Volksaufstand

Triumph der Jugend

2014 hat ein Volksaufstand in Burkina Faso der Herrschaft von Präsident Blaise Compaoré ein Ende gesetzt. Er war 27 Jahre lang an der Macht. Der Drang zum politischen Wandel ging von der Zivilgesellschaft aus, vor allem von der Jugend des Landes. Einer der Hauptgründe war ihre hohe Arbeitslosigkeit – ein Problem, das jedoch weiterhin besteht.
Demonstration in Ouagadougou am  29. Oktober 2014 gegen die von Präsident Compaoré angestrebte Verfassungsänderung, um an der Macht zu bleiben. Dimtalba/picture-alliance/AA Demonstration in Ouagadougou am 29. Oktober 2014 gegen die von Präsident Compaoré angestrebte Verfassungsänderung, um an der Macht zu bleiben.

Ende Oktober 2014 gehörte Ouagadougou dem Volk. Hunderttausende marschierten über die Hauptverkehrsadern der burkinischen Hauptstadt, in der Mehrheit junge Menschen. Sie wollten endlich Blaise Compaoré loswerden, der sich anschickte, zum wiederholten Male die Verfassung zu ändern, um an der Macht zu bleiben.

Bereits 1997 hatte sein Regime den Artikel geändert, der die Amtszeiten des Staatschefs auf zwei aufeinanderfolgende beschränkte. 2000 musste es diese Regelung jedoch wieder einführen. Mit politischen und rechnerischen Tricks hielt sich Compaoré, der 1987 nach dem Putsch gegen seinen Vorgänger Thomas Sankara an die Macht gekommen war, 27 Jahre lang an der Staatsspitze. Der einstige sozialistische Revolutionär Sankara war 1983 selbst durch einen Staatsstreich des Militärs an die Macht gelangt. Compaorés Amtszeit wäre 2015 laut Verfassung endgültig zu Ende gewesen.

Die Abstimmung im Parlament über die Verfassungsänderung war für den 30. Oktober geplant. Doch nach den massiven Volksprotesten entmachtete das Militär an diesem Tag die Regierung und löste das Parlament auf. Tags darauf trat Compaoré zurück; wenig später flüchtete er außer Landes.

Der Aufstand gegen die Regierung war nicht über Nacht entstanden. Im Volk herrschte große Unzufriedenheit wegen extrem hoher Arbeitslosigkeit, Korruption und schlechter Regierungsführung. Seit 2013 hatten sich NGOs gegen eine weitere Amtszeit Compaorés gebildet, darunter Balai citoyen, Collectif anti référendum (CAR), Mouvement du 21 juin (M21), Ça Suffit, Ligue des jeunes und Mouvement Brassard Noir (MBN).

Die Jugend des Landes glaubte fest daran, dass sich ihr politisches Schicksal auf der Straße entscheiden würde. Von den neu gegründeten NGOs spielte Balai citoyen mit ihren Ikonen, den Musikern und Aktivisten Sams’K Le Jah und Smockey, die wichtigste Rolle. Zu ihr gehörten Juristen, Ökonomen, Journalisten und vor allem Studenten von der Universität von Ouagadougou.

Der Grundstein für Balai citoyen wurde am 13. Mai 2013 auf dem Campus gelegt. In Reaktion auf die Diskussion über die geplante Verfassungsänderung schufen Studenten einen Debattierzirkel mit dem Titel „Deux heures pour nous deux heures pour l’Afrique“ (Zwei Stunden für uns, zwei Stunden für Afrika), aus dem die NGO hervorging. Die Gruppe traf sich von montags bis freitags zwischen 13 und 15 Uhr, in der zweistündigen Mittagspause, um über ein aktuelles politisches oder soziales Thema zu diskutieren.

„Nach einer Woche kamen bereits um die 250 Menschen. Der Debattierzirkel war ein Ventil für die Studenten“, erinnert sich Serges Bayala, einer der Gründer und Mitglied von Balai citoyen. Die Zahl nahm schnell zu und beunruhigte die Universitätsverwaltung. Bald musste die Gruppe, die sich anfangs in der Mensa getroffen hatte, ins Freie umziehen. Das tat ihrem Zulauf aber keinen Abbruch. Die Universitätsleitung machte keinen Hehl aus ihrer Angst, auf dem Campus könne eine politische Vereinigung entstehen – was laut Bayala genau das Ziel des Zwei-Stunden-Zirkels war: „Die Studenten waren an der aktuellen Diskussion interessiert, und es galt, einen Weg zu finden, um sie für den politischen Kampf zu gewinnen.“


Aufstand formiert sich an Universitäten

Auch an anderen Universitäten des Landes formierte sich Widerstand, ebenso wie in zahlreichen NGOs, die von jungen Leuten gegründet oder getragen wurden. Es entstand eine neue Generation zivilgesellschaftlicher Organisationen, die vorher vor allem in Gewerkschaften bestanden hatten.

