Die Menschen im Blick

Entwicklung zielt auf Wandel ab, Religion auf Ewigkeit. Wer Entwicklungspolitik betreibt, beruft sich meist auf rationale Wissenschaften wie Volkswirtschaftslehre oder Soziologie. Geistige Führer zitieren heilige Schriften und interpretieren diese oft erstaunlich widersprüchlichen Verse immer wieder neu. Planer in Politik und Wirtschaft wollen irgendwann Ergebnisse sehen. Gott bleibt unsichtbar, erfahrbar nur für Gläubige.

Dennoch sind Entwicklung und Religion nicht unvereinbar. Alle großen Glaubensrichtungen betonen Frieden und Verständigung, ohne die erfolgreiche Entwicklung unmöglich ist. Christentum wie Islam betonen die Gleichheit der Menschen und die Sorge um Arme und Schwache. Manche Fortschrittsvorstellungen stimmen also mit religiösen Werten überein. Das ist leider nicht immer so. Medizinisch gesehen muss die Ausbreitung von HIV/Aids gestoppt werden. Doch weil viele religiöse Führer Verhütung und außerehelichen Sex inakzeptabel finden, predigen sie gegen die Kondombenutzung.

Es gibt noch finstere Aspekte. Trotz der Betonung des Friedens im Islam behaupten Jihadisten, sie führten einen Heiligen Krieg – in Afghanistan, Irak, Tschetschenien oder Terroranschlägen. Nicht alle, aber einige evangelikale Eiferer in den USA darauf ein und fordern Vergeltung. Ihre Sehnsucht nach der Apokalypse und blutigem Entscheidungskampf flößt aufgeklärten Menschen ähnlich Furcht ein wie die Gewaltbereitschaft von Al Kaida.

Solcher Fanatismus ist unakzeptabel. Regierungs- müssen von Religonsangelegenheiten klar getrennt werden. Das Prinzip des Säkularismus wurde in Europa nach schrecklichen Erfahrungen erdacht. Nach der Reformation hatte der Versuch, sich gegenseitig verschiedene Varianten des Christentums aufzudrücken, zu Mord und Totschlag geführt. Eine Lehre daraus war – auch für Gläubige –, dass die Religion riskiert, sich mit Blut zu besudeln, wenn sie im weltlichen Alltag zu dogmatisch durchgesetzt wird. In diesem Sinne ist Säkularismus kein Ausdruck von Religionsverachtung, er zielte ursprünglich darauf, den Glauben vor Korruption zu bewahren.

Leider kann sich unverantwortliche Indentitätspolitik allzuoft der Religionen bedienen. Anführer einer Bevölkerungsgruppe wettern gegen andere Gemeinschaften, meist Minderheiten. Beispiele bietet Südasien. Britisch-Indien wurde nach dem gewaltfreien Unabhängigkeitskampf in zwei Staaten geteilt. Das Ergebnis waren Unruhen mit rund 500 000 Toten. Millionen verloren ihr Zuhause. Zu Opfern wurden Hindus ebenso wie Moslems. Vermeintlich religöise Gewalt bricht weiterhin allzu oft aus, aber es wäre Unfug, in heiligen Schriften nach den Ursachen zu suchen. Es geht um skrupellose Machtpolitik.

Religionen können für solche Zwecke missbraucht werden, weil sie das Weltbild von Milliarden Menschen prägen und um Hoffnung bereichern. Das gilt besonders in armen und von Konflikten geplagten Ländern. Wer dort Veränderungen anstrebt, muss den Glauben der Menschen ernst nehmen. Sonst kann von von Partizipation, Demokratie und lokaler Eigenverantwortung keine Rede sein.

Konfessionelle Entwicklungsorganisationen können dabei hilfreich sein. Sie arbeiten zum Teil sehr professionell und erfolgreich. Leider verfolgen aber einige der großen kirchlichen Hilfswerke in Euroa inzwischen einen so irdischen Ansatz, dass sie sich selbst schwer tun, auf evangelikalen Fundamentalismus, rigide katholischen Doktrinen oder gar die Normen anderer Religionen kompetent zu reagieren.

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