck, den die US-Regierung handelspolitisch erzeugt, derweil als unakzeptable Forderung nach Unterwerfung empfunden.
Nairobi Terminus – China fördert in großem Stil den Aufbau von Infrastruktur in vielen Entwicklungsländern. dem Nairobi Terminus – China fördert in großem Stil den Aufbau von Infrastruktur in vielen Entwicklungsländern.

Was trägt China zur Finanzierung der UNEntwicklungsziele für Nachhaltigkeit (Sustainable Development Goals – SDGs) bei?
Das lässt sich nicht so einfach sagen – schon allein deshalb nicht, weil gar nicht klar ist, was alles zur SDG-Finanzierung gehört. Infrage kommen staatliche Mittel ebenso wie privatwirtschaftliche Transaktionen. Ausgaben im Inland und im Ausland können relevant sein.

Dienen die SDGs denn als Leitlinien chinesischer Politik?
Ja, die chinesische Regierung unterstützt diese Agenda, und zwar nicht nur verbal. Allerdings ist die Agenda sehr komplex. An verschiedenen Stellen treten Zielkonflikte auf. Aus Sicht der Kommunistischen Partei hat Armutsbekämpfung zunächst Vorrang, denn Menschen brauchen ausreichend Nahrung, Kleidung und ein Dach über dem Kopf. Lange Zeit wurde in China mit diesem Argument die ökologische Nachhaltigkeit als Ziel vertagt, mittlerweile hat sich das aber geändert. Europäer denken dagegen bei Nachhaltigkeit meist zuerst an Umwelt- oder Klimaschutz.

Es gibt aber eine gewisse Doppelbödigkeit – zum Beispiel, wenn China im eigenen Land am Ausstieg aus der fossilen Energietechnik arbeitet, zugleich aber anderswo den Bau von Kohlekraftwerken fördert.
Meine chinesischen Gesprächspartner würden Ihnen sagen, dass ihre Partnerländer dringend Energie brauchen und dass es nun darum geht, ihnen zu helfen, fossile Ressourcen möglichst klimaschonend zu nutzen. So ähnlich haben deutsche Manager früher auf die Frage geantwortet, ob sie mit Investitionen in der Volksrepublik nicht europäischen Umweltregeln und Sozialstandards ausweichen. Na­ ja, hieß es dann, da sei schon etwas dran, aber die eigenen Standards seien jedenfalls höher als das, was in China sonst üblich sei.

Steckt dahinter nicht ein zynisches Kalkül? Der Einsatz fossiler Energieträger wird in absehbarer Zukunft unakzeptabel, und die chinesische Regierung schiebt mit dem Bau neuer Kraftwerke nun ärmeren Partnerländern den schwarzen Peter zu.
Nein, ich sehe nicht, dass Peking ärmeren Ländern irgendwie einen schwarzen Peter zuschieben will. Aus chinesischer Sicht geht es um Süd-Süd-Zusammenarbeit, bei der Länder, die unter dem Kolonialismus gelitten haben, gemeinsame Interessen verfolgen. Sie geht davon aus, dass beide Seiten wissen, was sie tun, die Risiken abwägen und ihr Eigeninteresse im Auge behalten.

Chinas Regierung sieht die Volksrepublik als ein Entwicklungsland unter vielen. Ist das angesichts ihrer wachsenden Rolle nicht nur im Welthandel, sondern mittlerweile auch als internationaler Geldgeber noch sinnvoll?
Chinas Aufstieg in den vergangenen vier Jahrzehnten ist der spektakulärste Entwicklungserfolg aller Zeiten. Das gibt der Führung enormes Selbstbewusstsein. Sie weiß, was funktioniert hat, und will das auf ähnliche Weise mit Partnerregierungen durchziehen. Wichtig ist auch, dass es in der Volksrepublik selbst noch gering entwickelte Regionen gibt und dass das Pro-Kopf-Einkommen noch weiter hinter den USA, Japan und Westeuropa hinterherhinkt. Andererseits ist klar, dass die Selbstbeschreibung als Entwicklungsland nur noch bedingt trägt. Es stößt auch in Afrika zum Beispiel mittlerweile auf Widerspruch.

Im Rahmen der Belt and Road Initiative (BRI), über die in Deutschland oft mit dem Schlagwort „neue Seidenstraße“ gesprochen wird, finanzieren chinesische Geldgeber im großen Stil Infrastrukturprojekte. Ist diese Politik wirklich nachhaltig – im ökologischen, ökonomischen und sozialen Sinn?
Diesen Anspruch hat China auf jeden Fall – wobei, wie gesagt, Meinungsverschiedenheiten darüber möglich sind, welche Dimension von Nachhaltigkeit Vorrang hat. Es ist aber falsch, die BRI als geschlossenes Konzept darzustellen. Es handelt sich um eine recht allgemeine außenpolitische und außenwirtschaftliche Doktrin, unter die viele verschiedene Dinge subsumiert werden können. Da keine Erfolgskriterien definiert wurden, kann die BRI auch gar nicht scheitern. Aus chinesischer Sicht ist sie ein Angebot an die Welt, gemeinsam Entwicklung voranzutreiben – und zwar mit den Mitteln, die in China funktioniert haben. Dort wurden Straßen, Häfen und weitere Infrastruktur gebaut, und dann entstanden auch Industrie und Arbeitsplätze. Peking will das replizieren. Dafür dient auch die neue multilaterale Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB).

