Interview

„Wir brauchen Fürsprecher“

Das neue Gesetz gegen Homosexualität in Uganda bestraft gleichgeschlechtliche Beziehungen mit einer lebenslänglichen Freiheits­strafe. Evangelikale Fundamentalisten aus den USA haben es ­maßgeblich beeinflusst. Michael N. Kimindu hat als ehemaliger anglikanischer Militärpfarrer aus Kenia dagegen gänzlich andere religiöse Vorstellungen. Er gründete im Jahr 2007 „Other Sheep Africa“ – eine religiöse Gemeinschaft für Lesben, Schwule, Bisexu­elle und Transgender (LSBT). Mit ihr will Kimindu christliche und muslimische Religionsführer für die Lage von Homosexuellen sensibilisieren, wie er Friederike Wyrwich in einem Interview erklärte.
Binyavanga Wainaina, a well-known Kenyan writer, has come out about being gay. picture-alliance/dpa Binyavanga Wainaina, a well-known Kenyan writer, has come out about being gay.

Wie wirkt sich die Situation in ­Uganda auf Ihr Land aus?

Die Kenianer sind über Uganda nicht besonders eingehend informiert. Aber seit der ugandische Präsident Yoweri Museveni das Gesetz gegen Homosexualität unterzeichnet hat, sind eine Reihe von LSBT nach Kenia geflüchtet. Einige wurden vom UNHCR aufgenommen. Viele Flüchtlinge hoffen, dass sie in Europa, den USA oder Kanada Asyl erhalten werden.

 

Warum wollen sie nicht in Kenia bleiben?

Einige Mitglieder des kenianischen Parlaments finden die ugandische Politik in Sachen Homosexualität gut. Deshalb haben sie angefangen zu fordern, dass unser Land sogar noch strengere Gesetze als die in Uganda erlässt. Daher sind alle LSBT, die in Kenia sichtbar als solche leben, prinzipiell gefährdet. Ein Flüchtling hat mir erzählt, dass er zusammen mit zwei Freunden in die Grenzstadt Busia von Uganda nach Kenia gekommen ist. Er wohnt dort bei Verwandten auf der kenianischen Seite. Die wissen nichts davon, dass er und seine Freunde schwul sind. Bislang sind LSBT in Kenia weder angegriffen noch bedroht worden, aber man muss vorsichtig sein. Die Lage ist auch in Kenia schwierig.

 

Gibt es Unterstützer-Netzwerke für LSBT in Kenia?

Die „Gay and Lesbian Coalition of Kenya" (GALCK) ist sehr bekannt und tut ihr Möglichstes, um Flüchtlinge in Empfang zu nehmen und an das UNHCR weiterzuleiten. Das UNHCR kann ihnen dann wiederum weiterhelfen, in westliche Länder zu reisen.

 

Kurz nachdem Museveni das Gesetz unterzeichnet hat, wurden die Namen und einige Fotos von 200 angeblichen Homosexuellen in einem Boulevardblatt veröffentlicht. Die Situation in Uganda wirkt recht explosiv.

Ja, sie ist definitiv gefährlich. Ob in Uganda oder Kenia – alle haben mit angehaltenem Atem darauf gewartet, wie der ugandische Präsident handelt. Wir wussten, dass viele Menschen in Gefahr sein würden, wenn er das Gesetz unterzeichnet. Nicht nur LSBT, sondern alle, die sie unterstützen. Nicht jeder Mensch hat jetzt den Mut, in dem Land zu bleiben. Außerdem wurde der Tod von David Kato nicht vergessen, einem LSBT-Aktivisten, der im Jahr 2011 in Kampala auf grausame Weise ermordet wurde. Die Menschen haben wirklich jeden Grund, Uganda jetzt zu verlassen.

 

Binyavanga Wainaina ist ein bekannter kenianischer Schriftsteller, der im Januar ein „verlorenes Kapitel" zu seiner Autobiografie im Internet veröffentlicht hat. Der Titel: „I am a homosexual, mum" („Ich bin ein Homosexueller, Mama"). Hat das eine öffentliche Debatte in Kenia ausgelöst?

