Editorial

Neue Wege

Die Grüne Revolution ist in Verruf geraten. Verbraucher in reichen Ländern verbinden sie mit großen Monokulturen, dem ungebremsten Einsatz von giftigen Pestiziden und energieintensivem Kunstdünger sowie der grausamen Massenhaltung von Tieren. Bedauert wird zudem, dass kleine Familienbetriebe verschwinden und riesige, flurbereinigte Felder übrigbleiben.

Diese Kritik ist fundiert, denn die Intensivlandwirtschaft ist ökologisch problematisch. Sie übersieht aber wichtige Erfolge. Nordamerika, Europa und Japan verfügen über Lebensmittel in Hülle und Fülle. Hochproduktive Agrarbetriebe erzeugen Überschüsse, die nicht nur exportiert werden, sondern deren Ausfuhr skandalöserweise teils sogar noch staatlich bezuschusst wird.

Dank Agrarmodernisierung und höherer Einkommen wurde derweil die Infrastruktur im ländlichen Raum ausgebaut, sodass sich die Wirtschaft vielerorts diversifizieren konnte. Alternativen zum beschwerlichen und oft kargen Broterwerb auf kleinbäuerlichen Höfen sind entstanden. Früher wurden die Kinder deutscher Bauern selbst Bauern. Sie hatten keine Wahl. Auch heute sind die Optionen, zwischen denen Jugendliche im Schwarzwald oder in der Eifel entscheiden können, geringer als die der Altersgenossen in Stuttgart oder Köln – aber im historischen Vergleich ist die Bandbreite ihrer Bildungschancen riesig. Die Moderne, die Menschen erlaubt, das Althergebrachte in Frage zu stellen und ihr Schicksal selbst zu gestalten, ist längst in der deutschen Provinz angekommen.

Aus solchen Gründen erscheint die Grüne Revolution vielen Entscheidungsträgern in armen Ländern attraktiv. Besonders wichtig – zumal in Zeiten steigender Lebensmittelpreise auf dem Weltmarkt – ist die Hoffnung, die heimische Produktion werde für die eigene Bevölkerung ausreichen. Es stimmt ja, dass in China, Indien und anderen asiatischen Ländern die Fähigkeit zur Selbstversorgung das Ergebnis der Grünen Revolution war. Folglich halten Politiker dort tendenziell an dem Erfolgsrezept fest, und die Regierungen der Länder, die auf Lebensmittelimporte angewiesen sind, orientieren sich ebenfalls daran.

Die Sache hat aber einen Haken: Das Modell der Grünen Revolution ist nicht nachhaltig, es stößt auch in Asien schon an Wachstumsgrenzen. Besonders bedrohlich ist die Erosion der genetischen Vielfalt. Die Pflanzenzucht braucht einen möglichst großen Vorrat an vererbten und vererbbaren Eigenschaften. Ohne diese Ressourcen ist auch die Gentechnik ohnmächtig. Die möglichst intensive Nutzung einiger weniger, einförmiger Hochertragssorten beschleunigt aber den Verlust der agrarbiologischen Diversität.

Die Menschheit braucht ein neues Modell. Ohne kommerzielle Agrarindustrie wird es kaum gehen, und das schließt Hochertragssorten samt Sortenschutz ein. Die Grüne Revolution, wie wir sie kennen, darf aber nicht die Norm sein. Sie ist nicht die Lösung – sie ist Teil des Problems. Globales Umdenken hängt davon ab, dass die Nationen, deren Wohlstand internationales Leitbild ist, ein attraktiveres Modell vorleben. Je besser es ihnen gelingt, alternative Agrarproduktion zu etablieren, umso schneller wird es möglich sein, auch in armen Ländern neue Wege zu gehen.

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