Gerald Knauf, Forum Umwelt und Entwicklung

„Ein großes Potenzial“

Saatguthersteller und Chemiekonzerne frohlocken: Sie rechnen mit satten Gewinnen, wenn der Biotreibstoff-Boom anhält und die Nachfrage nach ihren Produkten steigt. Doch auch die Entwicklungsländer können profitieren. Sie sollten aber nicht wie Brasilien auf große Exportmärkte spekulieren, sagt Gerald Knauf, der sich seit Jahren mit Bioenergie beschäftigt. Der Aufbau einer Biosprit­industrie für den heimischen Markt berge die größten Möglichkeiten und die geringsten Risiken.

Jacques Diouf, Chef der UN-Ernährungsorganisation FAO, sagt, Biotreibstoffe könnten in den Entwicklungsländern eine Renaissance der Landwirtschaft bringen. Sehen Sie das auch so?
Da muss man stark differenzieren. Für einige Regionen mag das zutreffen. Die Bauern in Entwicklungsländern leiden ja seit Jahrzehnten an den subventionierten Agrarexporten der reichen Länder. Denken Sie nur an den Ursprung der Tortilla-Krise in Mexiko, wo durch ein Freihandelsabkommen die einheimische Maisproduktion durch Billigexporte aus den USA vollständig zum Erliegen kam. Biotreibstoffe bieten die Aussicht, dass Preise für Agrargüter wieder steigen und sich den Landwirten in den armen Ländern neue Märkte eröffnen. Für Länder mit fruchtbaren Böden wie Senegal und Kenia ist das auf jeden Fall eine interessante Perspektive.

Was sind die Risiken?

Probleme gibt es überall dort, wo Bioenergie in großem Stil vor allem für den Export angebaut wird. Wo riesige Monokulturen entstehen, da wird es sehr wahrscheinlich soziale Probleme wie Verdrängung und Enteignung geben, die die Menschen vom Land in die Städte treiben.

Brasilien ist also kein gutes Vorbild?

Die Entwicklung in Brasilien ist vielschichtig. Der Zuckerrohranbau für die Ethanolproduktion wurde dort in den letzten Jahren dramatisch ausgedehnt. Die Regierung setzt ganz klar auf den Export. Wenn Europa und die USA ihre Märkte für brasilianisches Ethanol irgendwann öffnen sollten, dann gibt es kein Halten mehr. Dann wären sicherlich auch ökologisch sensible Gebiete zunehmend betroffen. Nicht unbedingt in Amazonien, wo gar kein Zuckerrohr angebaut wird, wohl aber im Cerrado und im atlantischen Regenwald, wo es ebenfalls ökologisch wichtige Regionen mit hoher Artenvielfalt gibt. Die brasilianische Regierung erschließt bereits im großen Stil neue Flächen.

Lohnt sich denn der Anbau ohne Marktöffnung der reichen Länder?

Das ist ja das Verblüffende: Die meisten Entwicklungsländer produzieren derzeit für den heimischen Markt. Noch wird Biotreibstoff kaum international gehandelt. Und das wird sich in nächster Zukunft auch nicht wesentlich ändern. Die Länder setzen zu Hause auf Biotreibstoffe, weil der Ölpreis so stark gestiegen ist. Zudem müssen sie die Rohstoffe nicht importieren. Und drittens ist die Technologie zur Produktion von Biokraftstoffen mittlerweile ziemlich ausgereift. Wenn Brasilien zum Beispiel Senegal beim Aufbau einer Biotreibstoffindustrie hilft, dann passiert das auf viel höherem technologischen Niveau als in Brasilien vor zwanzig Jahren.

Das ökonomische Potenzial liegt also vor allem im Aufbau einer Biotreibstoffindustrie für den Eigenbedarf.

Genau. Darin sehe ich die größten Möglichkeiten und gleichzeitig die geringsten Risiken. Die heimische Ökonomie ist entscheidend. Natürlich müssen auch hier Kriterien beachtet werden, etwa dass die lokale Bevölkerung an der Wertschöpfung teilhat. Wenn das gelingt, dann hat die Bioenergie ein großes Potenzial, weil sie in den ländlichen Regionen wächst, die lange sträflich vernachlässigt wurden.

Aber wenn die rosigen Aussichten für die Landwirtschaft in armen Ländern beschworen werden, wird doch meistens an die Exportmärkte gedacht?

Natürlich gibt es in einigen Ländern den Wunsch, groß in den Export einzusteigen, weil Devisen winken. Aber das ist eben mit den bereits erwähnten sozialen und ökologischen Risiken verbunden. Außerdem stellt sich die Frage, wer an solchen Exporten interessiert ist. Das sind zum Beispiel energieintensive Wirtschaftsregionen wie Europa, die auf die Importe angewiesen sind und ihr Interesse entsprechend deutlich machen.

Könnte man die unerwünschten Auswirkungen durch internationale Standards für die Biotreibstoffproduktion verhindern?

Standards und Nachhaltigkeitskriterien sind wichtig und momentan wohl der einzige Weg, großflächigen Anbau sozial- und umweltverträglich zu gestalten. Allerdings stellt sich hier wie auch in anderen vergleichbaren Fällen die Frage, wie in Ländern wie Brasilien oder Indonesien die Einhaltung solcher Kriterien sichergestellt werden kann. Andere mögliche Instrumente sind politische Vorgaben oder Anreize. Die globale Diskussion darüber, wie Nachhaltigkeitskriterien verwirklicht werden können, ist offen.