Ich habe Wainaina nach seinem Coming-out persönlich getroffen. Viele homophobe Leute denken, dass er sich nicht hätte outen sollen, dass er „im Schrank" bleiben sollte. Sie sagen, dass er Menschen dazu ermutigt, homosexuell zu werden. Aber das ist natürlich nicht der Fall. Niemand wird homosexuell, weil sich jemand anderes outet. Diese Leute meinen auch, dass Schwulsein nicht zur afrikanischen Kultur gehört. Das ist auch so eine Lüge. Schwule gibt es überall auf der Welt. Aktivisten wie wir finden, dass Wainaina etwas Gutes getan hat. Aber ich mache mir um seine Sicherheit Sorgen, wenn sich die Debatte im kenianischen Parlament weiter aufheizt.

 

Wie war das vor der Kolonialzeit? Wie wurde da in Kenia mit Homo­sexualität umgegangen?

Sowohl Homosexualität wie auch Heterosexualität waren in Kenia und vielen anderen Teilen von Subsahara-Afrika alltäglich. Es gab keine Strafen für jemanden, der offensichtlich schwul war. Der Grund dafür war, dass diese Person niemandem weh tat. Schlimmstenfalls wurde Homosexualität als minderschweres Fehlverhalten gewertet. Man hat sich mit dem Thema nicht viel beschäftigt, zumindest dann nicht, wenn die Involvierten unverheiratet waren. Homosexuell zu sein war damals kein großes Thema.

 

Sie sind seit 1979 anglikanischer Pfarrer. Nach einem Studium der Pastoralen Seelsorge und Beratung in den USA haben Sie explizit Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender in Ihre Kirche eingeladen und gründeten „Other Sheep Africa". Im Jahr 2007 schloss Sie der anglikanische Erzbischof von Kenia, Benjamin Nzimbi, aus der Kirche aus, weil er nicht wollte, dass Sie über Homo­sexualität reden  ...

Ja, ich bin aus der anglikanischen Kirche ausgetreten und bin bis heute draußen. Aber die Gemeinde von „Other Sheep" ist gewachsen. Unsere Arbeit besteht darin, Religionsführer und Pastoren zu überzeugen, in unsere Seminare zu kommen. Dort helfen wir ihnen zu verstehen, was die Bibel über Homosexualität sagt – und was sie nicht sagt. Wir sprechen auch über Homosexualität und die afrikanische Kultur. Wir sprechen über Homosexua­lität und die Wissenschaft. Wir helfen Kirchenführern verschiedenster Kon­fessio­nen zu verstehen, dass Homosexu­alität weder eine Krankheit noch eine Sünde ist. Missbräuchlicher Sex ist eine Sünde – ob er nun homosexuell oder heterosexuell ist. Aber Liebesbeziehungen an sich sind nicht sündhaft. Wir wenden uns auch an muslimische Religionsführer.

 

Was sagen Sie ihnen?

Wir fragen sie, ob sie als muslimischer Religionsführer dazu angehalten sind, eher Rache oder eher Barmherzigkeit zu zeigen. Und viele von ihnen stimmen zu, dass laut Koran diejenigen seliger sind, die Barmherzigkeit zeigen, als diejenigen, die auf Strafe bestehen. Dann fragen wir: Warum zeigen Sie dann keine Barmherzigkeit gegenüber schwulen und lesbischen Muslimen? Außerdem zeigen wir auf, dass religiöse Schriften wie die Bibel und der Koran im historischen Kontext gelesen werden müssen. Man muss sich immer fragen: Warum wurde dieses oder jenes gesagt? An wen war es gerichtet? Und was bedeutet das in unserer heutigen Zeit? In der Regel kommt bei der genaueren Betrachtung heraus, dass die heiligen Schriften nicht viel über Homosexualität sagen. Wo sie es doch tun, sprechen sie nicht über Liebesbeziehungen und die homosexuelle Orientierung, wie wir sie heute kennen. Sowohl muslimische als auch christliche Religionsführer können erkennen, dass die heiligen Schriften Homosexualität nicht als solche verdammen.

 

Mit welchen Gegenargumenten werden Sie konfrontiert?