Balai citoyen richtete Clubs in vielen Stadtvierteln und auch in kleineren Städten Burkina Fasos ein. Nach dem Beschluss im Oktober 2014, den Protest auf die Straße zu tragen und am Tag der Abstimmung über die Verfassungsänderung vor der Nationalversammlung zu demonstrieren, zogen Mobilisierungskarawanen durch die Straßen Ouagadougous. Mitglieder von Mouvement Brassard Noir und anderen Organisationen suchten zudem Abgeordnete zu Hause auf und riefen sie dazu auf, dem Gesetz nicht zuzustimmen und „das Volk nicht zu verraten“. In Bobo-Dioulasso, der zweitgrößten Stadt des Landes, gab es auch eine aktive NGO-Szene. Neben Balai citoyen spielte Ligue des jeunes dort eine große Rolle.

Zum Erfolg der Bewegung trug bei, dass die NGO-Szene sich erfolgreich mit dem Bündnis politischer oppositioneller Parteien CFOP verbündet hat. Während die zivilgesellschaftlichen Organisationen die Bürger mobilisierten, organisierte CFOP große Versammlungen, an denen Politiker und NGO-Vertreter teilnahmen. Die erste fand am 29. Juni 2013 statt, und dort hatte auch Balai citoyen seinen ersten Auftritt.


Ziviler Ungehorsam

Ohne die starke Mobilisierung auf verschiedenen Ebenen wäre der mächtige Volksaufstand, der zum Sturz Compaorés führte, unmöglich gewesen. Schon vor der Massendemonstration am 30. Oktober 2014 campierten junge Menschen auf dem Platz der Revolution in Ouagadougou und widersetzten sich den Sicherheitskräften. NGOs und CFOP hatten zum zivilen Ungehorsam aufgerufen. Als Balai-citoyen-Ikone Sams’K Le Jah mit Matratze und Teekessel erschien, stand für die Demonstranten fest, dass sie nicht mehr weichen würden.

Als CFOP-Chef Zéphirin Diabré in seiner Rede am 28. Oktober auf dem Platz der Revolution das Ende der Versammlung ausrief, protestierte die Menge. Sie wollte weitermachen bis zum Sieg. „Der Kampf gehört dem Volk, und das Volk kann damit machen, was es will“, gab Diabré zurück. In der Nacht kam es zu Straßenschlachten.

Der Sturz des Campaoré-Regimes ist der Triumph der Jugend. Ihre Idole sind Thomas Sankara und der Journalist Norbert Zongo, dessen Ermordung aus politischen Gründen 1998 zu einem Zusammenschluss von Gewerkschaften und politischer Opposition führte.

Serges Bayala erhielt – neben anderen Gallionsfiguren des Aufstands – von der Übergangsregierung einen Orden für seine Verdienste. Seit Ende 2015 amtiert Präsident Roch Marc Kaboré, der Teilen der ehemaligen Widerstandsbewegung nahesteht. Er setzte sich gegen CFOP-Chef Zéphirin Diabré durch.

Die Probleme des Landes sind damit jedoch nicht gelöst. Vor allem für den Mangel an Arbeitsplätzen, einen der Hauptgründe des Volksaufstands, zeichnen sich auch unter der neuen Regierung keine nachhaltigen Lösungen ab. Straflosigkeit ist nach wie vor ein Problem, ebenso die politische Einflussnahme auf die öffentliche Verwaltung und die clanartige Verteilung von Macht.

Einige der NGOs, die am Aufstand 2014 maßgeblich beteiligt waren, kämpfen daher weiter: für einen wirklichen Wandel und wahre Demokratie. Balai citoyen und acht weitere Organisationen haben sich zur Coalition Ditanyè zusammengeschlossen, die nach der Nationalhymne benannt ist. Zwei Jahre nach dem Volksaufstand, im Oktober 2016, erklärte diese: “Der Kampf fängt gerade erst an.“


Boukari Ouoba ist Journalist bei der burkinischen Zeitung Mutations und Generalsekretär des burkinischen Journalistenverbands Association des Journalistes du Burkina (AJB).
ouobari@yahoo.fr

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