Klimawandel

Auf Schlimmeres vorbereiten

Der Treibhauseffekt wird zu häufigeren und größeren Überschwemmungen führen, die mehr Menschen denn je bedrohen werden. Konventionelle Ansätze zur Hochwasserkontrolle werden das Problem vermutlich noch verschärfen, weil sie für ungewöhnlich große Überflutungen nicht ausreichen. Sicher ist, dass es immer wieder Überschwemmungen geben wird. Die Menschheit muss deshalb mit ihnen leben lernen, statt sie zu verhindern versuchen.

[ By Patrick McCully and Himanshu Thakkar ]

Überschwemmungen gehören zu den zerstörerischsten, häufigsten und kostspieligsten Naturkatastrophen – und sie werden immer schlimmer. In der zweiten Jahreshälfte haben Regenfluten in Äquatorialafrika 14 Länder überschwemmt. Uganda und Ghana waren mit jeweils 400 000 geschädigten Menschen besonders schwer betroffen. Die Sommermonsune in Asien trafen 25 Millionen Menschen und forderten allein in Indien 2500 Todesopfer. Auch Bangladesch, China und Pakistan wurden schwer getroffen.

Andere Länder blieben 2007 nicht verschont: Britannien erlebte die schlimmsten Überschwemmungen seit 50 Jahren. Australien, Kanada und die Vereinigten Staaten verzeichneten außergewöhnlich starke Regenfälle, die erhebliche Schäden anrichteten und denen zahlreiche Menschen zum Opfer fielen.

Obwohl Überschwemmungen zur Menschheitsgeschichte gehören und obwohl Milliarden US-Dollar für Schutzmaßnahmen ausgegeben wurden, sind Anzahl und Kosten lebensbedrohlicher Hochwasserkatastrophen in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen. Ursachen sind einerseits die globale Erwärmung, die stärkere Stürme verursacht, andererseits aber auch die zunehmende Bebauung von Überschwemmungsgebieten. Wo früher landwirtschaftliche Nutzfläche war, sind heute Häuser und Firmengebäude.

Aber es gibt noch einen anderen Grund: Die heutigen Technologien zur Hochwasserregulierung, vornehmlich Staudämme und Deiche, erweisen sich oft als kontraproduktiv. Sie verstärken Flutwellen und vermitteln den vemeintlich Geschützten ein falsches Sicherheitsgefühl: Sie vertrauen Deichen, die früher oder später doch nachgeben werden. Traditionelle oder „harte“ Hochwasserschutzanlagen können die meisten normalen Überschwemmungen verhindern, langfristig aber verstärken sie eher die Gefahr durch besonders große Hochwasser – und der Klimawandel wird das Ausmaß und die Häufigkeit solcher Ereignisse noch dramatisch steigern.
Ein anderer Umgang mit Überschwemmungen ist deshalb dringend geboten. Dieser andere Weg wird als „weicher Pfad“ (soft path) des Hochwassermanagements bezeichnet. Es zielt darauf ab, die Kräfte der Natur zu verstehen, sich ihnen anzupassen und sie letztlich für eigene Zwecke zu nutzen.

Statt Milliarden US-Dollar für vergebliche Versuche zu verschwenden, Überschwemmungen zu verhindern, sollten wir anerkennen, dass sie nicht zu vermeiden sind und wir mit ihnen so gut wie möglich leben müssen. Das heißt, wir müssen
– Wege finden, Geschwindigkeit und Ausmaß von Überschwemmungen zu verringern, indem Mäander und Auenlandschaften wiederhergestellt werden;
– Häuser auf Hügel oder Pfähle bauen und (gut gewartete) Deiche lediglich zum Schutz bereits bebauter Gebiete nutzen sowie
– Frühwarnsysteme und Evakuierungsprogramme aus­arbeiten, um herannahenden Fluten ausweichen zu können.


Ein hartes Problem

Konventioneller „harter“ Hochwasserschutz stützt sich auf Dämme und Deiche. Dieser Ansatz hat drei entscheidende Schwächen:
– Kein komplexes technisches System ist vor menschlichem und technischem Versagen gefeit.
– Der Schutz stützt sich allzu oft auf ein unvollständiges Verständnis der Eigenschaften von Flüssen und Küsten.
– Er fördert die intensive Bebauung von hochwassergefährdeten Gebieten, während Investitionen zur Flutsicherung und zur Vorbereitung von Evakuierungen vernachlässigt werden.

Die Stadt Surat in Gujarat, Indien, fiel letztes Jahr einem für menschliche Fehler anfälligen technischen System zum Opfer. Der starke und frühe Monsunregen 2006 hatte den gut 100 Meter hohen Ukai-Staudamm bis Ende Juli gefüllt. Eigentlich hätte das Staubecken vor den starken Regenfällen halbleer sein sollen – stattdessen war es in der ersten Augustwoche fast ganz voll. Am 8. August berichtet die New York Times, die Staudammbetreiber hätten „die 21 Schleusentore des Staudamms geöffnet. Das Wasser tat, was Wasser immer tut. Es rauschte flussabwärts.“ Surat ging unter, mindestens 120 Menschen starben.

