Gesundheitswesen

Epizentrum des illegalen Pharmamarktes

Armut ist der Grund dafür, dass in Afrika gute Medikamente oft nicht erhältlich sind. Die Gesundheitssysteme sind meist schwach, der Pharmamarkt ist schlecht reguliert. Viele Patienten müssen minderwertige oder nachgeahmte Medikamente einnehmen. In Westafrika gibt es immer mehr Menschen, die nach einem bestimmten Opiat süchtig sind, weil man es leicht bekommt.
Oft haben Medikamente mindere Qualität: Kundin einer Apotheke in Mali. Deloche/GODONG/Lineair Oft haben Medikamente mindere Qualität: Kundin einer Apotheke in Mali.

Tramadol ist ein Opiat-Schmerzmittel. Es wird nicht wie andere starke und süchtigmachende Opioide wie etwa Methadon oder Fentanyl vom International Narcotics Control Board reguliert. Jedes Land muss eigene Vorschriften erlassen, die Regierungen handeln jedoch erst, wenn es Probleme gibt.

Tramadol ist als Medikament wertvoll, kann aber auch als Aufputschmittel missbraucht werden. Es hebt die Stimmung und macht arbeitsfähiger. Hat man sich daran gewöhnt, benötigt man immer höhere Dosen, um zu funktionieren.

Subsahara-Afrika erlebt derzeit eine schwere Tramadol-Krise. Die medizinische Fachzeitschrift The Lancet vergleicht in ihrem Bericht vom Mai die Situation in Westafrika mit der Opioidkrise in den USA. Es ist ein riesiger Schwarzmarkt entstanden. Obwohl Ärzte kaum mehr als 100 Milligramm verschreiben würden, kursieren hochwirksame Pillen mit bis zu 250 Milligramm. Immer häufiger sterben Abhängige an einer Überdosis. Wer professionelle Unterstützung für einen Entzug sucht, findet kaum eine Einrichtung dafür.

Dem Lancet zufolge nehmen afrikanische Regierungen das Problem langsam wahr. Schmerzmittel werden meist in Asien hergestellt. Das gilt auch für Generika und Fälschungen. Vor fünf Jahren wurden in Subsahara-Afrika noch 300 Kilogramm Tramadol jährlich beschlagnahmt, inzwischen sind es mehr als drei Tonnen.

Die Regierungen haben Mühe, geeignete Gesetze zu verabschieden und durchzusetzen. Leider gibt es in vielen afrikanischen Ländern keine wirksamen Regulierungssysteme für Arzneimittel. Das bewusstseinsverändernde Opioid Tramadol ist nur Teil eines vielschichtigeren Problems.

Gute Medikamente sind oft unerschwinglich oder nicht verfügbar, so dass minderwertige, nachgeahmte und gefälschte Arzneimittel verkauft werden. Generika, meist aus Indien und von fragwürdiger Qualität, überschwemmen die afrikanischen Märkte. Forscher der London School of Hygiene & Tropical Medicine haben herausgefunden, dass jährlich 64 000 bis 158 000 Menschen wegen gefälschter oder minderwertiger Medikamente an Malaria sterben.

Afrika ist laut International Crime Police Organization (Interpol) Mittelpunkt des „größten Schwarzmarktes der Welt“. Die Jacques-Chirac-Stiftung schätzt, dass der Arzneimittelhandel jährlich 200 Milliarden Dollar einbringt. Die vom ehemaligen französischen Präsidenten ins Leben gerufene Stiftung setzt sich für mehr Zugang zu Gesundheitsleistungen und gute Arzneien ein.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stellt fest: „Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen, Konfliktregionen und jene mit schwachem oder gar ohne Gesundheitssystem leiden am meisten unter gefälschten Medizinprodukten.“ Das trifft auf viele afrikanische Länder zu – sie sind die wichtigsten Märkte für den tödlichen Handel. Die US-Gesundheitsbehörde FDA (Food and Drug Administration) geht davon aus, dass jedes zehnte Medikament weltweit gefälscht ist. Experten vermuten, dass das in Subsahara-Afrika sogar für 30 bis 70 Prozent der Arzneien gilt.

Von 2013 bis 2017 gingen bei der WHO 1500 Fallberichte über minderwertige oder gefälschte Arzneimittel ein, 42 Prozent der Fälle betrafen Subsahara-Afrika. Afrika ist offensichtlich das Epizentrum des illegalen Pharmahandels. Zwischen Mai und  Juni 2017 war Interpol in sieben westafrikanischen Ländern im Einsatz, um gegen illegalen Handel mit gefälschten Arzneien vorzugehen. Mehr als 41 Millionen gefälschte Tabletten und 13 000 Kartons mit medizinischen und pharmazeutischen Produkten im Wert von schätzungsweise 20 Millionen US-Dollar wurden beschlagnahmt.

Laut WHO wird das unerlaubte Pharmageschäft dadurch begünstigt, dass immer mehr Menschen Zugang zum Internet haben. 2008 starteten Interpol und International Forum on Pharmaceutical Crime in the World eine Operation namens „Pangea“. Der globalen Initiative zur Bekämpfung des Online-Verkaufs illegaler und gefälschter Arzneimittel gehören Zollbehörden, Polizei, Gesundheitsämter und Privatunternehmen an. Sie nimmt drei Dinge unter die Lupe, von denen illegale Websites abhängig sind: Provider von Internet-Diensten, Zahlungs- und Liefersysteme. Ein Ansatz ist, das Bewusstsein für die Risiken zu schärfen, die mit dem Online-Kauf von Medikamenten einhergehen. Pangea läuft derzeit in 100 Ländern.

Der Hauptgrund für das Versagen der afrikanischen Pharmamärkte liegt in Armut, überlasteten Gesundheitssystemen und schlechter Regierungsführung. „Um gefälschte Medikamente zu verkaufen, braucht man Kunden“, sagt Marc Gentilini, ehemaliger Präsident des französischen Roten Kreuzes. „Und in Afrika gibt es mehr arme Patienten als sonstwo auf der Welt.“ Ihr niedriges Einkommen macht Qualitätsarznei für Afrikaner oft unerschwinglich. Ordnungsgemäß regulierte Vertriebssysteme wären zu komplex für Regulierungsbehörden, denen es an Ressourcen mangelt. Zum Beispiel gelingt es meist nicht, Kühlketten aufrechtzuerhalten. Durchlässige Grenzen verschlimmern die Gesamtlage.

Interpol macht deutlich: „Drogenhandel kann nur langfristig wirksam bekämpft werden.“ Die Organisation fordert die permanente Mobilisierung und Zusammenarbeit von Polizei, Zoll-, Gesundheits- und Strafverfolgungsbehörden in aller Welt. Die afrikanischen Regierungen kennen Strategien, die helfen würden. Aber es mangelt häufig an politischem Willen. Für den Anfang wäre es gut, die Öffentlichkeit verlässlicher und umfassender über Nutzen und Risiken von Medikamenten zu informieren.
 

Assane Diagne arbeitet im Dakar-Büro von Africa Check, einer auf Faktenprüfung spezialisierten Medienagentur.
assane@africacheck.org

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