Eine Hauptfehlwahrnehmung ist, dass Homosexualität nur als Geschlechtsakt betrachtet wird. Homophobe Menschen meinen, dass Homosexualität eine schlechte Entscheidung ist, zu der jemand verführt wurde. Sie glauben, dass jeder Mensch heterosexuell geboren wird. Wir tun unser Bestes, damit sie den Unterschied zwischen der sexuellen Orientierung und dem Geschlechtsakt an sich wahrnehmen. Niemand kann dazu verführt werden, seine oder ihre sexuelle Orientierung zu verändern. Eine andere Sache, die unsere Kritiker gerne anführen, ist, dass wir finanzielle Unterstützung aus Europa oder Amerika erhalten. Dies impliziert in ihren Augen, dass wir fremde Kulturen in Afrika fördern. Im Gegenzug fragen wir sie: Wie viele andere Aktivitäten werden denn in Kenia mit westlichem Geld gefördert? Da gibt es so viele, und viele von ihnen sind gut. Und warum sollten Stimmen von religiösen Fundamentalisten aus den USA oder Saudi-Arabien irgendwie afrikanischer sein als solche, die sich gegen die Marginalisierung und Diskriminierung von sexuellen Minderheiten äußern?

 

Reicht Ihnen die Unterstützung, die Sie aus westlichen Staaten erhalten?

Wir brauchen mehr progressive Fürsprecher aus dem Westen, die nach Afrika kommen. Konservative Missionare kommen in Scharen. Sie haben die politische Auseinandersetzung in Nordamerika und Europa verloren, kommen aber nach Uganda und in andere Staaten, um hier Afrikaner zu manipulieren und Homophobie zu propagieren. Wenn die das können, warum können die Progressiven dem nicht entgegenwirken? Wir brauchen Unterstützung.

 

Gibt es etwas, das der Westen anders machen sollte?

Unsere Organisation rät Menschen aus dem Westen, nicht die gleichgeschlecht­liche Ehe zu fordern, sondern eher die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Gleichstellung der sexuellen Orientierungen. Außerdem bitten wir sie, uns etwas über die Geschichte des Kampfes um die Rechte von Homosexuellen in ihren Ländern zu erzählen. Ich habe in diesem Zusammenhang sehr stark von einer Reise nach Berlin im Jahr 2012 profitiert, als wir dort zum Holocaust-Mahnmal gegangen sind und von der Verfolgung von Homo­sexuellen im Dritten Reich erfahren haben. Die meisten Kirchen in Afrika haben Schwesterkirchen in Europa und Amerika. Oftmals erkennen diese Kirchen LSBT-Rechte an. Es wäre sehr hilfreich, wenn diese Kirchenführer hierher kämen und davon berichten würden, wie Homosexu­elle aufgrund von Homophobie gelitten haben. Aber das passiert kaum und definitiv nicht oft genug.

 

Was ist falsch daran, die gleich­geschlechtliche Ehe zu fordern?

Wenn US-Präsident Barack Obama über die Rechte von Homosexuellen spricht, dreht es sich immer nur darum, wo die gleichgeschlechtliche Ehe erlaubt ist. Der Westen ist da ziemlich weit. Bei vielen Afrikanern kommt das aber so an, als ob Obama die Menschen dazu zwingen will, dass Männer Männer heiraten und Frauen Frauen. Unsere Priorität muss aber sein, dass sich alle LSBT ungefährdet zeigen dürfen. Die gleichgeschlechtliche Ehe kommt erst später. Vielleicht ist sie irgendwann in den nächsten 25 Jahren Thema. Wir brauchen zunächst eine Bewusstseinsbildung dafür, dass die sexuelle Orientierung eine persönliche Eigenschaft ist, die von niemandem beeinflusst werden kann und die niemanden verletzt. Wir brauchen sexuelle Aufklärung darüber.

Die Fragen stellte Friederike Wyrwich.

 

Michael N. Kimindu ist Pfarrer und Gründer von „Other Sheep Africa" in Kenia.
mnk24@yahoo.com
http://othersheepafrica-kenya.org/

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