Untersuchungen des Vorfalls kamen zu dem Schluss, dass die Staudamm-Betreiber die Überfüllung des Stausees zugelassen und die ausstehenden Monsunniederschläge nicht einkalkuliert hatten. Zudem hatten Sedimentablagerungen an der Staumauer die Aufnahmekapazität des Staubeckens verringert.

Andere Nationen haben ähnliche Katastrophen erlebt: In Ghana kamen Ende August bei Überschwemmungen mindestens 20 Menschen ums Leben. 20 000 Häuser wurden zerstört. Berichte deuten darauf hin, dass die Situation durch die Betreiber des Bagre-Staudamms im Osten Burkina Fasos, die ein Schleusentor öffneten und eine Flutwelle in den Weißen Volta Richtung Ghana entließen, verschärft wurde. Burkina Faso informierte zwar die ghanaische Regierung, aber es ist nicht klar, ob diese Warnung auch die am Fluss lebenden Menschen erreichte.

1992 öffneten die Betreiber des pakistanischen Mangla-Staudamms die Überlauftore ohne Vorwarnung – 500 Menschen ertranken. 2005 starben in Indien mindestens 62 Menschen in einer durch den Indira-Sagar-Staudamm verursachten Flutwelle. Die Betreiber hatten die Überlauftore ohne Vorankündigung geöffnet, als sich gerade viele Hindu-Pilger an den Ufern des heiligen Narmada-Flusses auf ein Festival vorbereiteten.

Dann gibt es aber auch die Staudämme, die nicht standhalten: 2002 brachen in Mexiko zwei Dämme an einem Tag. 21 Menschen wurden getötet, 3000 muss­ten flüchten. 2004 brach in China wegen starker Regenfälle ein provisorischer Kofferdamm, 18 Personen kamen ums Leben. Im selben Jahr barst der Camará-Damm in Brasilien, tötete fünf Menschen und machte 800 obdachlos. 2005 kollabierten fünf Dämme in Pakistan – einer davon über 30 Meter hoch – nach sintflutartigen Regenfällen. 80 Menschen starben, viele weitere wurden verletzt und 4000 wurden obdachlos. Im gleichen Jahr zerstörten starke Regenfälle den Band-e-Sultan-Staudamm in Afghanistan. Acht Menschen ertranken, tausende Hektar Land wurden überflutet.

Hochwasser werden oftmals dadurch verschlimmert, dass Auenlandschaften, offene Gewässer und Sümpfe, die früher überschüssiges Flutwasser aufnahmen, für Siedlungen und Landwirtschaft erschlossen werden. Beispielsweise schrumpfte das indische Ganga-Brahmaputra-Flutgebiet bis in die frühen 1990er Jahre durch Bewässerungs-, Entwässerungs- und Hochwasserschutzmaßnahmen um mehr als zwei Millionen Hektar.

Staudämme und Deiche verändern tiefgreifend den Fluss von Wasser und Sedimenten durch Wasserscheiden. Sie vergrößern Hochwasserschäden, weil sie Sedimentablagerungen verstärken und die Durchflusskapazitäten von Kanälen verringern. Sedimente, die sich in Staubecken ablagern, gelangen nicht bis zu den Flussmündungen. Das trägt zur Küstenerosion und zur Absenkung von Flussdeltas bei. Schutzdeiche beschränken den Lauf von Flüssen. Wenn Flüsse begradigt, kürzer und enger gemacht werden, fließen sie schneller. Ihre Wasserstände sind höher, und die Hochwassergefahr steigt.

Dem „harten“ Hochwasserschutz liegt zudem die Annahme eines gleichbleibenden Klimas zugrunde. Ingenieure verwenden fiktionale statische Klimawerte, um die größtmögliche Hochwasserflut zu berechnen, die ein bestimmter Staudamm oder Deich aushalten muss. Doch auf einem sich erwärmenden Planeten führt ein so berechneter Hochwasserschutz vermutlich zu falschen und gefährlichen Ergebnissen.


Eine weiche Lösung

„Weiches“ Hochwasserrisikomanagement dagegen ist anpassungsfähig und flexibel. Es zielt darauf ab, die Zerstörungskraft auch großer Überschwemmungen kleinzuhalten, und reagiert auf die hydrologischen Folgen einer geänderten Landnutzung und der Änderung von Flussläufen.

