Friedensmissionen

Langer Atem

Die African Peace and Security Architecture ist noch nicht fertig aufgebaut. Sie leistet aber heute schon einen Beitrag zum Frieden.
Peacekeeper aus Uganda im Einsatz  in Mogadischu, Somalia. Stuart Price/picture-alliance/dpa Peacekeeper aus Uganda im Einsatz in Mogadischu, Somalia.

Im März 2012 putschte in Mali das Militär – und kurz darauf eroberte ein Bündnis aus Tuareg und islamistischen Kräften den Norden des Landes. Später ergriffen Islamisten dort allein die Macht.  

Die ECOWAS (Economic Community of West African States) reagierte schnell. Sie verurteilte sowohl den Putsch als auch die Eroberung des Nordens. Malis Mitgliedschaft in dieser Regionalorganisation wurde zeitweilig ausgesetzt. In Rekordzeit vermittelten ECOWAS-Mediatoren zwischen den alten Amtsinhabern und den Putschisten im Süden die Bildung einer Übergangsregierung. Zudem beschlossen die ECOWAS-Staatschefs die Entsendung einer 3000-köpfigen Truppe, um die Übergangsregierung bis zur Abhaltung freier Wahlen zu schützen und die Einheit des Landes wiederherzustellen.

Die politische Lösung erwies sich als recht stabil, aber die Truppenentsendung ließ sich nicht sofort verwirklichen. Sie erforderte die Zustimmung der Afrikanischen Union (AU) und des UN-Sicherheitsrates. Letzterer erteilte sein Plazet erst Ende 2012. Noch während der Vorbereitung der ECOWAS/AU-Mission AFISMA griffen die Islamisten zwei Städte im Süden Malis an. Malis Armee konnte sie nicht an der Einnahme der Städte hindern. Die Übergangsregierung rief deshalb Frankreich zu Hilfe, dessen Truppen mit der Unterstützung von Soldaten aus Mali und Tschad den Angriff zurückschlugen und die wichtigsten Städte in Nord-Mali zurückeroberten.

In der Weltpresse gelten diese Ereignisse tenden­ziell als Beleg für das Scheitern von ECOWAS und AU in Mali. Dabei werden deren Leistungen zur Bildung und Unterstützung der Übergangsregierung und der Abhaltung von Wahlen unterschlagen. Afrikanische Staaten haben zudem mittlerweile mehr als 9000 Peacekeeper in Mali stationiert – einschließlich ziviler Fachkräfte und Polizisten. Seit dem 1. Juli leitet zwar die UN die Friedensmission; die afrikanischen Einheiten waren aber schon vorher im AFISMA-Einsatz. Obendrein warb die AU bei einer Geberkonferenz Zusagen in Höhe von 455 Millionen Dollar ein, um Mali zu stabilisieren. Auch das ist ein Erfolg, selbst wenn von diesem Geld noch nicht viel geflossen ist.

AU und ECOWAS sind in Mali sicherlich noch nicht dem Anspruch gerecht geworden, afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme durchzusetzen. Sie tragen aber in erheblichem Maße zur Lösung bei. Politisch haben sie schnell und geschickt reagiert. Die Weltöffentlichkeit sollte das anerkennen. Andererseits wurde deutlich, dass es an einer schnellen Eingreif­truppe mangelte, die den Herausforderungen eines Wüstenkrieges gewachsen wäre.


Institutioneller Rahmen

Seit ihrer Gründung 2002 hat die AU ein klares friedens- und sicherheitspolitisches Mandat. Darin unterscheidet sie sich deutlich von ihrer Vorgängerin, der Organisation für Afrikanische Einheit, die auf Nichteinmischung setzte. Die Gründer der AU wollten sicherstellen, dass sich die Erfahrung internationaler Untätigkeit angesichts der Schrecken des Völkermords in Ruanda 1994 nicht wiederholt. Der Gründungsvertrag der AU sieht deshalb eine African Peace and Security Architecture (APSA) einschließlich einer African Standby Force (ASF) vor.

In Fällen von Völkermord oder anderer schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen soll der ASF-Einsatz mit Zustimmung der AU-Vollversammlung sogar gegen den Willen der Regierung des betroffenen Landes möglich sein. Die AU geht damit weiter als die UN. Im Rahmen der APSA gibt es zudem einen Rat der Weisen für stille Diplomatie und Konfliktmediation, ein kontinentales Konfliktfrühwarnsystem und einen Friedensfonds.

