Mikrofinanz

Knifflige Aufgaben

Mikroversicherungen sind ein sinnvolles Mittel, um arme Menschen vor ernsten Lebensrisiken zu schützen. Aber wenn Policen nicht solide konzipiert und ordentlich verwaltet werden, droht enormer Schaden. Das Kundenvertrauen darf nicht zerstört werden.

[ Von Dubby Mahalanobis ]

Mikrofinanzinstitutionen (MFIs) interessieren sich zunehmend für Mikroversicherungen. Die Gründe sind offensichtlich. Einerseits müssen MFIs, die ernsthaft an Armutsbekämpfung interessiert sind, auch die Risiken für Gesundheit und Leben der Ernährer einbeziehen. Sonst stürzen Krankheiten, Unfälle und Todesfälle ganze Familien zurück in die wirtschaftliche Not.

Gleichzeitig wollen viele MFIs mittels Diversifizierung ihrer Dienstleistungen wachsen. Beide Ziele sind sinnvoll und schließen sich nicht aus.

Aber die Dinge sind nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick aus­sieht. Mikrover­si­cherung unter­schei­det sich stark von Mikrospar- oder Mikrokreditprogrammen. Versicherungsmathematik basiert auf Wahrscheinlichkeitskalkulationen. Sie ist komplexer als Bankenmathematik, die vor allem auf der Berechnung von Zinsen beruht.

Die Verkaufspsychologie ist ebenfalls anders. Bankkunden haben eine Vorstellung davon, was sie mit dem Geld anfangen können. Um aber Menschen von der Investition in eine Versicherung zu überzeugen, muss man sie dazu bringen, sich mit etwas auseinanderzusetzen, das möglichst nicht eintreten soll. Arme Menschen geben zudem ungern Geld aus, wenn das keinen unmittelbaren Nutzen hat.

Versicherungen betreuen viele Kunden. Sie verteilen die finanziellen Konsequenzen eines bestimmten individuellen Risikos, das sehr wahrscheinlich nicht eintrifft, aber im Ernstfall katastrophale Folgen hat, auf viele Schultern. Im Gegensatz zu Bankkunden wissen Versicherungskunden nicht, ob sie die Versicherung jemals in Anspruch nehmen werden; aber wenn es ganz schlimm kommt, sind sie von ihr abhängig.

Konträre Kulturen

MFIs sind normalerweise zu klein, um eine eigene Versicherung aufzubauen. Sie erreichen nicht genügend Kunden. Meistens arbeiten sie daher mit etablierten Versicherungsunternehmen aus dem formalen Sektor zusammen.

Dabei darf man die kulturellen Unterschiede zwischen beiden Akteurstypen nicht unterschätzen. MFIs arbeiten typischerweise in abgelegenen ländlichen Gebieten oder Slums, während die Büros der Versicherungsunternehmen zumeist in städtischen Geschäftsvierteln mit zuverlässiger Infrastruktur liegen. In vielen Entwicklungsländern sind die Kunden der MFIs Analphabeten. Oft ist es für sie sehr schwer, offizielle Dokumente – wie etwa Geburts- oder Heiratsurkunde, Landtitel, Totenschein – zu bekommen. Die Versicherungen dagegen haben meist mit bessergestellten Kunden zu tun. MFI-Kunden können sich nur kleinere Beiträge leisten und verstehen oft die Ausnahmen im Kleingedruckten einer Versicherungspolice nicht. Versicherungen neigen aber dazu, ihr eigenes Risiko (und entsprechend die Beiträge ihrer wohlhabenden Kundschaft) klein zu halten, indem sie solche Ausnahmen definieren.

Die kulturellen Unterschiede sind bedeutend – und die MFIs müssen damit umgehen. Neuere Zahlen aus Ghana, Uganda und den Philippinen zeigen, dass bestimmte typische Probleme immer wieder auftreten: Versicherungen weigern sich zu zahlen, weil
– es keine Todesurkunde gibt,
– sie auf irgendeine „vorher existierende“ Bedingung verweisen, von der sie nicht informiert wurden,
– Beiträge angeblich oder tatsächlich nicht regelmäßig gezahlt wurden oder
– die Namen der begünstigten Verwandten nicht korrekt in die Versicherungspolice eingetragen wurden.