Ein solches Risikomanagement geht davon aus, dass Überschwemmungen nicht immer zu verhindern sind, dass jeder Hochwasserschutz versagen kann und dass solches Versagen in die Modelle einbezogen werden muss. Solche Strategien gehen zudem davon aus, dass Hochwasser nicht per se schlecht ist, sondern manche Überschwemmungen für die Gesundheit von Fluss-Ökosystemen notwendig sind.

Fünf Schlüsselelemente kennzeichnen erfolgreiches Hochwassermanagement in einem sich ändernden Klima. Viele dieser Maßnahmen werden zwar bereits in begrenztem Umfang angewandt, müssen aber ausgeweitet werden.

Die Flut verlangsamen: Strategien zur Verringerung der Flutgeschwindigkeit und -größe umfassen die Verlegung von Deichen weg von den Flüssen ins Hinterland, die Wiederherstellung von Auenlandschaften, Überschwemmungsgebieten und Mäandern und Maßnahmen gegen die Zersiedlung urbaner Zentren. Viele Länder verfolgen inzwischen solche Strategien. In China werden fast 21 000 km² Auenlandschaft am mittleren Jangtse wiederhergestellt. In Florida, USA, soll das Kissimmee-River-Wiederherstellungsprojekt etwa 10 000 Hektar Fluss- und Auenökosysteme wiederbeleben, die durch ein Hochwasserschutzprojekt in den 1960er Jahren zerstört wurden. In Nordkalifornien wird ein auf zehn Jahre angelegtes 220-Millionen-Dollar-Projekt zur Hochwasserreduktion am Napa River ein Gezeitenmoor wiederherstellen, einige Gebäude in der Überschwemmungszone beseitigen und Dämme versetzen.

Nothilfemaßnahmen verbessern: Die wichtigsten lebensrettenden Maßnahmen sind wahrscheinlich verbesserte Verfahren zur Flutvorhersage, Warnung und Evakuierung. Im Ganga-Brahmaputra-Meghna-Becken arbeitet beispielsweise seit drei Jahren erfolgreich eine Bürger-Flutwache, an der sich 1000 Menschen über Telefon und E-Mail beteiligen. Darüber hinaus ist es notwendig, Hilfsstrategien vorzubereiten, damit Haushalte und Gemeinden Hochwasser überstehen und Schäden bewältigen können.

Der Zerstörung aus dem Weg gehen: Wichtig für die Schadensbegrenzung insbesondere in weniger dicht besiedelten Gebieten ist es, Menschen davon abzuhalten, sich in gefährdeten Gebieten niederzulassen. Zum Management von Überflutungsgebieten gehört es, eine neuerliche Bebauung zu verhindern und finanzielle Anreize für den Umzug in höhergelegene Gebiete zu schaffen. Nach der katastrophalen Mississippiflut von 1993 in den Vereingten Staaten wurden 10 000 Häuser und Unternehmen aus dem Überschwemmungsgebiet verlegt.

Stark gefährdete Gebäude und Gebiete schützen: Das Management von Hochwasserrisiko umfasst strukturelle Maßnahmen wie die Sicherung von Gebäuden durch den Aufbau auf Pfähle oder Hügel, wie das in vielen traditionellen Gemeinschaften üblich ist. Andere Vorkehrungen sind der Bau von Auffang- und Umleitungssystemen in kaum oder nicht erschlossenen Gebieten und die durchdachte Nutzung von gut gewarteten Deichen zum Schutz gefährdeter Städte.

Verbesserung des Staudammmanagements: In vielen Ländern vergrößern Staudämme, die überlaufen, zusammenbrechen oder schlecht betrieben werden, die Schäden durch Hochwasser. Die Regeln für den Betrieb von Staudämmen sollten mit öffentlicher Beteiligung entwickelt werden. Und sie sollten veröffentlicht und strikt durchgesetzt werden. Sicherheitsgutachten zu bereits bestehenden Staudämmen sind ebenfalls wichtig; unsichere Dämme sollten schnell beseitigt werden.

Zwar wächst die Zustimmung, dass Schadensminderung und nicht Verhinderung die realistischste Hochwasserpolitik ist, doch mächtige Institutionen, einschließlich der Weltbank und des indischen Wasser-Establishments, bleiben dem überholten „harten“ Hochwasserschutz treu. Ein „eisernes Dreieck“ aus Politikern, Bürokraten und Staudammbauern verspricht hochwasserbetroffenen Gemeinden sogar die Rettung durch Deiche und Dämme, obwohl Deiche und Dämme viele Hochwasser verschlimmert oder sogar verursacht haben.

Wir können und müssen besser werden. Wenn wir unter heutigen und zukünftigen klimatischen Bedingungen Überschwemmungen besser bewältigen wollen, dann müssen wir die intelligenteren „weichen“ Managementtechniken übernehmen. Wir verringern dadurch nicht nur das Ausmaß an Tod und Zerstörung, sondern geben auch der Natur Flüsse, Feuchtgebiete und andere wertvolle Ökosysteme zurück.

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