Bislang konnte sich aber noch keine AU-Friedensmission auf die angestrebten Strukturen stützen. Für alle bisherigen Einsätze – Darfur, Burundi, Somalia, Guinea-Bissau und zuletzt Mali – mussten ad hoc Truppen aus Mitgliedsländern mobilisiert werden. APSA und ASF befinden sich noch im Aufbau. Nach AU-Vorgaben soll das frühestens 2015 abgeschlossen sein. Dieses Vorhaben ist ehrgeizig, denn es geht um komplexe Strukturen für multidimensionale Einsätze. Die AU stützt zudem ihre Friedens- und Sicherheitspolitik auf verschiedene Regionalorganisationen, die entweder – wie die ECOWAS – schon vorher bestanden oder aber eigens zu diesem Zweck gegründet wurden. Die AU steuert die Verfahren sowie die einzelnen Einsätze der ASF. Für den Aufbau der Truppen sind aber die regionalen Staatengemeinschaften verantwortlich.  

Die ASF ist nicht rein militärisch konzipiert. Die Einsätze stehen unter ziviler Leitung und schließen zivile Fachkräfte und Polizisten ein. Die Rekrutierung von geeignetem Personal ist allerdings eine besondere Herausforderung, denn diese Leute gehen ihren Berufen nach und warten nicht abrufbereit in Kasernen auf mögliche Einsätze.

Die Teilnehmer von Friedensmissionen werden auf ihre Aufgaben in regionalen Peacekeeping-Trainingszentren vorbereitet. Soldaten, Polizisten und zivile Kräfte werden teils gemeinsam, teils separat fortgebildet. Die Akteure kommen aus vielen verschiedenen Ländern und haben sehr unterschiedliche Berufserfahrung. Es ist nicht leicht, dieses vielfältige Personal mit großer kultureller und linguistischer Vielfalt zu einer kooperationsfähigen, an einheitlichen Standards orientierten Truppe zusammenzuschmieden.

Die AU geht von sechs Einsatzszenarien aus – von Beobachtermissionen über multidimensionale Friedenseinsätze bis hin zur Friedenserzwingung. Ein Teilkontingent der ASF soll als Rapid Deployment Capability (RDC) innerhalb von zwei Wochen einsatzbereit sein. Als Konsequenz aus der Mali-Krise plant die AU, bis zum Funktionieren der RDC noch eine weitere militärische Eingreiftruppe zu schaffen, an der sich Mitgliedstaaten mit starken Armeen beteiligen sollen.

Verständlicherweise will die AU in Fällen wie Mali nicht von ehemaligen Kolonialmächten abhängig sein. Allerdings wirft das neue Vorhaben Fragen auf: In welchem Verhältnis steht diese neue Einheit zur ASF? Reichen die finanziellen und organisatorischen Kapazitäten für den Aufbau par­al­leler Strukturen aus? Wie wird garantiert, dass die rein militärische Eingreiftruppe sich anschließend in eine multidimensionale Struktur einordnet?

Militäreinsätze verursachen enorme Kosten. Auf absehbare Zeit ist es nicht vorstellbar, dass diese größtenteils von afrikanischer Seite getragen werden. Das muss auch nicht sein, denn UN-Einsätze werden auch von der Weltgemeinschaft finanziert. Im Sinne der vollständigen Ownership afrikanischer Staaten wäre es aber wichtig, die Kosten der kontinentalen und regionalen Kernstrukturen (etwa das Personal der AU und Regionalorganisationen) über Mitgliedsbeiträge zu decken, statt auf Geberhilfe zu vertrauen. Eine AU-Kommission arbeitet bereits an Modellen für höhere Eigenbeteiligung – bisher aber noch ohne konkrete Ergebnisse.

Die GIZ unterstützt im Auftrag der Bundesregierung die AU und mehrere Regionalorganisationen beim Aufbau der APSA. Neben Konfliktfrühwarnung und Mediation konzentriert sie sich auf zivile und polizeiliche Strukturen der ASF. Dabei geht es beispielsweise um ein IT-gestütztes Personalmanagement, das die schnelle Rekrutierung ziviler Fachkräfte im Einsatzfall ermöglicht. Zudem berät und fördert die GIZ mehrere Trainingszentren, von denen das 2002 gegründete Kofi Annan International Peacekeeping Training Centre (KAIPTC) in Ghana vermutlich das bekannteste ist. Ferner ist die GIZ an Simulationsübungen beteiligt, die die ASF und regionale Teiltruppen auf den Ernstfall vorbereiten.