Aber China verfolgt doch sowohl bei der BRI als auch der AIIB eindeutig Eigeninteressen.
Das ist doch ganz normal. Westliche Regierungen tun das in bi- und multilateraler Zusammenarbeit auch. Aus chinesischer Perspektive bringen die verschiedenen Vorhaben viele Vorteile. Sie erleichtern den Außenhandel und steigern Chinas geostrategischen Einfluss. Vielfach helfen BRI-Projekte zudem, Überkapazitäten chinesischer Unternehmen auszulasten. Zugleich entsteht aber Infrastruktur, die Partnerländer haben wollen und häufig auch dringend brauchen.

BRI-Kredite haben aber schon zu Überschuldung geführt. Als Sri Lanka Darlehen nicht mehr bedienen konnte, hat China einen neugebauten Hafen für 99 Jahre für sich reklamiert. In Kenia wird befürchtet, China könne als Sicherheit für Kredite für den Eisenbahnbau der Hafen von Mombasa angeboten worden sein. Wie geht Peking damit um?
Die Verantwortlichen wissen, dass der Fall Sri Lanka ihre Reputation stark beschädigt hat. So etwas wollen sie künftig vermeiden. Sie haben vermutlich nicht geahnt, wie sehr die dortigen Verträge und Entwicklungen Chinas Image schaden können.

Bitte erklären Sie das.
In China neigt man eher dazu, Dinge auszuprobieren, ohne zuvor jede Eventualität zu durchdenken. Der Vertrag mit Sri Lanka sah vor, dass China den Hafen bekommt, wenn Zahlungen ausfallen. Also wurde das so gemacht. Das bedeutet aber nicht, dass Peking es von Anfang an darauf abgesehen hatte. Die Regierung weiß, dass sie internationale Partner und konstruktive Zusammenarbeit braucht. Die Regierung hat sicherlich mittlerweile begriffen, dass es naiv war, davon auszugehen, Regierungen würden die Interessen ihrer Länder immer im Auge behalten. Von Kollegen in China weiß ich, dass sie es unfassbar finden, wie dysfunktionale Regierungen zum Beispiel in Venezuela oder Simbabwe ihre Länder heruntergewirtschaftet haben.

Korruption gibt es aber doch auch in China.
Ja, die gibt es auch in China – aber dennoch hat die Kommunistische Partei seit Deng Xiaoping immer darauf geachtet, ihr Land voranzubringen. Sie agiert autoritär, aber sie beobachtet genau, welche Stimmung in der Gesellschaft herrscht. Auch im Zusammenhang mit der BRI probiert sie aus, was funktioniert und was welche Folgen hat. Auch hier sehen wir einen ständigen Lernprozess. Aktuell sucht die Regierung nach Lösungen für Überschuldungsprobleme, die aus der BRI erwachsen können, und will derlei künftig wohl vermeiden, nicht zuletzt wegen des Imageschadens. Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds und westlichen Regierungen in diesen Fragen wächst. Letztlich geht es um einen multilateralen Lernprozess.

Der Multilateralismus steht zurzeit aber unter Beschuss – besonders durch US-Präsident Donald Trump.
Ja, und die Art, wie er den Handelskrieg führt, ist nicht klug. Anfangs dachten viele Wirtschaftswissenschaftler in China, er erzeuge Druck, der zu sinnvollen Reformen führen könnte. So war das, als die Volksrepublik sich den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) anpassen musste, um aufgenommen zu werden. Inzwischen erscheinen Trumps Ultimaten aber vor allem als Versuch, den Aufstieg Chinas zu verhindern, und das findet nicht nur die chinesische Regierung inakzeptabel. Es geht den USA offenbar nicht um sinnvolle, gemeinsame Regeln, sondern darum, eine Hackordnung der Nationen festzuschreiben. Dann werden multilaterale Ziele wie die SDGs zweitrangig – und zwar auch für viele Chinesen, die eigentlich liberal eingestellt sind. Das Ansehen des Westens als mögliches Vorbild hat nach der globalen Finanzkrise ohnehin schon schwer gelitten. Nun gibt die Erratik Trumps – aber auch der britischen Politik seit dem Brexit-Referendum – den Kräften Auftrieb, die immer schon gesagt haben, dass Demokratie Instabilität bedeute.

Wäre es eher erfolgversprechend, wenn Trump zusammen mit der EU und Japan im WTO-Kontext handelspolitischen Druck auf China ausüben würde?
Es würde jedenfalls den vereinbarten internationalen Regeln entsprechen, und Peking würde als gleichberechtigter Partner behandelt. Die aktuelle Entwicklung ist bedauerlich, denn viele chinesische Fachleute wissen, dass Kompromisse nötig sind und sogar den eigenen Interessen entsprechen würden. Das gilt zum Beispiel für den Schutz intellektuellen Eigentums oder die Rechte ausländischer Investoren in China. In den Nullerjahren wollte die Regierung von US-Präsident George Bush aus gutem Grund China zu einem verantwortlichen Partner in der multilateralen Politik machen. Aktuell agieren die USA selbst nicht als verantwortlicher Partner.


Doris Fischer ist Professorin für chinesische Wirtschaft an der Universität Würzburg.
doris.fischer@uni-wuerzburg.de

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