Gender

Mehr Möglichkeiten  für Frauen

In Asien strömen immer mehr Frauen auf den offiziellen Arbeitsmarkt. Allerdings sind ihre Jobs meist unterbezahlt und die Arbeiterinnen nur selten sozial­versichert. Um die Situation der Frauen zu verbessern, müssen daher nicht mehr, sondern bessere Jobs geschaffen werden, sagt die Expertin für Genderfragen der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB), Shireen Lateef.


Interview mit Shireen Lateef

Einer aktuellen Studie der ADB zufolge arbeiten nur 50 Prozent aller Asiatinnen und 70 Prozent aller Asiaten in formalen Beschäftigungsverhältnissen. Arbeiten Frauen weniger als Männer?
Nein, ganz gewiss nicht. Fast alle Frauen tragen irgendwie zum Lebensunterhalt der Familie bei. Sie verdienen Geld oder kümmern sich um die Äcker der Familie. Die Statistiken berücksichtigen allerdings nur formelle Beschäftigung, informelle Tätigkeiten werden ignoriert. Alles, was wir den Daten also wirklich entnehmen können, ist, dass viele asiatische Frauen im informellen Sektor beschäftigt sind – erheblich mehr als Männer. Sie betreiben Subsistenzlandwirtschaft, sind selbstständig oder arbeiten in anderen informellen Bereichen. Der informelle Sektor ist leider weniger reguliert, es gibt viel Missbrauch und die Einnahmen sind oft unsicher.

Warum gibt es auf dem offiziellen Arbeitsmarkt weniger Frauen als Männer?
Das hat sowohl mit mangelndem Stellenangebot als auch mit Kultur und Tradition zu tun. Berufstätigkeit gilt als Männeraufgabe. Frauen werden von Arbeitgebern als zweitklassige Angestellte gesehen und ihr Verdienst von der Familie als zweitrangiges Einkommen. Früher haben Frauen ausschließlich in der Landwirtschaft oder im informellen Sektor gearbeitet. Inzwischen drängen in Asien aber mehr Frauen als Männer auf den offiziellen Arbeitsmarkt. In absoluten Zahlen bekleiden sie zwar immer noch weniger formelle Jobs, aber ihr Anteil steigt.

Wäre es nicht das Einfachste, wenn sich die Männer einfach weiterhin um das Geldverdienen und die Frauen um den Haushalt kümmerten, so wie früher?
Frauen nicht in den Arbeitsmarkt zu integrieren würde bedeuten, 50 Prozent der regionalen Arbeitskraft zu vergeuden. Ein aktueller ADB-Bericht legt nahe, dass Asien jährlich mindestens 42 Milliarden Dollar allein deshalb verloren gehen, weil es für Frauen nicht genügend Arbeitsmöglichkeiten gibt. Zusätzlich verliert die Region Geld, weil sie zu wenig in Bildung von Frauen investiert. Neben derartigen makroökonomischen Überlegungen ist es jedoch einfach so, dass nur sehr wenige Familien von einem einzigen Einkommen leben können.

In welchen Bereichen finden Frauen am ehesten eine offizielle Anstellung?
In Asien steigt die Anzahl an Jobs in exportorientierten Herstellungsbetrieben. Diese stellen vor allem Frauen ein. Das ist einerseits gut, denn so bekommen Frauen neue Einkommensmöglichkeiten und eine gewisse finanzielle Selbstständigkeit. Andererseits sind die Arbeitsbedingungen oft prekär und die Frauen wesentlich schlechter dran als andere Angestellte. Frauen erobern also zwar zunehmend den formellen Arbeitsmarkt – aber ihre Jobs sind nicht gerade die besten.

Warum ist gerade in der Exportindustrie die Nachfrage nach Arbeiterinnen so hoch?
Der erste auf Export ausgerichtete Produktionszweig Asiens war die Bekleidungsindustrie, eine Arbeit, die traditionell Frauen ausüben. Ein weiterer großer Sektor ist die Mikroelektronik – für diese Arbeit braucht man zierliche Hände. Ich kann mir auch vorstellen, dass einige Werksleiter Frauen bevorzugen, weil sie sich leichter unterordnen.

Warum ist Arbeit ausgerechnet in der Export­industrie besonders problematisch?
Zunächst einmal sind das Hilfsarbeiterjobs, die Löhne also dementsprechend niedrig. Normalerweise zahlen die Arbeitgeber keine Sozialleistungen, wie etwa die Krankenversicherung. Und die Jobs sind unsicher – sie hängen extrem von den Entwicklungen auf dem Weltmarkt ab. Deshalb war die Finanzkrise für Frauen besonders hart. Als in Kambodscha die Bekleidungsindustrie ins Strudeln kam, mussten die Frauen in ihre Dörfer zurückkehren und sich neue Jobs schaffen.

Werden sie in solchen Fällen Unternehmerinnen?
Unternehmerinnen, die große Firmen führen, gibt es nur sehr wenige. Aber viele Asiatinnen sind selbstständig und haben kleine Unternehmen. Sie erwirtschaften sich ihr eigenes Einkommen und beschäftigen manchmal sogar ein oder zwei Mitarbeiter. In Vietnam oder Kambodscha sind sie überall auf den Straßen zu sehen, wo sie Blumen oder Essen verkaufen.