Zu den relevanten Themen gehören dabei die unterschiedlichen Rollen von Frauen und Männern in Konflikten und die Relevanz einer starken Beteiligung von Frauen an Friedensmissionen. Unterstützt wurde auch die Formulierung und Fortentwicklung des AU-Konzeptes zum Schutz der Zivilbevölkerung sowie dessen Anwendung bei laufenden Missionen.

Die bisherige Erfahrung lehrt, dass konstruktive  Kooperation zwischen zivilen Beratern und Militärs gelingt, wenn sich beide Seiten entsprechend aufeinander einlassen. GIZ-Fachkräften fiel es anfangs schwer, sich auf die militärisch geprägte Kultur vieler Partnerorganisationen mit ihren Befehlsketten einzustellen. Armeeangehörige wiederum sind nicht gewohnt, Rat von Experten anzunehmen, deren Autorität auf fachlicher Kompetenz und nicht auf hierarchischem Rang beruht. Es kommt darauf an, sensibel miteinander umzugehen und Vertrauen aufzubauen.

Die Vermittlung von Wissen über Themen wie Geschlechtergleichberechtigung, Menschenrechte und Schutz der Zivilbevölkerung, aber auch die Beratung in Managementfragen gelingt auf dieser Basis meist gut. Führungskräfte von AU und Regionalorganisationen sowie Polizisten und Militärs zeigen sich in der Regel offen und interessiert, sobald eine Vertrauensbasis geschaffen ist.  


Große Herausforderungen

Sicherlich wird der künftige Erfolg der APSA auch von der Personalausstattung abhängen. Die Apparate der AU und der Regionalorganisationen sind – etwa im Vergleich mit EU oder NATO – extrem unterbesetzt. So kam beispielsweise der Aufbau der zivilen ASF-Komponente jahrelang kaum voran, weil die AU für diese Aufgabe keine verantwortliche Person hatte. Seit die AU-Abteilung für Friedenseinsätze 2010 begann und ein kleines, aber kompetentes Team damit beschäftigte, ist jedoch eine beachtliche Dynamik entstanden.  

Wer die Leistungen von AU und Regionalorganisa­tionen fair bewerten will, muss berücksichtigen, dass sich deren Spitzenleute nie völlig auf den Aufbau von APSA und ASF konzentrieren konnten. Sie mussten nämlich immer wieder auf aktuelle Krisen wie jüngst in Mali reagieren – und das haben sie auch getan. In 28 von insgesamt 38 afrikanischen Ländern, in denen es in den letzten fünf Jahren zu gewaltsamen Konflikten kam, haben die überstaatlichen Organisationen des Kontinents krisenpräventiv oder konfliktbearbeitend eingegriffen. Auch wenn die Bemühungen nicht immer erfolgreich waren, beweisen sie doch, dass afrikanische Staaten ihr Friedens- und Sicherheitsmandat ernst nehmen.

Meist ging es um krisenpräventive Diplomatie und Konfliktmediation. Tatsächlich sind AU und Regionalorganisationen bereits heute wichtige Akteure der Krisenbewältigung in Afrika, obwohl das APSA-Instrumentarium noch gar nicht vollständig steht. Die Weltpresse nimmt das aber kaum wahr, was auch daran liegt, dass sich Militäreinsätze für ihre Berichterstattung besser eignen als beispielsweise diskrete Verhandlungen.

Beachtlich ist aber auf jeden Fall, dass die AU, die Regionalorganisationen und viele Mitgliedsländer kontinuierlich am Aufbau der APSA arbeiten. Sie verdienen dabei Unterstützung.

 

Bernadette Schulz leitet das GIZ-Vorhaben „Regionale Koordination für Frieden und Sicherheit in Afrika“.
bernadette.schulz@giz.de

Ruth Langer ist Mitarbeiterin in demselben Vorhaben. Beide Autorinnen vertreten hier ihre persönliche Meinung.
ruth.langer@giz.de

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