Versicherungsleistungen werden meist in Krisenmomenten in Anspruch genommen. Der Versicherungsnehmer muss zum Beispiel den Tod einer geliebten Person verarbeiten und braucht obendrein Geld. Die Beerdigung muss organisiert werden. In solchen Zeiten sind Menschen kaum in der Lage, sich mit einer großen Organisation anzulegen.
Wenn es Probleme mit der Versicherung gibt, richtet sich der Ärger gegen die MFI, die die Versicherung verkauft hat. Zudem verbreiten sich solche Informationen schnell, so dass die Glaubwürdigkeit der MFI plötzlich in Frage stehen kann. Wiederholen sich solche Worst-Case-Szenarien, wird es unmöglich, das Mikroversicherungsgeschäft in dieser Gegend weiter zu betreiben.

MFIs müssen beachten, dass Versicherungen nach dem Prinzip „schuldig, bis die Unschuld bewiesen ist“ arbeiten. Um sich vor Betrug zu schützen, prüfen sie Ansprüche streng. Wenn Mikroversicherungen gut laufen sollen, müssen diese Dinge sorgfältig gehandhabt werden. MFIs müssen alle etwaigen Probleme von Anfang an bedenken.

Wenn es sehr schwierig oder unmöglich ist, offizielle Dokumente vorzulegen, dürfen Lebensversicherungspolicen nicht darauf basieren. Natürlich gibt es Alternativen zu offiziell registrierten Todesurkunden. Die Zeugenaussage eines Mullah, eines Priesters oder eines anderen religiösen Führers kann ein Ersatz sein – oder auch die eines kommunalen Amtsträgers. Diese Alternativen muss das Versicherungsunternehmen akzeptieren. Zudem sollten keine Ausnahmeregelungen für vorherige Bedingungen im Vertrag stehen. Zumindest müssen solche Dinge allen Beteiligten in der örtlichen
Landessprache klar verständlich dargelegt werden. Beitragszahlungen müssen genau dokumentiert werden.

Noch komplizierter als Lebensversicherungen sind Krankenversicherungen. Unstimmigkeiten darüber, ob jemand tatsächlich krank und welche Art von Behandlung angemessen ist, sind geradezu programmiert. Derlei ist schwerer zu beurteilen als die Frage, ob jemand noch lebt oder nicht.

Selbst wenn die Versicherung zahlt, kann es Probleme geben. Geld kann nicht einfach auf das Bankkonto der Familie überwiesen werden, wenn die Familie keines hat. Mitarbeiter der MFI müssen also das Geld übergeben – und könnten versucht sein, einen Teil davon abzuzweigen. Genauso können ihnen aber auch Angehörige des Verstorbenen das nur vorwerfen. MFI-Mitarbeiter tun also gut daran, Versicherungsgelder vor den Augen der Nachbarn zu übergeben.

Diese Beispiele zeigen, dass der Vertrieb von Mikroversicherungspolicen für MFIs knifflig ist. Ihre Mitarbeiter sind normalerweise in der Lage, Kreditraten und Spargelder einzusammeln. Aber der Bankeinzug von Versicherungsbeiträgen muss über die Bedürfnisse der MFI hinaus zusätzlich dokumentiert werden, weil das die Versicherungsgesellschaft fordert.

Zudem müssen die Mitarbeiter vor Ort auch andere Dinge im Auge behalten. Zum Beispiel müssen sie der Versicherung die Geburt eines Kindes melden, weil es ein potentieller Begünstigter ist. Derlei muss sorgfältig und kontinuierlich geschehen, egal wie häufig das MFI-Personal wechselt.

Wenn eine MFI beginnt, Versicherungsprodukte anzubieten, führt das erfahrungsgemäß dazu, dass die Mitarbeiter vor Ort Coaching brauchen und sorgfältiges Monitoring nötig wird. Darum muss sich das Management kümmern. Schwierig ist daran, dass niedrige Beiträge nur möglich sind, wenn der Verwaltungsaufwand minimal bleibt. Es kommt also darauf an, alles möglichst einfach zu gestalten. Das ist aber leichter gesagt als getan.

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