Kommentar

Am Rande eines Flops

Unter den Bildern, die das jüngste Weltsozialforum in Dakar prägten, wird eines sicher haften bleiben: Der runde Tische zwischen Brasiliens Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva und Senegals Staatshef Abdoulaye Wade, die sich höflich, aber direkt die Meinung geigten. Beide Teilnehmer priesen ihre jeweilige Programmatik – Lula den Sozialismus und Wade den Liberalismus.

Von Mohamed Gueye

Es geschah am zweiten Tag des Forums. Vor einem dicht gedrängten Publikum, das die liberale Wirtschaftsordnung als gescheitert ansieht, tröstet Brasiliens früherer Präsident seine Zuhörer mit der vor acht Jahren eingeleiteten Wende seines Landes. Diese habe bewiesen: „Eine andere Welt ist möglich.“ Analphabetismus und Hunger seien besiegt, die Armut gesunken, gute Bildungsangebote vorhanden. Brasiliens strahlendes Beispiel erleichterte ihm und seinen Genossen, die den Saal zum Bersten füllten, über die Arroganz derer zu spotten, „die uns Lektionen darüber erteilen, wie unsere Länder zu führen seien, ihre eigene Wirtschaft aber nicht im Griff haben“. Lulas Fazit: Was Brasilien glückte, können Afrikaner in ihren Ländern ebenfalls, denn ihr Kontinent habe das gleiche Potenzial und sei von der Natur genauso gesegnet wie Brasilien.

Am Ende dieses Austauschs bezog Präsident Wade die absolute Gegenposition zu Lula. Senegals Staatschef weigerte sich mühevoll, Lulas Deutung der Geschichte anzuerkennen. Staatswirtschaft sei überall auf der Welt gescheitert, der Liberalismus habe gesiegt: „Der Sturz einiger Banken in Amerika und Europa kann unsere erfolgreiche Politik in der Welt nicht erschüttern.“ Er schloss provozierend: „Seit zehn Jahren beobachte ich nun die Aktionen eurer Bewegung. Was, außer Geschrei und Protest, habt ihr denn bisher Echtes zustande gebracht, wenn man von Lulas Beispiel absieht? Nichts. Tut mir leid, euer System funktioniert einfach nicht.“ Unter den Pfiffen der Menge verschwand er.

Ein ähnlich einprägsames Bild waren die Freudentänze zum Abschluss des Dakar-Forums, als am 11. Februar bekannt wurde, dass Ägyptens Staatsführer Hosni Mubarak zurückgetreten war. Das war wie frischer Regen, der in die Abendwüste fällt. In den Augen vieler Aktivisten aus ­aller Welt, die Dakar für eine Woche bevölkerten, galt der Sieg des ägyptischen ­Volkes allen unterdrückten Völkern. Marokkaner umarmten Südamerikaner, Kongolesen weinten Freudentränen – alle bejubelten den Sturz des Diktators, als hätten sie selbst dazu beigetragen.

Die Bilder überlagerten viele echte Probleme, die in dieser Woche diskutiert wurden. Entsprechend der afrikanischen Wirklichkeit kreisten viele Debatten um das Thema Landnahme. Ausgehend von Beispielen aus dem Senegal, Kamerun und Madagaskar zeigten die Teilnehmer, dass dieses Phänomen wirklich jedes Land heimsucht. Es sollte bekämpft werden, bevor es Afrika wie Lateinamerika geht und es Scharen von landlosen Bauern gibt.

In der Republik Senegal erheben vor allem Saudis Anspruch auf bewässerte Flächen im Tal des Senegal-Flusses an der Grenze zu Mauretanien. Dort wollen sie Getreide zum Export in ihr Land anbauen. Der meiste senegalesische Reis stammt aus dieser Region. Die Regierung verhandelt darüber, obwohl sie gleichzeitig die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln predigt.

Heiß diskutiert wurde in Dakar auch das Thema Steuerhinterziehung. Die französische EU-Abgeordnete Eva Joly lenkte das Augenmerk der Globalisierungskritiker auf die Tatsache, dass jeder zweite Euro für Entwicklungshilfe in afrikanischen Ländern wieder nach Europa fließt, weil Afrikas korrupte Führer das unterschlagene Geld im Ausland anlegen. Außer der Forderung nach mehr Transparenz wusste leider auch Joly keine dauerhafte Lösung.

Solche Momente halfen, die schwache Flamme des Weltsozialforums, das in ­Dakar gewiss keine Sternstunde erlebte, wenigstens am Brennen zu halten. Die Organisation des Forums war selten so katastrophal. Die Veranstalter scheiterten erstens an einem schlüssigen Programm, zweitens an einem geordneten Ablauf. Es war falsch, die Universität Cheikh Anta Diop als Veranstaltungsort zu wählen, wo Studenten alle Hörsäle belegten und auf ihre Vorrechte pochten. Im Remmidemmi mischten Straßenverkäufer und Hausierer mit. Nur Lula, Wade und Mubarak verhinderten einen Flop.

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