Kollektivgüter

Überwundene Tragödie

Elinor Ostrom ist die erste Frau, die den Wirtschaftsnobelpreis erhält. Das Nobelkomitee hat sie und Oliver Williamson in diesem Jahr ausgezeichnet. Unser Autor untersucht Ostroms Beitrag zu Theorie und Praxis der Entwicklungspolitik.


[ Von Eduardo Araral ]

Das Nobelkomitee lobt Ostroms Arbeit über ökonomische Rahmenbedingungen und insbesondere die Nutzung von Gemeingütern. Ihre Arbeit ist im Kampf gegen die Armut unmittelbar relevant. Denn solche Gemeingüter bilden Existenzgrundlage von hunderten Millionen armer Menschen in Entwicklungsländern auf der ganzen Welt.

Der Ökologe Garett Hardin schrieb 1968 den einflussreichen Artikel „Die Tragödie der Gemeingüter“. Er argumentierte, dass gemeinschaftlich genutzte, frei zugängliche Ressourcen wie Wälder, fischreichen Gewässern, Wasserscheiden, Nationalparks, Tier- und Pflanzenwelt sowie Bewässerungssystem oft schlecht bewirtschaftet werden, weil kein Nutzer einen Anreiz hat, in das gemeinsame Vermögen, von dem alle profitieren, zu investieren. Deshalb, so schloss Hardin, sollten Kollektivgüter entweder vom Staat verwaltet oder privatisiert werden.

Viele Regierungen auf der Welt folgten seinem Rat und verstaatlichten Gemeingüter. Allerdings waren die Folgen katastrophal. Naturschätze wurden dezimiert – nicht nur zum Leid von Milliarden meist armer Haushalte in Entwicklungsländern, die von Gemeingütern abhängen.

Privatisierung war jedoch auch keine gangbare Alternative. Sie läuft oft auf eindimensionale Verwertungsstrategien unter Ausschluss armer Menschen hinaus. Die kommerzielle Waldwirtschaft zum Beispiel setzt meist auf schnell wachsende Hölzer, ohne allzu sehr auf andere Dinge zu achten. Fragen der Artenvielfalt oder des Wasserhaushalts sind aber ökologisch äußert wichtig.

Empirische Einsichten

Das Forschungszentrum „Workshop in Political Theory and Policy Analysis“, das Elinor Ostrom zusammen mit ihrem Ehemann Vincent vor 40 Jahren an der Universität von Indiana startete, stellte Hardins Paradima in Frage. Ostrom, ihre Kollegen und Studenten untersuchten Beispiele gemeinschaftlich genutzter Ressourcen rund um den Erdball – von Schweizer Wiesen über Bewässerungssysteme in Nepal, Spanien und auf den Philippinen bis hin zu indischen und afrikanischen Wäldern.

Auf Basis vieler Daten wiesen sie nach, dass Nutzer kollektive Ressourcen über einen langen Zeitraum hin mit Erfolg und nachhaltig verwalten können – und das auch tun, sofern bestimmte Regeln oder Institutionen existieren. Zudem hängt der Erfolg offenbar von der Interaktion zwischen allen Beteiligten ab. Oft gibt es recht raffinierte Systeme von Rollen, Rechten und Pflichten.

Das Nobelpreis dankt Ostrom für die Einsicht, dass „eine aktive Teilnahme der Nutzer beim Aufstellen und Durchsetzen der Regeln notwendig zu sein scheint“. Tatsächlich befolgen Menschen eher Richtlinien, auf deren Inhalt sie Einfluss haben, als solche, die von außen aufgepfropft oder von starken Insidern diktiert werden. Je weniger Legitimität ein Regelsystem hat, umso wahrscheinlicher sind Verstöße.

Andererseits funktionieren Kontrolle und Durchsetzung besser, wenn Menschen mitwirken, die selbst unmittelbar am Gelingen interessiert sind und die örtlichen Gegebenheiten und Probleme kennen. Ostrom zufolge sind Nutzer von Kollektivgütern in der Regel selbst dann bereit, die Einhaltung von Regeln zu prüfen und Verstöße zu sanktionieren, wenn der Lohn dafür gering ist. Viele Menschen nehmen sogar persönliche Kosten in Kauf, um unfaire Trittbrettfahrer zu bestrafen, wie Ostrom herausfand.

