Geschlechterbeziehungen

Wo Opfer zu Tätern gemacht werden

Viele Gesetze in Pakistan stammen aus der Kolonialzeit. Das aktuelle Strafgesetz wurde 1860 vom Britischen Empire eingeführt. Er beinhaltet mehr als 500 Vorschriften, auch dazu, was als Vergewaltigung zählt, und wie sie zu bestrafen ist.
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Das Vergewaltigungsrecht wurde mehrfach angepasst, besonders drastisch unter der Militärdiktatur von Mohammed Zia-ul Haq (1977 bis 1988). Doch in den vergangenen 15 Jahren verbesserte sich die Lage (siehe Hauptartikel).

In Südasien bilden die Hijras – zumeist physisch männlich Geborene, die eine weibliche Geschlechtsidentität haben – historisch ein drittes Geschlecht. Viele leben das aus, was in der westlichen Kultur als homosexuelle Praktiken bezeichnet wird. Im Jahr 1871 ächtete die britische Kolonialmacht diese Gruppe und machte Homosexualität illegal. Die Strafen für „Sodomie” und „widernatürliche Handlungen” waren teils hart. Diese Begriffe umschrieben sexuelle Aktivitäten jenseits der peno-vaginalen Penetration, ob einvernehmlich oder erzwungen. Als Vergewaltigung galt allerdings ausschließlich die peno-vaginale Penetration einer Frau durch einen Mann. Innerhalb der Ehe galt sie als unmöglich, da man das Einverständnis der Frau grundsätzlich voraussetzte.

Das britische Recht sollte explizit die viktorianische Moral stärken. Tatsächlich aber gab es mächtigen Männern schlicht das Recht, zu tun, was sie wollten. Sie wussten, dass sie niemand vor Gericht bringen würde – allein schon aus Scham.

Pakistan hielt sich jahrzehntelang an solche kolonialen Normen und erkannte nur das männliche und das weibliche Geschlecht an. Das änderte sich 2009, als ein Hoher Gerichtshof die Grundrechte der Hijras anerkannte. Im Jahr 2017 wurden Gesetze zu ihrem Schutz verabschiedet (siehe Mahwish Gul auf www.dandc.eu). Leider werden Hijras weiter marginalisiert und ausgebeutet. Dennoch belegen die Änderungen im Recht, dass Pakistan Fortschritte macht.

Nicht alle Probleme sind der früheren Kolonialmacht anzulasten. Von den späten 1970er bis in die späten 1980er Jahre ging es General Zia-ul-Haq darum, die „Islamisierung” zu stärken (Maryam Khan gab 2015 eine Einschätzung islamistischer Tendenzen in Pakistan auf www.dandc.eu). Seine „Hadood“-Verordnung von 1979 erschwerte es Vergewaltigungsopfern noch mehr, Anzeige zu erstatten. Um einen Vergewaltiger schuldig zu sprechen, brauchte es vier männliche Zeugen. Fehlten diese, konnte ein Opfer sexuellen Missbrauchs wegen Ehebruchs belangt werden – nach Hadood-Recht auch eine Straftat. So war das Muster, Opfer sexualisierter Gewalt zu Tätern zu machen, zu kaum einer Zeit stärker ausgeprägt als unter Zia.


Marva Khan ist Assistenzprofessorin für Recht an der LUMS (Lahore University of Management Sciences) und Mitbegründerin des Pakistani Feminist Judgments Projects.
marva.khan@lums.edu.pk