Weltpolitik

Steuergeld für Nachhaltigkeit

Die SDGs bieten gute Antworten auf globale Herausforderungen. Um entsprechende Politik zu implementieren, müssen Staaten ausreichend Steuergeld einnehmen.
Kartoffelhändler an der Peripherie von Dhaka: Stadtentwicklung darf destruktive Strukturen nicht perpetuieren. dem Kartoffelhändler an der Peripherie von Dhaka: Stadtentwicklung darf destruktive Strukturen nicht perpetuieren.

Die Menschheit steht aus Sicht von Joyeeta Gupta von der Universität vor vier großen Umwälzungen:

  • Wegen Klimawandels und Artenschwunds muss sich das wirtschaftliche Leben grundlegend ändern.  
  • Die globale Finanzkrise hat weitreichende sozioökonomische Folgen, die noch nicht vollständig klar sind.
  • Frustration und Enttäuschung haben in vielen Ländern autoritärem Populismus einen Aufschwung verschafft, der demokratische Grundlagen in Frage stellt. Menschenverachtende xenophobe Agitation nutzt derweil Angst vor Migration aus.   
  • Technologische Innovationen – vor allem künstliche Intelligenz und Roboter – werden ungeahnte Folgen auf den Arbeitsmärkten haben und Probleme der sozialen Inklusion verschärfen.

Die große Frage ist, wie diesen Trends zu begegnen ist. Aus Sicht von Achim Steiner, dem Administrator des UN-Entwicklungsprogramms (UN Development Programme – UNDP), bilden die Nachhaltigkeitsentwicklungsziele (Sustainable Development Goals – SDGs) dafür eine gute multilaterale Agenda. Die UN hätten sie in einem „erstaunlich kohärenten Prozess“ vereinbart. Es sei die erste internationale Entwicklungsagenda, die alle Länder und nicht nur die ärmeren betrifft.

Manche Kritiker bemängeln, die SDGs seien freiwillig. Andere sagen, sie seien nicht genügend fokussiert. Steiner warnt aber davor, die SDGs schlechtzureden. Er betont, sie wichen fundamental von früheren Entwicklungsagenden ab, die bis zu den 1980er Jahren allzu staatszentriert und danach allzu marktzentriert gewesen seien. Anders als der Washington Consensus betonten die SDGs gemeinsamen Erfolg statt Wettbewerb und seien darauf ausgerichtet, „7 bis 10 Millionen zu befähigen, kollektiv und solidarisch zu handeln“, sagt der UNDP-Spitzenmann. 

Wenn die SDGs erreicht werden sollen, verdienten Städte besondere Aufmerksamkeit, sagt derweil Susan Parnell von der Universität Kapstadt. Ballungsräume seien nicht nur Orte und Zentren des Wandels, sie böten auch Pfade zum Wandel. Da Städte in Entwicklungsländern schnell wachsen und ein immer größerer Anteil der Weltbevölkerung dort lebt, müssten dort nun nachhaltige Infrastruktur und langfristig angelegte soziale Institutionen entstehen. Sie warnt, falsche Entscheidungen würden nichtnachhaltige Lebensweisen perpetuieren. Nötig seien Lösungen auf internationaler, nationaler und subnationaler Ebene.   


Handlungsfähige Staaten

Regierungen brauchen Geld, um Politik wirksam umzusetzen. In vielen Entwicklungsländern sind Steuerrecht und Finanzbehörden aber unzureichend. Das zu ändern ist eine globale Aufgabe.

Mick Moore von der University of Sussex zufolge arbeitet die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Co-operation and Development – OECD) seit der globalen Finanzkrise ernsthaft an einer Reform des internationalen Steuersystems und der Eindämmung illegitimer Finanzströme. Als Verband der Industrieländer habe sie zwar für die Formulierung globaler Strategien nur begrenzte Berechtigung. Sie wisse das aber und wolle deshalb andere Länder einbeziehen.

Illegitime Finanzströme betreffen Entwicklungsländer in besonderem Maße. Moore beklagt deshalb, dass sie bislang keine Bündnisse gebildet hätten, um in die Steuerdebatte einzusteigen. Folglich habe die OECD bisher auch nichts konzipiert, was sie voranbringen würde. Mangels der nötigen IT-Systeme könnten sie beispielsweise nicht am automatisierten Datenaustausch teilnehmen, den die reichen Länder einführen. 

