Editorial

Innovationen willkommen

Vor zehn Jahren sagten E+Z/D+C-Autoren aus Schwellen- und Entwicklungsländern, an der EU gefalle ihnen vor allem das soziale Modell. Der Kontinent von Sozialstaaten erschien Menschen aus armutsgeplagten Ländern attraktiv. Heute fragen uns dieselben Autoren, warum die EU zulässt, dass Gesundheitsversorgung und soziale Sicherheit in Griechenland und anderen verschuldeten Mitgliedsstaaten erodieren. Aus ihrer Sicht heißt das, dass europäische Entscheidungsträger soziale Sicherung für ein Privileg wohlhabender Nationen halten.
Patientin in tansanischem Krankenhaus. dem Patientin in tansanischem Krankenhaus.

Aus entwicklungspolitischer Sicht ist das die falsche Botschaft. Länder wie Deutschland, Frankreich und Britannien haben ihre Sicherungssysteme geschaffen, lange bevor sie den heutigen Wohlstand erreichten. Damit eine Wirtschaft gut funktioniert, ist es hilfreich, wenn alle Menschen im Krankheitsfall versorgt werden und weder Patienten noch Senioren für Familienangehörige so zur Last werden, dass die Wirtschaftstätigkeit blockiert wird. Die Jugend braucht zudem gute Bildung. Kluge Politik muss Chancen für alle bewirken.   

Eine Gesellschaft sollte niemanden allein lassen, und ihr Zusammenhalt hängt davon ab, dass die Kluft zwischen sehr reich und ganz arm sich nicht endlos ausdehnt. Empirisch ist bewiesen, dass besonders ungleiche Gesellschaften oft auch besonders gewalttätig sind. Das liegt daran, dass die Eliten meinen, die Benachteiligten mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln im Griff halten zu müssen, während einige Arme verzweifeln, sodass ihnen als sprichwörtlichen „Desperados“ jedes Mittel recht ist, um sich zu nehmen, was sie sonst nicht bekommen.

International besteht über all diese Dinge weitgehend Konsens, was sich unter anderem in der Liste der Sustainable Development Goals wiederspiegelt, welche die UN im September als Nachfolger der Millenniumsentwicklungsziele beschließen dürften. Armutsbekämpfung und die Reduzierung von Ungleichheit sind dabei Leitthemen.

Soziale Sicherung kann auf verschiedene Weise organisiert werden. Die Privatwirtschaft kann und muss eine tragende Rolle spielen, denn sie ist es, die Wohlstand erzeugt. Allerdings führen Marktkräfte nicht von sich aus zu befriedigenden Ergebnissen. Märkte reagieren auf Kaufkraft, nicht auf menschliche Not. Kluge Gesetzgebung und Staatshandeln müssen sicherstellen, dass die Erfüllung menschlicher Grundbedürfnisse nicht allein von der persönlichen Kassenlage abhängt. 

Es gibt keine Blaupausen. Jedes Land muss eine Sozialpolitik entwickeln, die seiner speziellen Lage entspricht. In diesem Feld sind Innovation denn auch herzlich willkommen. In den vergangenen Jahrzehnten haben Brasilien und Mexiko eine Art Sozialhilfe eingeführt, die arme Familien unter der Bedingung erhalten, dass sie ihre Kinder in die Schule und regelmäßig zum Arzt schicken. Indien hat ein Beschäftigungsprogramm entwickelt, dass ländlichen Haushalten Arbeit zum Mindestlohn garantiert. Südlich der Sahara werden pauschale Rentenzahlungen an Senioren getestet und bewähren sich. Auch die USA garantieren als führende Industrienation, die Jahrzehntelang hinterher hinkte, jetzt fast allen Bürgern eine Krankenversicherung.

Einige Akteure fordern mittlerweile, soziale Sicherheit müsse international organisiert werden (siehe Jung und Pokawa in E+Z/D+C, 2014/12, S. 482). Die meisten Fachleute halten das indessen noch für utopisch. Die EU könnte ein Vorreiter werden. Einige Politiker denken mittlerweile öffentlich über ein paneuropäisches Arbeitslosengeld nach. Fest steht derweil, dass die EU viel von ihrem internationalen Einfluss verlieren wird, wenn sich der Eindruck festsetzt, das ihre Sozialstaaten kollabieren, wenn sie in Krisen besonders dringend gebraucht werden.


Hans Dembowski ist Chefredakteur von E+Z Entwicklung und Zusammenarbeit / D+C Development and Cooperation.
euz.editor@fs.medien.de

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