Kritiker sagen, die Produktion von Biotreibstoffen – ob für den einheimischen Markt oder für den Export – geht langfristig immer zu Lasten von Kleinbauern, weil sich der Anbau erst ab einer bestimmten Größenordnung rentiert. Kleinbauern würden in größere Betriebe gedrängt oder müssten als Vertragsbauern arbeiten. Ist das ein Problem?

Ich denke schon, dass eine gewisse Form der kleinbäuerlichen Landwirtschaft gefährdet ist. Man muss aber prüfen, welche Konsequenzen das im Einzelfall hat. Wenn ein Großkonzern seine Produktionsanlage in eine bestimmte Region setzt und alle Landwirte ringsherum zwangsverpflichtet, dann ist das schlecht. Das wird leider an vielen Orten passieren, und das gibt es ja längst, zum Beispiel im Lebensmittelbereich. Auf der anderen Seite gibt es Möglichkeiten, dass Kleinbauern sich zu Genossenschaften oder ähnlichen Strukturen zusammenschließen, um Märkte zu bedienen und davon zu profitieren. Dafür gibt es viele gute Beispiele, etwa im Fair-Trade-Bereich oder dem Ökolandbau.

Jean Ziegler, der UN-Berichterstatter für das Recht auf Nahrung, warnt, der Biotreibstoff-Boom könnte Hunderttausenden das Leben kosten, weil Nahrungsmittel knapper und teurer würden. Wie groß ist diese Gefahr?

Diese Zahl scheint mir ziemlich aus der Luft gegriffen. Aber natürlich kann es lokal zu Versorgungsengpässen kommen, vor allem wenn die Produktion kurzfristig und großflächig auf Biotreibstoffe umgestellt wird. Das kann so wie zurzeit zu drastischen Preissprüngen bei Nahrungsmitteln führen. Andererseits dürfen wir nicht vergessen, dass Bauern in Entwick­lungsländern jahrzehntelang kaum etwas verdient haben mit Nahrungsmitteln, weil die Preise im Keller waren. Die derzeit steigenden Preise sind ein Anreiz, wieder in die Produktion einzusteigen. Die Gefahr ist ein ständiges Auf und Ab, auf das sich die Armen nur schwer einstellen können. Um das zu vermeiden, müssen vor allem die Industrieländer bei der Förderung von Bioenergie sehr umsichtig vorgehen.

Es gibt den Vorschlag, reiche und arme Länder sollten einen Biotreibstoffpakt schließen: Die Industrieländer verzichten weitgehend auf die Produktion, weil sie ihren Bedarf ohnehin nicht aus eigener Kraft decken können. Stattdessen kaufen sie den Sprit in den Entwicklungsländern, die sich ihrerseits verpflichten, bestimmte soziale und ökologische Standards zu erfüllen. Ist das realistisch?

Das klingt reizvoll, weil in den tropischen Ländern Biotreibstoff viel effizienter produziert werden kann. Ich halte es aber dennoch für keine gute Idee, weil ein solcher Pakt den Produktionsdruck in den Entwicklungsländern stark erhöhen würde – mit allen schädlichen Folgen für die Umwelt und die Nahrungsmittelproduktion. Ich plädiere für eine graduelle Entwicklung des Biotreibstoffsektors, zunächst einmal für heimische Märkte, um eine sozial- und umweltverträgliche Produktion aufzubauen.

Wie groß ist das Potenzial, Biotreibstoff aus Rohstoffen herzustellen, die keine Nahrungsmittel sind?

Das wird ja bereits gemacht, zum Beispiel aus der Jatropha-Nuss. Die Zukunft liegt natürlich in der Holzvergasung und -verflüssigung. Experten sehen darin ein großes Potenzial. Im Moment allerdings rentiert sich das noch nicht, weil ein sehr hoher Energie-Input erforderlich ist. Aber auch für diese zweite Generation von Biotreibstoffen müssten Pflanzen angebaut werden, weil die bestehenden Wälder nicht genug Holz hergeben. Das Problem der Konkurrenz zur Nahrungsproduktion bleibt also bestehen. Auch der Vorteil, dass Holz höhere Erträge pro Hektar bringt, wäre schnell wieder zunichte, wenn der Ethanol-Anteil im Benzin von fünf auf zwanzig oder noch mehr Prozent erhöht wird.

Biosprit-Befürworter weisen darauf hin, dass es in den Entwicklungsländern noch Millionen Hektar ungenutzte Agrarflächen gebe.

Da ist eine Menge Spekulation dabei. Das sind letztlich Hochrechnungen, die von einer europäischen intensiven Landwirtschaft ausgehen und das zum Beispiel auf Afrika übertragen. Es gibt zweifellos ungenutzte Potenziale, aber ich glaube, wenn wir Bioenergie ausbauen wollen, dann müssen wir im Agrarbereich eine Menge ändern. Wir brauchen eine wesentlich nachhaltigere Landwirtschaft, um Spielräume für Bioenergie zu schaffen, wenn wir nicht noch mehr bislang ungenutzte Flächen verlieren wollen. Denken Sie nur an den Fleischkonsum: In Brasilien entfallen etwa einhundert Millionen Hektar auf die Futtermittel- und Fleischproduktion und nur sechs Millionen Hektar auf die Ethanolproduktion. Wenn wir das Problem des weltweit steigenden Fleischkonsums nicht angehen, dann wird es schwer werden, die Bioenergie weiter auszubauen.

Die Fragen stellte Tillmann Elliesen.

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