Das globale Steuersystem ist kompliziert und unzusammenhängend. Es beruht auf nationalem Recht und bilateralen Verträgen. Es gibt für das Thema kein internationales Steuerabkommen und keine internationale Institution. Odd-Helge Fjeldstad vom norwegischen Chr. Michelsen Institute weist darauf hin, dass ein riesiger Wirtschaftszweig aus Banken, Rechnungsprüfern und Vermögensverwaltern Kunden helfe, Schlupflöcher zu nutzen. Er meint, ein internationales Steuerabkommen wäre nützlich – sei aber auch unwahrscheinlich. 

Der informelle Sektor, der in vielen Entwicklungsländern sehr groß ist, lässt sich kaum besteuern, dennoch urteilen die Wissenschaftler, die Steuereinnahmen in der formal geregelten Wirtschaft ließen sich schnell steigern, sofern der politische Wille dazu vorhanden sei. Catherine Ngina Mutava von der Strathmore University in Nairobi findet, afrikanische Staaten müssten endlich ihre Hausaufgaben machen. Leider interessierten sich Spitzenpolitiker aber oft weniger für die Leistungsfähigkeit der Finanzbehörden als für Schlupflöcher, welche die reichsten Eliten nutzen – schließlich gehörten sie oft selbst dazu.

Mutava nennt ein aktuelles Beispiel. Kurz vor den neulich abgehaltenen Wahlen peitschte die Regierung schnell ein Gesetz durch, um in Kenia eine Steueroase zu schaffen. Für Finanzinstitute, die dort agieren, gelten nationale Gesetze nicht – und sie unterliegen auch nicht der Zentralbankaufsicht. Im Aufsichtsrat dieser Steueroase sitzen Präsident und Vizepräsident. Solch oligarchische Strukturen seien in Afrika nicht ungewöhnlich.   


Das skandinavische Modell 

In Skandinaviens egalitären Gesellschaften laufen die Dinge anders. Die Vorstellung, diese Länder verteilten mit Steuern Einkommen rigoros um, sei aber falsch, sagt Karl Ove Moene von der Universität Oslo. Tatsächlich weiche das Vor-Steuer-Einkommen der Bürger weniger stark voneinander ab als in anderen Weltgegenden. In Skandinavien arbeiteten nämlich die Erwerbstätigen, die am meisten verdienten, mit Technologien, die nur rund 110 Prozent produktiver seien als die, welche ihre geringstverdienenden Landsleute verwendeten. In den USA betrage die Kluft dagegen 330 Prozent und in Indien sogar enorme 2260 Prozent.

Die Steuerpolitik ist auf andere Weise wichtig, wie Moene bei der EADI Nordic Conference im August in Bergen ausführte, welche die örtliche Universität, der Norwegische Verein für Entwicklungsforschung und EADI (European Association of Development Research and Training Institutes) veranstalteten. Ausreichend finanzierte Staaten schüfen soziale und materielle Infrastruktur, dank deren Menschen Fähigkeiten entwickeln und hohe Einkommen erzielen können.

Orthodoxen Ökonomen wirft Moene vor, nur die Kosten des Sozialstaats zu beachten. Er senke aber aus Sicht vieler Menschen die Kosten wichtiger Dienstleistungen. Das mache sie produktiver und lasse sie das Wachstum ihrer Volkswirtschaften antreiben. Klug regulierter Kapitalismus gedeiht aus Moenes Sicht gerade deshalb, weil er so Ungleichheit reduziert. Als Beleg nennt er Skandinavien, dessen Länder sich erwiesenermaßen innovativ auf weltwirtschaftlichen Wandel einstellten.


Link
EADI Nordic Conference 2017:

http://eadi-nordic2017.org/

Videos von Plenarveranstaltungen:   
https://www.youtube.com/watch?v=ATZlhb85lps (mit Gupta, Steiner, Parnell),
https://www.youtube.com/watch?v=ooPQn2RIip0&feature=share  (mit Moore, Fjeldstad, Mutava)
https://www.youtube.com/watch?v=ARqAFM_W7oo (mit Moene)

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