Welche Rolle spielt Bildung – sind gebildetere Frauen besser dran?
Gut ausgebildeten Frauen ergeht er besser, aber auch sie haben beispielsweise mit geringeren Löhnen zu kämpfen. Selbst in Ländern mit einem guten Bildungswesen, wo Mädchen in der Schule generell besser abschneiden als Jungs, bekommen Jungs bessere Jobs. Es sind mehr junge Frauen arbeitslos als junge Männer. Ein Grund dafür ist, dass Mädchen in ihren Ausbildungen oft Dinge lernen, die für den Arbeitsmarkt nicht so relevant sind. Mädchen wählen bereits in der Schule oft Fächer, die nicht so gute Chancen für das Berufsleben bringen.

In Asien liegen starke, aufstrebende Märkte und bitterarme Länder dicht beieinander. Gibt es viele Migranten?
Ja, natürlich. Viele kommen von den Philippinen, aber es gibt auch viele Kambodschaner in Thailand oder Indonesier, die zum Arbeiten nach Malaysia oder in den Mittleren Osten gehen. Meist sind es Frauen. Von ihren Überweisungen hängen die ­Währungsreserven ihrer Länder genauso ab wie ihre Familien, vor allem in den Philippinen, Laos und Kambodscha. Die Armut in diesen Ländern wäre noch größer, wenn nicht so viele Frauen im Ausland arbeiten würden.

Wie fördert die ADB Frauen?
Wir haben verschiedene Programme in den Bereichen Bildung, Wasserversorgung, Gesundheit und Mikrofinanzierung. Über Kleinkredite können Frauen ihre eigenen kleinen Unternehmen aufbauen. Wir beraten auch und bilden weiter. Manche Projekte sind nicht speziell auf Genderfragen ausgerichtet, wirken sich aber trotzdem positiv auf das Leben von Frauen aus. Zum Beispiel schafft man Jobs und verbessert das Wirtschaftsklima für Unternehmerinnen, indem man Straßen errichtet oder lokale Märkte ausbaut. Wir beraten auch Regierungsbehörden bei der Umsetzung von Reformen zur Minderung sexueller Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt. Zudem bieten wir Berufsbildungsprojekte an, um Mädchen in Bereichen auszubilden, die auf dem Markt gefragt sind.

Spielen bei der Umsetzung ländlicher Infrastruktur-Projekte Genderfragen eine Rolle?
In den meisten Projekten zur ländlichen Entwicklung muss eine bestimmte Anzahl an Jobs an Frauen vergeben werden. Zudem bestehen wir auf gleiche Bezahlung bei gleicher Tätigkeit. Meist sind das zwar nur unqualifizierte Jobs, die nicht die Qualität von Frauenarbeit verbessern. Aber immerhin schaffen sie Einkommen.

Was raten Sie Regierungen? Trotz entsprechender Gesetze haben Frauen nicht einmal in den höchstentwickelten Nationen gleiche Chancen wie Männer.
Durch Gesetze wird sich nicht auf einmal der ganze Markt verändern, aber sie können Veränderungsprozesse anstoßen. Wir nehmen Gespräche mit den Regierungsbehörden auf, damit diese beginnen, Genderfragen am Arbeitsmarkt zu berücksichtigen. Wir beraten sie dabei, welche Maßnahmen sie ergreifen könnten, und helfen ihnen, diese einzuführen.

Einige Bereiche sind nur sehr schwer regulierbar.
Ja, dazu zählen die Jobs in Fabriken und vor allem Hausarbeit. Viele Frauen, insbesondere Migrantinnen von den Philippinen, arbeiten in Privathaushalten. Ihre Situation ist extrem schwierig, wobei das von Land zu Land und Familie zu Familie stark schwankt. Auf den Philippinen etwa müssen die Arbeitgeber Sozial- und Krankenversicherung bezahlen. Zwar hält sich nicht jeder daran, aber das ist ja auch in reichen europäischen Ländern nicht anders. Die meisten Privatleute in Deutschland bezahlen keine Sozialversicherung für ihre Putzfrauen, auch wenn das Gesetz es vorschreibt. Aber Gesetze ziehen ohnehin nicht, wenn sich die Haushaltshilfe illegal im Land aufhält und sich deshalb vor den Regierungsbehörden fürchtet.

Sie sagten, dass Mädchen oft Fächer wählen, die nicht berufsrelevant sind. Wie geht die ADB mit diesem Problem um? Sie zwingen die Mädchen ja vermutlich nicht dazu, gegen ihren Willen bestimmte Ausbildungswege zu nehmen.
Nein, natürlich versuchen wir nicht, sie vom Haareschneiden zum Schiffsbau zu bringen. Wir wollen ihre Möglichkeiten erweitern, indem wir ihnen zeigen, wie sie sich an den Markt anpassen können. Wenn sie nicht als Friseurin, sondern im Tourismus arbeiten, können sie wesentlich mehr verdienen. Derzeit entstehen viele Tätigkeitsfelder, bei denen die Bezahlung besser ist. Für diese bieten wir Ausbildungsstipendien an.

Was müsste passieren, damit sich die Situation für asiatische Frauen verbessert?
Die Wirtschaft müsste eine neue Richtung einschlagen. Das käme sowohl den weiblichen wie auch den männlichen Arbeitern zugute. Asien wird heute als Produktionsstätte der Welt angesehen: Sämtliche Produkte, die der Westen kauft, werden hier hergestellt. Wenn die Region sich entwickeln will, muss ihre Wirtschaft höheren Mehrwert erzeugen, statt sich nur auf billige Exporte zu stützen.

Die Fragen stellte Eva-Maria Verfürth.

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