Geber und Regierungen von Entwicklungsländern beherzigen heute die Vorteile des gemeinschaftlichen Managements von Kollektivgütern. Dieser Paradigmenwechsel hat wichtige Folgen für Abermillionen von Menschen, deren Lebensunterhalt von kollektiv genutzten Ressourcen abhängt. Mittlerweile wird akzeptiert, dass arme Männer und Frauen gemeinsam Prioritäten setzen und lokale Herausforderungen meistern können – so sie denn über das nötige Wissen, angemessene Kapazitäten und finanzielle Hilfe verfügen. In der Tat sind die Ergebnisse oft sehr gut, wenn Basisorganisationen mit Behörden und Unternehmen kooperieren.

Mindestens 25 Entwicklungsländer in aller Welt sind dabei, die Verwaltung von Bewässerungssystemen vom Staat auf Bauernverbände zu übertragen. In Indien, Indonesien, den Philippinen, Subsahara-Afrika sowie Zentral- und Südamerika bemüht man sich, kollektive Formen des Forstmanagements wiederzubeleben. Heute sind in den Entwicklungsländern mindestens 22 Prozent der Wälder in irgendeiner Form Kollektiveigentum. Südlich der Sahara haben etwa 20 Staaten Formen von gemeinschaftlicher Forstwirtschaft eingeführt. Der Reformeifer in diesem Sektor wirkt sich direkt auf eine halbe Milliarde Menschen aus, die in extremer Armut leben und deren Lebensunterhalt vom Wald abhängt.

Geberpolitik

Auch die Geber besinnen sich seit einiger Zeit auf die Vorteile gemeinschaftlicher Entwicklungsprojekte (Community-Driven Development, CDD). Die CDD-Gruppe der Weltbank betont, dieser Ansatz übertrage Planung, Kontrolle und Investitionsressourcen lokale Nutzer. Entsprechend basieren die Programme der CDD-Gruppe auf „den Prinzipien der lokalen Unterstützung, der Teilhabe an der Kontrolle, der Nachfrageorientierung, der selbständigen Verwaltung, größerer Rechenschaftspflicht gegenüber der Basis und höherer lokaler Kapazität“.
Das CDD-Volumen der Weltbank liegt bei 2 Milliarden Dollar. Die Asiatische Entwicklungsbank will ihre Mittel aufstocken. Geber nutzen CDD bei der Instandsetzung und -haltung von Wasser- und Abwasserleitungen, bei dem Bau und Betrieb von Schulen, Gesundheitsstationen und ländlichen Verkehrswegen, bei Ernährungsprogrammen für Mutter und Kind oder bei der Unterstützung von Kleinstunternehmen. CDD-Ansätze sind auch in Katastrophen- und Kriegsgebieten nützlich.

Studien der Asiatischen Entwicklungsbank, der Weltbank und von Hochschulen gehen davon aus, dass CDD-Projekte eine Reihe von Vorteilen haben:
– Sie erreichen die Armen und sind „inklusiver“ als andere Ansätze.
– Gemeinschaftliche Infrastrukturprojekte kosten weniger und sind zuweilen höherwertig als Projekte „von oben“.
– Entscheidungen entsprechen lokalen Bedürfnissen.
– Gute und nachhaltige Arbeitsweise und Wartung sind wahrscheinlicher, weshalb auch der Ertrag der Investition höher ausfällt.
– Sozialkapital wird aufgebaut, Gemeinschaften halten zusammen und werden belastbarer.
– Die Aufsicht ist besser und Korruption seltener.
– Gemeinschaften werden aktive Eigner ihrer Entwicklung.
– CDD-Vorhaben lassen sich schnell ausdehnen.

Dagegen zeigen die Studien die Nachteile der „von oben“ beauftragten, angebotsorientierten und staatlichen Projekte: Die Standortwahl war oft schlecht, die gewählte Technik unangemessen, Betrieb und Wartung waren schlecht und nicht nachhaltig – und obendrein herrsche Korruption vor.

Der CDD-Ansatz zur Armutsreduzierung ist heute eine allgemein akzeptierte Strategie (siehe auch Aufsatz über Sanitärinfrastrukturen für ungeplante städtische Siedlungen auf der nächsten Seite). CDD-Programme werden unter anderem auf den Philippinen, in Vietnam, Indonesien und vielen Staaten Afrikas flächendeckend implementiert. Während viele Experten, Aktivisten und Anwender diesen Paradigmenwechsel hin zur gemeinschaftlichen Entwicklung befürwortet haben, gilt Ostrom als eine intellektuelle Vorreiterin.

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